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Die Javanermakakenkolonie der Universität Kassel

Bereits in Kapitel 13 hatte ich unsere ersten Javanermakaken Macaca fascicularis (Nikita, Vanda, Vera) erwähnt.1 Die drei Makaken bereiteten meinen Tierpflegern Probleme, da sie sofort auf das „Anstarren“ mit massiver Drohung reagierten, so dass meine Mitarbeiter fürchteten, bei dem zur Reinigung zwangsläufig notwendigen Betreten des Geheges eventuell Schaden zu nehmen. Ich überzeugte sie zwar, dass dieses Drohen normales Verhalten bei Makaken sei und dass sie dieses leicht vermeiden könnten, wenn sie die Makaken nicht anstarren würden (und führte ihnen dies auch praktisch vor). Die Makaken wichen bei dem Betreten des Geheges zuverlässig vor den Menschen aus und wechselten die Gehegeseite. Doch fühlten meine Mitarbeiter sich mit den theoretisch gefährlichen Makaken im Rücken nicht wohl und wollten nicht gemeinsam mit diesen „eingesperrt“ sein. Sie ließen daher bei der täglichen Reinigung lieber die Gehegetür offen.
Unsere tägliche Routine war also mit Freilassen der Makaken im Haltungsraum verbunden. Bei Öffnen der Tür zur Reinigung verließen unsere drei Javanermakaken blitzschnell ihr Gehege und kletterten auf den Käfigdecken herum, war die Raumtür versehentlich offen, kletterten sie zur Tür, guckten in den Flur oder verließen auch gelegentlich den Haltungsraum. Ihr Haltungsgehege suchten sie dann nach Abschluss der Reinigungsarbeiten sofort nach Aufforderung wieder auf, ein mühevolles Einfangen und Jagen - wie bei den Kapuzineraffen (vgl. Kapitel 13) war niemals notwendig.
Ihr insofern monatelang „geübtes“ Verhalten wollte ich auch für das Umsetzen in den neuen Haltungsraum, den schon erwähnten Makakenraum, nutzen.


Abbildung 14.1: Nikita



Abbildung 14.2: Vanda




Abbildung 14.3: Vera mit Kindern


Ich ließ beide Raumtüren offen, öffnete die Tür des Haltungskäfigs (und alle Türen in den Gehegen des neuen Makakenraumes), meine Mitarbeiterin Barbara Lührmann und ich warteten - „verborgen“ in der Futterküche -, doch wurde unser Warten nicht belohnt, unsere fünf Javanermakaken (Nikita, Vanda nebst Frieda und Vera nebst Paula) blieben in ihrem geöffneten Gehege. Sie hatten sozusagen „den Braten gerochen“, sie wollten ihr sicheres Gehege nicht verlassen. Wir mussten sie erst mühselig aus ihrem Haltungsgehege jagen, dessen Tür verschließen und dann sie dringend auffordern, den Kapuzinerraum zu verlassen und den nun fertigen Makakenraum aufzusuchen, was sich stundenlang hinzog. Einmal auf den Flur getrieben, suchten sie dann den neuen Raum und die neuen Käfige sofort auf.
Am 21.05.1975 importierte Werner Meinel weitere fünfzehn Weibchen, eines war stark verletzt und wurde für anatomische Untersuchungen entnommen, zwei Weibchen starben während der Quarantäne, so dass nun insgesamt 17 Javanermakaken in dem Makakenraum lebten. Einige der Weibchen waren bei Import gravid, doch im offensichtlichen Gegensatz zu den Kapuzineraffen (Kapitel 13), bei denen schwangere Weibchen ihre Jungen auch austrugen, abortierten alle Weibchen (und aßen die Föten auch auf). Dies ist besonders bemerkenswert, da in den folgenden Jahren der Haltung die Anzahl von Aborten vernachlässigbar war. Es muss dahingestellt bleiben, ob der Transportstress oder aber die Anwesenheit eines Männchens (Nikita) im Haltungsraum für das Abortieren verantwortlich war.
Der „Versuchsaffe“ in der Forschung war damals der Rhesusaffe Macaca mulatta, sogenannte „Affenergebnisse“ also Ergebnisse an Rhesusaffen (Abbildungen 14.9 - 14.12). Wegen der zunehmendem Exportrestriktionen in Indien2, dem Hauptexportland wurde dieser in Europa zunehmend durch Javanermakaken ersetzt. Ergebnisse an Javanermakaken stimmten mit denen an Rhesusaffen überein, dies gilt auch für ihr Verhalten. Japanische Kollegen erheben ihre Befunde vornehmlich an Japanmakaken Macaca fuscata (Abbildungen 14.13 - 14.14). Zudem stehen bzw. standen in amerikanischen Primatenzentren auch Kolonien des Schweinsaffen Macaca nemestrina (Abb. 14.91) und des Indische Hutaffen Macaca radiata (Abbildungen 14.15 - 14.16) als Forschungsobjekte zur Verfügung. Auch bei Untersuchungen von Makaken kommt der genauen Artbestimmung Bedeutung zu.3



Abbildung 14.4: Mohrenmakaken Macaca maura auf Sulawesi




Abbildung 14.5: Mohrenmakaken Macaca maura auf Sulawesi


Der einzige nichtasiatische Makake, der nordafrikanische - und auch auf Gibraltar vorkommende - Berberaffe Macaca sylvana (Abbildungen 14.17 - 14.19) hat als „Versuchaffe“ kaum Verwendung gefunden. Er diente nur als Beobachtungsobjekt für Verhaltensbeobachtungen. Nach seinem Verhalten ist er auch nur begrenzt mit den übrigen Arten des Genus Macaca vergleichbar, nutzen doch bei dieser Art die Männchen die Jungtiere sozusagen als Schutzschild, um ungefährdet mit anderen Männchen zu interagieren (Abb. 14.19). Diese Arten stelle ich mit den folgenden Abbildungen vor. Die meisten Untersucher des Makakenverhaltens bevorzugten Orte, an denen ihre Versuchsobjekte gut beobachtbar sind. Wie ich bereits an verschiedenen Stellen in diesem Buch berichtet habe, ist das Beobachten und das Finden der Affen im Blätterwald nicht einfach. Auch unsere intensive und letzlich erfolglose Suche nach Mohrenmakaken (Macaca maura) habe ich nicht verschwiegen (Kapitel 8) habe ich nicht verschwiegen. Anschließend suchten meine Frau und ich im Süden Sulawesis weiter und waren erfolgreich (Abbildungen 14.4 - 14.5). Verhalten konnten wir freilich nur sehr begrenzt beobachten. Freilebende Javanermakaken trafen wir auf Bali. Auf Bali konnten wir zudem Javanermakaken unter sogenannten halbnatürlichen Bedingungen beobachten. Ich riet meiner Frau, ihre Brille abzunehmen, doch hörte sie nicht auf mich. Die „frei“ lebenden Makaken waren trainierte Diebe.



Abbildung 14.6: Adelheid Welker (ohne Brille) mit Javanermakake, Bali




Abbildung 14.7: Freilebende Javanermakaken auf Bali




Abbildung 14.8: Freilebende Javanermakaken auf Bali




Abbildung 14.9: Freilebende Rhesusaffen Macaca mulatta auf Cayo Santiago, einer Insel in der Karibik




Abbildung 14.10: Freilebende Rhesusaffen Macaca mulatta auf Cayo Santiago




Abbildung 14.11: Freilebende Rhesusaffen Macaca mulatta in Indien




Abbildung 14.12: Freilebende Rhesusaffen Macaca mulatta in Indien




Abbildung 14.13: Freilebende Japanmakaken Macaca fuscata in Takasakiyama, Japan




Abbildung 14.14: Freilebende Japanmakaken Macaca fuscata in Takasakiyama, Japan




Abbildung 14.15: Indische Hutaffen Macaca radiata, California R. P. R. C., Davis, U.S.A.




Abbildung 14.16: Indische Hutaffen Macaca radiata, California R. P. R. C., Davis, U.S.A.




Abbildung 14.17: Freilebende Berberaffen Macaca sylvana in Gibraltar




Abbildung 14.18: Freilebende Berberaffen Macaca sylvana in Gibraltar




Abbildung 14.19: Das Berberaffenmännchen mit Kind im Affenpark Salem demonstriert das „agonistic buffering“.


Wir hatten also mit unseren Javanermakaken „typische“ Versuchsaffen zur Verfügung. Ein ethologisches Forschungsinteresse meinerseits bestand nicht, schienen doch Makaken „ausgeforscht“, zudem war ich an dem langfristigen sozialen Zusammenleben in stabilen Sozialgruppen interessiert und nicht an kurzfristigen Beobachtungen.4
Dann hörte ich einen Vortrag des Züricher Primatologen Hans Kummer, der Zweierbeziehungen bei Blutbrustpavianen (Therpithecus gelada) untersucht und ein Stufenmodell der zunehmenden Integration vorgestellt hatte ([117]). Dieses fand ich hochinteressant und bat Werner Meinel um die Erlaubnis, mit seinen Versuchstieren vor deren „Verbrauch“ entsprechende kurzfristige Untersuchungen durchführen zu dürfen.
Dass diese Beobachtungen zu so interessanten Forschungsergebnissen führen sollten, hatte ich damals nicht erwartet. Über mehr als zwei Jahrzehnte habe ich dann an Javanermakaken gearbeitet.5 In den diesem Kapitel zugrunde liegenden Publikationen belegen zahlreiche Abbildungen die Befunde, auch habe ich in diesen die umfängliche Literatur über Makaken sorgfältig dokumentiert und diskutiert. Den unzähligen Autoren sei hier ausdrücklich gedankt. Sie haben präzise Fragen aufgeworfen, die wir experimentell mit Hilfe unserer Makaken-Individuen beantworten konnten.
Durch die kontinuierliche Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft konnte ich viele offene Fragen experimentell klären, unterstützt durch zahlreiche studentische und auch wissenschaftliche Mitarbeiter. Barbara Lührmann ([126]), Cornelia Schäfer-Witt ([194]) und Annette Klaiber-Schuh6 schrieben über diese Art ihre Dissertationen. An der Arbeit wirkten zudem mit: Heribert Arend, Gesine Boehlke, Rita Engelhardt, Meike Erbarth-Fischer, Christiane Fiege, Martina Grebe, Elke Harigel, Regina Hennek, Beate Hollstein, Ursula Lingelbach, Gerhard Neuhoff, Ingrid Pampuch, Manfred Paul, Lieselotte Schindler, Petra Schroer, Elke Sobisch und Christiane Möller. Zahlreiche studentische Mitarbeiter verfassten auch über Teilergebnisse der Langzeitstudie ihre Examensarbeitenen, die mir leider nur teilweise vorliegen.7
Unser Hauptforschungsinteresse galt dem Phänomen der Rangordnung und den unterschiedlichen Persönlichkeiten in der Makakengesellschaft. Parallel hierzu untersuchten wir die auffälligen Geschlechtsunterschiede im Verhalten, die ich in diesem Buch bereits für Totenkopfaffen (Kapitel 11) und Kapuzineraffen (Kapitel 13) dokumentiert habe. Diese galten nach dem Stand der Literatur für alle Arten des Genus Macaca. Sicherlich auch Zeitgeist bedingt, wurde in den Arbeiten die Frage nach den Ursachen dieser Unterschiede gestellt. Da die jungen Makaken je nach Geschlecht unterschiedlich von ihren Sozialpartnern behandelt werden, schien die Hypothese erlaubt, dass hierfür möglicherweise Erziehungsprozesse verantwortlich sind. Dies konnten wir eindeutig falsifizieren, wir erhoben umfangreiches Datenmaterial an in der Gruppe geborenen (Unterkapitel 14.5) und an handaufgezogenen (Unterkapitel 14.6) Individuen. Auch hierüber werde ich noch ausführlich berichten (Unterkapitel 14.5, 14.6).
Es ist mir noch ein Bedürfnis dem vielleicht nach dem Lesen dieses Kapitels entstehenden Eindruck, Makaken seien besonders aggressiv, entgegen zu treten. Das rigide Dominanzsystem der Makaken (und wohl aller meerkatzenartigen Altweltaffen) dient vor allem der Vermeidung von Konflikten im Sozialverband. In der Evolutionsgeschichte dürften entsprechende Sozialsysteme sich unter jahreszeitlich kargen Bedingungen entwickelt haben. Sie gewährleisten, dass zumindest der höherrangige Teil der Population, der alle Vorrechte hat, überlebt, was zwangsläufig für die niederrangigen Individuen fatale Folgen hat. Wann in der Millionen Jahre langen Evolutionsgeschichte sich ein solches Verhalten als selektionsbegünstigt herausgestellt hat, können wir freilich heute nicht entscheiden. Insofern sind nach meiner Einschätzung häufig angestellte Versuche, das ererbte Sozialsystem mit heute vorzufindenden ökologischen Bedingungen zu begründen, nicht weiterführend.

14.1 Einführung, Bemerkungen zur Sozialstruktur

Bei8 Javanermakaken - wie generell bei allen Species des Genus Macaca und wohl nahezu allen Vertretern der Cercopithecinae - beruht das Sozialsystem der Gruppe auf einer starren hierarchischen Rangordnung, die hinreichend ist, um in der Gruppe zu beobachtende Interaktionen zu erklären (u. a. [247]).
Es soll hier betont werden, dass gerade nach den in Kassel durchgeführten vergleichenden Untersuchungen verschiedener Primatenspecies, die ich in den bisherigen Kapiteln dieses Buches dokumentiert habe, das Vorhandensein einer Rangordnung der Spezialfall innerhalb der Primates ist. In der Regel finden wir bei den Primaten - wie bei allen anderen gesellig lebenden Species - zwar Dominanzbeziehungen, also das banale Ergebnis, dass nicht alle Tiere der Gruppe gleich sind, doch keine echten Rangordnungen. Dabei wollen wir von Rangordnungen nur sprechen, wenn das Grundprinzip der sozialen Organisation ist, dass das Ergebnis von Auseinandersetzungen beliebiger Zweierbeziehungen eindeutig vorhergesagt werden kann, und wenn der Überlegene zudem gleichzeitig über alle oder fast alle Individuen dominiert, die dem Unterlegenen unterlegen sind.
Bei Species mit Rangordnungsstrukturen ist für das Individuum seine Position in der Gruppe bestimmend. Je nachdem, ob das Individuum im oberen oder im unteren Bereich der Hierarchie eingeordnet ist, bzw. ob es z. B. im oberen Bereich die Alpha-, Beta- oder Gamma-Stellung hält, unterscheidet es sich auffällig von anderen Tieren der Gruppe.
Darüber hinaus beobachten wir in Makakengruppen, dass in der Gruppe geborene Jungtiere den Rangplatz ihrer Mütter übernehmen, sozusagen erben. Dies gilt uneingeschränkt für weibliche Individuen, die in der Gruppe verbleiben. Unsere Daten sprechen zudem dafür, dass Nämliches auch für männliche Individuen zutrifft, dass also auch hier der endliche Rang durch den Rang der Mutter vorbestimmt wird.
Fassen wir zusammen, dann ist es für das Individuum ohne Zweifel entscheidend, welchen Rang seine Mutter besitzt, da dieser für ihn und für seine Nachkommen geradezu schicksalhafte Bedeutung hat.
Wodurch wird nun - und dies war auch die eigentliche Frage des gesamten Forschungsvorhabens - die Weitergabe des Rangplatzes an die Nachkommen gewährleistet?



Abbildung 14.20: Barbara, Vera, Vau, Universität Kassel




Abbildung 14.21: Javanermakaken (links: Barbara), Universität Kassel




Abbildung 14.22: Blonda (im Hintergrund), Nikita, Vanda, Universität Kassel




Abbildung 14.23: Barbara und Frieda, Universität Kassel.




Abbildung 14.24: Javanermakaken, Universität Kassel




Abbildung 14.25: Javanermakaken, Universität Kassel


Beobachten wir die Interaktionen in der Gruppe, dann stellen wir fest, dass Kinder bereits sehr früh - in der ersten Lebensphase - von ihren Müttern und Verwandten unterstützt werden. Diese Unterstützung ist dann auch für den Rest des Lebens permanent aufzeigbar. Durch zahlreiche Veröffentlichungen zu diesem Thema wurde die Schlussfolgerung nahegelegt, dass diese Unterstützung für den späteren Rang des Individuums ursächlich sei. Ein Beleg für diesen Zusammenhang stand jedoch aus, die Kausalität ist demnach nur scheinbar.
Als wir 1974 unsere Untersuchungen zur Sozialstruktur des Javanermakaken begannen, drängte sich uns bei der Beobachtung von Gruppenbildungsprozessen - zehn Weibchen wurden sukzessive in eine Ein-Männchen-Gruppe überführt - der Eindruck auf, dass es unterschiedliche Typen von Weibchen gäbe. Je nach ihrem Verhalten in der ersten Zeit nach Introduktion nahmen sie später einen höheren oder einen niedrigeren Rangplatz in der Gruppe ein (Unterkapitel 14.2).
Die Integration jedes einzelnen Weibchens verlief grundsätzlich nach dem gleichen Muster, so wurde es von dem einzigen Männchen solange verfolgt und gebissen, bis es keinen Widerstand mehr leistete. Die genauere Analyse erbrachte, dass zwischen Männchen und neuem Weibchen bestimmte Prozesse ablaufen müssen, bevor von einem Abschluss der Integration gesprochen werden kann: Die Integration verläuft über verschiedene Stadien, die jeweils obligatorisch sind. Insgesamt konnten fünf verschiedene Stadien unterschieden werden, so folgte auf das (1) Verfolgen durch das Männchen das (2) Präsentieren durch das Weibchen, das (3) Besteigen und ein rituelles (4) Beißen in den Rücken, erst danach konnte als letztes Stadium die (5) gegenseitige soziale Körperpflege beobachtet werden. Unterschiedlich war nun die Zeit, die die jeweiligen Weibchen benötigten, um das Stadium 5 zu erreichen. Einige schafften dies bereits am Tag der Introduktion, andere benötigten hierzu mehrere Monate.
Im Anschluss an ihre Integration mussten sich neu introduzierte Weibchen mit dem untersten Platz in der Hierarchie zufrieden geben. Sie suchten durchgängig den engen Sozialkontakt zum jeweils Rangnächsten, verhinderten dadurch gegen sich gerichtete agonistische Aktivität und wurden mehr oder weniger gleichrangig. Dann stellten sie besonders enge soziale Beziehungen zu dem nächsthöheren Individuum her, griffen dann gemeinsam mit diesem den ehemaligen Rangnachbar an und wurden so höherrangiger als der ehemalige Rangnachbar. Über diese Strategie verbesserten einige Individuen ihren Rang Schritt für Schritt, andere hingegen mussten mit einem niedrigeren Rang vorliebnehmen, bzw. verloren - trotz bester Vorbedingungen (frühere Introduktion) - ihren Rangplatz sukzessive.
Diese Beobachtungen und weitere Kontrollexperimente waren die Basis für das weitere Vorgehen. Wir wollten prüfen, ob der gewonnene Eindruck, es gäbe a priori unterschiedliche Typen von Weibchen, belegt werden könnte. Eine Alternativerklärung wäre nämlich gewesen, dass die beobacheten Ränge nur zufällig waren, abhängig von Beziehungen der Individuen untereinander. So könnte die Freundschaft9 zum Apha-Weibchen z. B. einen hohen Rang bedingen, seine Freundin wäre durch diese Freundschaft ranghoch, hätte also einen von dieser Beziehung abhängigen hohen Rang. Eine solche Erklärung stünde im deutlichen Gegensatz zu unserem Eindruck, dass nur bestimmte Typen von Weibchen es schafften, freundschaftliche Beziehungen zum Alpha-Weibchen zu halten.
Zur Klärung führten wir umfangreiche Separations- und Introduktionsversuche durch (Unterkapitel 14.3). Erstes Ergebnis unserer damaligen Experimente war, dass alle Tiere nach vierzehntägiger Separation ihre alte Rangposition in der Gruppe zurückerhielten. Dies galt für ranghohe, rangmittlere und rangniedrige Individuen. Darüber hinaus änderten die Separationen auch nichts an den Beziehungen der übrigen Gruppenmitglieder, selbst als wir Alpha-Männchen und Alpha-Weibchen gemeinsam separierten. Die einmal etablierte Rangordnung schien nahezu nicht manipulierbar zu sein. Ziel des weiteren Vorgehens war es daher, diese festgefügte Ordnung experimentell zu ändern.
Um den rangniedrigen Individuen eine bessere Startposition zu geben, separierten wir die niederrangigsten Clane (Mütter gemeinsam mit ihren in der Gruppe geborenen Kindern) und introduzierten sukzessive in die somit neu etablierte Gruppe die anderen Clane entgegengesetzt zur bisherigen, gut etablierten Rangordnung.
Es war nun bemerkenswert, dass die früher rangniedrigen Individuen in der Lage waren, alle Verhaltensweisen zu zeigen und im richtigen Kontext anzuwenden, die üblicherweise nur an hochrangigen Individuen zu beobachten sind. Diese Fähigkeit besaßen sie offensichtlich unabhängig von ihrer früheren Rangposition in der Gruppe. Im Gegensatz zu den bereits erwähnten Resultaten der vorher durchgeführten Reintroduktionsexperimente war es nun jedoch auffällig, dass sich die Individuen bei Introduktion in die Gruppe, in der die früher rangniedrigsten ranghoch waren, bezüglich ihres Verhaltens unterscheiden ließen.
„Rangniedrige“ Individuen erhielten eine Position unter den künstlich ranghohen Das gleiche galt für „rangmittlere“ Individuen, die ebenfalls nicht in der Lage waren, die künstlich Ranghohen zu dominieren. Aber im Gegensatz zu den Rangniedrigen griffen die Rangmittleren die Individuen an, die einen Experimentalschritt früher introduziert wurden, und sicherten sich hierdurch diesen gegenüber ihre alte Rangposition. Wir nannten dieses Verhalten „Rangsicherungsverhalten“.
Ganz im Gegensatz zu den rangniedrigen und rangmittleren Tieren hatten ranghohe Individuen keine Probleme, ihre hohe Position wieder zu erhalten. Es war nun aber besonders bemerkenswert, dass in der gleichen Zeit, in der die hochrangigen Individuen ihren Rang etablierten, die rangmittleren die künstlich ranghohen attackierten. Wir nannten dieses Verhalten „Rangverbesserungsverhalten“.
Auch ein Kontrollexperiment erbrachte die gleichen Resultate. Wir hatten also gezeigt, dass die endliche Position jedes Individuums von seinem Verhalten in neuen sozialen Situationen abhängig war. Differenzieren wir zwischen „ranghoch“, „rangmittel“ und „rangniedrig“, dann war der erreichte Rang, den wir als natürlichen Rang bezeichnet haben ([242]), demnach eine Eigenschaft des Individuums. Hochrangige Individuen waren in der Lage, ihre hohe Position zu halten, mittelrangige zeigten „Rangsicherungs“ und „Rangverbesserungsverhalten“, niedrigrangige waren nur in der Lage, eine etablierte soziale Position zu halten, zeigten aber keine sozialen Strategien, ihre Positionen zu verbessern oder zu verteidigen. Wir waren jedoch nicht in der Lage, zu entscheiden, ob diese Eigenschaft auf früheren sozialen Erfahrungen beruhte oder aber eine angeborene Disposition war.
Wir hatten nämlich keine Aussage darüber gemacht, ob für die Eigenschaft Rang nun Erziehungsprozesse in der Gruppe verantwortlich sind, oder aber noch zu bestimmende, vielleicht auch genetische Effekte. Erziehungsprozesse in der Gruppe könnten ja theoretisch das zukünftige Verhalten und damit das zukünftige Leben soweit beeinflussen, dass der Geburtsrang sich in der Zukunft verewigen würde. Wir mussten also Erziehungsprozesse durch Mütter und Geschwister ausschließen.
Für Experimente konnten wir statt der Adulten auch in der Gruppe geborene Jungtiere nutzen. Wie bereits oben erwähnt, finden wir nämlich bei Makaken generell die Situation, dass in der Gruppe geborene Jungtiere den relativen Rang der Mutter übernehmen, d. h. sie erben sozusagen den Rang der Mutter, unabhängig vom Zeitpunkt des Geborenwerdens. Jüngere Kinder ranghoher Mütter sind demnach ranghöher als weitaus ältere rangniedrigerer Mütter.
Am sinnvollsten erschien es uns, Tiere zu wählen, die postnatal ohne Einflüsse von Müttern und Geschwistern aufgezogen wurden. Wir separierten daher 1982 und 1983 alle in der Gruppe geborenen Jungtiere gleich nach der Geburt und zogen sie in einer „peer-group“ auf, einer Spielgruppe mehr oder weniger gleichalter Kinder, wie sie als Experimentalgruppen auch aus amerikanischen Primatenzentren bekannt sind (Unterkapitel 14.6).
Um Deprivationssyndrome zu verhindern, wurde jedes Tier in den ersten vier Lebenswochen individuell von nur jeweils einem meiner Mitarbeiter betreut. Nach dieser Periode überführten wir die Jungen in einen Innenkäfig unserer Handaufzuchtanlage, die aus einem größerem Spielkäfig und einem kleineren Innenkäfig bestand. Hier hatten die vier Wochen alten Jungtiere auch erstmals Gitterkontakt zu Artgenossen. Nach einer Woche in diesem Innenkäfig, also sobald das jeweilige Jungtier fünf Wochen alt war, wurde die Tier geöffnet und das Jungtier zu den anderen versuchsplanbedingt älteren Jungtieren gelassen.
Generell wurden alle Jungtiere nach dem gleichen Muster aufgezogen wenngleich die Aufzuchtsanlage erheblich modifiziert werden musste. Die ursprüngliche Anlage hat sich nämlich nicht lange bewährt. Als die Tiere älter wurden, warteten sie geradezu auf die Chance, den Käfig zu verlassen, und die Umgebung, mein Arbeitszimmer, zu erkunden (und zu zerstören). So mussten wir die Versuchsapparatur ändern, durch einen zusätzlichen Käfig und schließlich durch weitere Absperrmöglichkeiten. Das Endergebnis war dann eine Apparatur aus zwei miteinander verbundenen Käfigen und einem Futterturm zum Separieren und „handling“der Tiere.10
Bei normalen Handaufzuchtsmethoden werden die jungen Makaken gleich nach Geburt separiert, für eine gewisse Zeit separat gehalten und zu einem festen Zeitpunkt gemeinsam mit anderen Individuen gleicher Vorgeschichte in einen „peer-group“Käfig überführt. Wir hingegen introduzierten einen Affen nach dem anderen, sobald das jeweilige Individuum fünf Wochen alt war. Insgesamt bildeten wir zwei „peer-groups“, eine mit den 1982, die andere mit den 1983 geborenen Jungtieren. Die erste bestand aus acht, die zweite aus zwölf Individuen.
Zum „handling“ der Tiere sei bemerkt, dass wir bis zu dem Tag, an dem das jeweils jüngste Individuum sechs Monate alt wurde, allen Tieren fünfmal pro Tag eine Flaschenmahlzeit gaben. Ältere Jungtiere erhielten täglich einmal die Flasche. Hierdurch blieben die Tiere vertraut mit der „handling“-Prozedur.11 Nach den Befunden an anderen „peer“-Gruppen mussten wir als mögliche Parameter der sozialen Entwicklung das Geschlecht, das Alter und das Gewicht Tiere berücksichtigen.



Abbildung 14.26: Modifikationen unserer Handaufzuchtanlage: Figure 1: Die geplante und realisierte Anlage mit zusätzlicher Möglichkeit der Separation (Figure 2) und schließlich mit Futterturm (Figure 3)

Zusätzlich kam bei unseren Gruppen, und insofern unterschieden sich unsere Experimentalgruppen von allen anderen vergleichbaren, als möglicher Parameter auch noch der Rang der jeweiligen Mutter in der Ausgangsgruppe, der in unserer Kolonie umfänglich protokolliert und getestet wurde, in Frage.



Abbildung 14.27: Javanermakaken, Universität Kassel


Zum Einfluss des Geschlechtes fanden wir, dass es in beiden Geschlechtern zwar schwerere und leichtere Individuen gibt, Männchen jedoch durchgängig im Mittel schwerer sind als Weibchen. Ansonsten kam dem Geschlecht keine große Bedeutung zu, wie nach den Literaturberichten - Männchen sollen ranghöher sein als Weibchen - zu erwarten. Männchen fügten sich in die Hierarchie ein, dominierten also jüngere und waren subordinant gegenüber älteren Individuen.
Damit wäre auch schon der entscheidende Paramter für die erste Lebensphase genannt, hier kommt offensichtlich dem Alter höchste Bedeutung zu.
So fanden wir, dass die Jungtiere eine altersabhängige Rangordnung ausbildeten, unabhängig von Geschlecht und Gewicht. Ohne jede Ausnahme waren ältere Tiere höherrangig als jüngere.
Es war zudem auffällig, dass alle Individuen enge Kontakte zu Tieren des gleichen Altersbereiches zeigten, unabhängig vom Geschlecht.
Beachten wir, dass jüngere Tiere später in ihre „peer-group“ kamen als ältere, dann waren diese Resultate die nämlichen, die wir zehn Jahre vorher erhalten hatten, als wir unsere Zuchtgruppe aus Wildfängen bildeten. Fanden wir doch damals, dass die Tiere entsprechend dem Introduktionszeitpunkt eine Hierarchie ausbildeten, dass also früher introduzierte Tiere anfänglich einen höheren Rang erhielten als später introduzierte (vgl. Unterkapitel 14.2). Zudem fanden wir, dass Tiere benachbarter Ränge enge Beziehungen zueinander aufnahmen. Vergleichen wir diese alten Resultate mit den neuen, dann schienen die Mechanismen die selben zu sein.



Abbildung 14.28: Javanermakaken, Universität Kassel




Abbildung 14.29: Javanermakaken, Universität Kassel


In der bereits mehrfach erwähnten Ausgangsgruppe aus adulten Individuen, mit denen wir unsere Untersuchungen begannen, fanden wir, dass die Tiere sich unterschiedlich verhielten, als sie in die Gruppe introduziert wurden. In Abhängigkeit von ihrem Verhalten verbesserten einige ihre soziale Position, andere waren hierzu nicht in der Lage. Offen war nun die Frage. ob identische oder vergleichbare Prozesse auch in den „peer-groups“ ablaufen würden. Unsere Frage war also, ob sich diese Rangordnung verändern würde. Wir müssen dabei beachten. dass es viel leichter ist, einen einmal erhaltenen Rang zu halten, als ihn zu verbessern, wofür vornehmlich das rangstabilisierende Interaktionssystem, alle Tiere halten bevorzugt Kontakt zum jeweils Rangnächsten, verantwortlich ist. Analysen der beobachteten Änderungen([296], [284]) ergaben folgende Tendenzen: Individuen, die ihren Rang verbessern, haben ranghohe Mütter, diejenigen, die ihren Rang verschlechtern, rangniedrige Mütter in der Geburtsgruppe. Ausnahmen von diesem „Trend“ konnten nicht beobachtet werden. Nach der Fusion beider „peer“- Gruppen war dann die endliche Rangordnung nahezu identisch mit derjenigen, die zu erwarten gewesen wäre, hätten wir auf die Separation dieser Individuen aus ihrer Geburtsgruppe verzichtet.
Eine naheliegende Frage war nun, wodurch man ranghoch bzw. rangniedrig werden würde, auch hier sind Aussagen möglich. Das „Rangniedrigwerden“ verlief nach einer einfachen Regel, so verloren Tiere ihren Rang, die häufig und - nach dem sozialen Kontext - unnötig andere bedrohten. Sie bedrohten nämlich Individuen, die rangniedriger waren, submissives Verhalten zeigten und die durch ihr Verhalten in einer normalen Gruppensituation eigentlich agonistisches Verhalten der anderen verhindern würden. Hier zeigten rangniedrige offensichtlich falsche Antworten.
Weitaus schwieriger erschien der Weg, „ranghöher“ zu werden. Auffällig war, dass ein seinen Rang verbesserndes Individuum scheinbar nichts unternahm, um seinen Rang zu verbessern, in Wirklichkeit aber verfolgt es gleichzeitig vier verschiedene Strategien:
(1) Vermeidung jedes gegen sich selbst gerichteten agonistischen Verhaltens. Dies erreichte das Individuum durch submissives Verhalten gegenüber Ranghöheren, durch das Negieren des Bedrohtwerdens bzw. durch die Aufnahme besonders enger sozialer Kontakte zu dem ranghöheren Tier, das das Individuum eben gerade bedroht hat.
(2) Aufwertung des eigenen „Wertes“ durch agonistische Auseinandersetzungen beendendes Verhalten. Dies erreichte das Individuum durch scheinbar planlos und unbeteiligtes Herumlaufen im Käfig, wobei es jedoch tatsächlich mehrfach sich vor ein gerade bedrohtes Tier setzte, wodurch das gegen dieses gerichtete agonistische Verhalten beendet wurde. Das bedrohte Individuum suchte danach die Nähe des „Schlichters“ und wertete diesen auf. Soweit der Aggressor rangniedriger war als der „Schlichter“, konnten wir auch direkte Interventionen beobachten, war er ranghöher, blieb der „Schlichter“ scheinbar völlig unbeteiligt und passiv. Er erreichte aber, dass das angegriffene Tier - zumindest mittelfristig - ihm selbst unterlegen wurde. Erkennt dieses nämlich den „Schlichter“ nicht als ranghöher an, reichte eine kurze Koalition mit dem angreifenden Tier, um die neuen Rangverhältnisse zu stabilisieren. Der „Schlichter“ war also ohne Aufwand ranghöher geworden.
(3) Bildung von „Freundschaften“ mit ranghöheren Individuen. Dies erreichte das seinen Rang letztendlich verbessernde Individuum durch das aktive Aufsuchen Putzen und Umarmen Ranghöherer, unabhängig von deren aktueller Antwort; d. h., auch wenn der Ranghöhere die Nähe mied bzw. sogar dem Individuum drohte, bliebt er Ziel für Sozialkontakte.
(4) Befriedung der Unterlegenen. Dies erreichte das Individuum durch ein scheinbar paradoxes Verhalten: Unterlegene Individuen wurden verfolgt und mehrfach gebissen, bis sie wirklich jegliche Gegenwehr vermieden, dann jedoch wurden sie Ziel engster Sozialkontakte, geputzt und umarmt wie Ranghöhere. Die Kombination aller vier Strategien gleichzeitig zeigten nur Individuen. die ranghöher wurden. Einzelne Strategien konnten jedoch von jedem Gruppenmitglied angewandt werden.
Offensichtlich kommt es nicht auf die Quantität sondern auf die Qualität des agonistischen Verhaltens an. Das Individuum muss wohl das agonistische Verhalten zur richtigen Zeit anwenden. Viele aggressive Handlungen erlauben eher Negativ-Prognosen für die Zukunft.
Wir hatten also gezeigt, dass offensichtlich dem Rang der Mutter hohe Bedeutung zukommt, auch wenn das Jungtier die Mutter postnatal überhaupt nicht erfahren konnte, hatten wir doch ihren Einfluss und denjenigen weiterer Geschwister ausgeschlossen.
Über die Bedeutung des Rangplatzes des Vaters ist damit keine Aussage gemacht. Da in unserer Kolonie nur ein Männchen als Vater in Frage kam, konnten wir dessen Einfluss vernachlässigen.



Abbildung 14.30: Javanermakaken, Universität Kassel




Abbildung 14.31: Javanermakaken, Universität Kassel


Über den Einfluss des Vaters gaben jedoch zusätzliche Kontrollbeobachtungen an einer zweiten Makakenspecies, dem Rhesusaffen, Auskunft, die ich gemeinsam mit Elke Harigel 1984 an dem ehemaligen Harlow-Institut in Madison, Wisconsin, durchführen durfte (Unterkapitel 14.7).
Männchen und Weibchen scheinen demnach etwas zu vererben, was für den späteren Rang des Individuums von Bedeutung ist.
Der Rang ist dabei nur ein Maß für die Fähigkeit des Individuums, adäquat seinem Sozialpartner zu antworten. Diese Fähigkeit hatten wir soziale Intelligenz genannt.
Zudem wagten wir einen neuen, weiteren Forschungsschritt. Wir gingen davon aus, dass dem Rang der Mutter bei gleich nach Geburt separierten Kindern entscheidende Bedeutung zukommt, dass also postnatale Einflüsse vernachlässigt werden können. Insofern würde es notwendig sein, Fragen nach möglichen pränatalen Einflüssen nachzugehen. Hierzu teilten wir unsere Zuchtgruppe in drei neue Gruppen auf, in eine mit nur ranghohen, eine mit nur rangmittleren und eine mit nur rangniedrigen Individuen. Wir konnten davon ausgehen, dass sich in jeder dieser drei Gruppen eine lineare Rangordnung etablieren wird und dass es in jeder Gruppe ranghohe und rangniedrige Individuen geben wird. In der Gruppe der Ranghohen wird es also Tiere geben, die definitionsgemäß zwar ranghoch sind, dennoch aber erfahren, rangniedrig zu sein. In der Gruppe der Rangniedrigen hingegen werden entsprechend Rangniedrige ranghoch sein. Hierdurch konnten wir die pränatalen Einflüsse manipulieren. Den Einfluss gerade der pränatalen Phase sollte abschätzbar sein.
Gehen wir davon aus, dass dem Vater wirklich Bedeutung zukommt, dann müssten sich durch diese Versuchsanordnung zudem Einflüsse von Vater und Mutter addieren. Auf die Ergebnisse und die erheblichen Schwierigkeiten unserer Bemühungen werde ich in Unterkapitel 14.9 eingehen.
Zudem gebe ich Informationen zu unserem Experiment zum Verwandtenerkennen (Unterkapitel 14.10). Schließlich stelle ich unsere Befunden über Hormone und Verhalten (Unterkapitel 14.11) und über Lernexperimente (Unterkapitel 14.12) vor. Sowohl bei der Hormonsekretion (Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse) als auch bei den Lernversuchen können wir Ranghohe und Rangniedrige eindeutig diskrimieren.
Gemeinsam mit meiner Mitarbeiterin Annette Klaiber-Schuh wertete ich 1995 die Reproduktionsdaten unserer Javanermakaken aus ([267]). Insgesamt wurden bis zum Zeitpunkt der Auswertung 196 Kinder (nur Einlinge) geboren. 84 % der Neugeborenen überlebten die erste Lebenswoche (bei den importierten Weibchen sogar 90 %), von den Überlebenden erreichten dann 84 % zumindest das erste Lebensjahr. Von ihren Müttern nicht angenommene und daher handaufgezogene Individuen wurden als tote, experimentell handaufgezogene (ihren Müttern abgenommene) Kinder als lebende Individuen gezählt. Erstgebärende von der Mutter aufgezogene Weibchen (n = 15) waren ähnlich erfolgreich wie mehrfachgebärende, 66 % der Kinder überlebten. Bei den handaufgezogene erstgebärenden Weibchen dagegen überlebten nur 20 %.



Abbildung 14.32: Nikita putzt sich.


Die hohe Todesrate der Kinder von handaufgezogenen Müttern war nicht durch mangelndes mütterliches Verhalten bedingt, vielmehr starben die Jungtiere durch „kidnapping“. Die anderen handaufgezogenen Weibchen respektierten anfänglich nicht den Jungenbesitz, vielmehr raubten sie die Jungen und pflegten sie fürsorglich zu Tode.
Das mittlere Alter der 27 erstgebärenden Weibchen war 5 Jahre 5 Monate (± 2 Monate). Das jüngste Weibchen war am Tag der Geburt 4 Jahre und fünf Monate alt.
Der Geburtenabstand hängt deutlich von dem Aufzuchtserfolg ab, er betrug 473 ± 14 Tage bei Kinder tragenden Weibchen (n = 120) und 384 ± 27 Tage bei Weibchen, die das Kind verloren hatten (n = 62). Eine Saisonalität war bei den Geburten in der Kolonie nicht auffällig.
Das Geschlechterverhältnis Männchen zu Weibchen betrug 1 : 0,89 bei allen Jungtieren.
Da unsere Ergebnisse auf dem Verhalten von Makaken-Persönlichkeiten beruhen, gebe ich in den folgenden Unterkapiteln die Beiträge dieser Individuen an der Entstehung unseres Wissenstandes an. Dabei verzichte ich weitgehend auf graphische Darstellungen, diese sind in den zitierten Publikationen zugänglich.

14.2 Gruppenbildung

Zu Beginn unserer Langzeitstudie zum Sozialverhalten von Macaca fascicularis entschlossen wir uns zum sukzessiven Aufbau der Gruppe. Hierdurch konnten wir die Interaktionen eines jeden Individuums und seine Strategien, eine höhere soziale Position zu erreichen, aufzeigen.12 Es schien uns sinnvoll, um die soziale Stellung rangniedriger Weibchen unabhängig von dem Beisein des Männchens testen und eventuelle Strategien der Weibchen, eine höhere soziale Position zu erlangen, erkennen zu können, im Verlauf der Introduktionen einige Weibchen zu separieren, bzw. in eine nur aus Weibchen bestehende Gruppe zu introduzieren.
Die Beschränkung auf nur ein adultes Männchen erlaubte bei den weiteren Untersuchungen, den Einfluß des Vaters auf verwandtschaftliche Beziehungen vorerst vernachlässigen zu können, waren doch alle in der Gruppe geborenen Jungtiere Halbgeschwister zueinander.
Eine Situation wie in unserem Labor, nämlich dass Weibchen sukzessive in eine bestehende Gruppe introduziert werden, wird es im Freiland kaum geben, doch sah ich gerade durch eine solche Versuchsanordnung die Möglichkeit, die Komplexität des Verhaltens und die Bedingtheiten eines jeden Individuums besser abschätzen zu können.

14.2.1 Versuchsbedingungen

Versuchstiere

14 der 16 an dieser Untersuchung teilnehmenden Individuen waren Wildfänge, zwei vor Untersuchungsbeginn in Kassel geboren. Vier der Wildfänge erhielten wir von den Behring-Werken in Marburg, wo die Tiere bereits quarantänisiert und einige Monate gehalten wurden.13

Beobachtungsbedingungen

Die Javaner-Affen beobachtete einer von zwei - den Makaken vertrauten - Beobachtern täglich im Innenraum und protokollierte ihre Interaktionen. Nach Introduktionen wurden die neu introduzierten Tiere und die Gruppe darüber hinaus mindestens eine Stunde direkt beobachtet, dabei saß der/die Beobachter/in direkt vor den Käfigen; zusätzlich wurden von einigen Introduktionen Videoaufzeichnungen angefertigt.

Dominanzbestimmung

Zur Dominanzbestimmung separierten wir jeweils zwei Tiere in einen Käfig und legten auf den Boden des Käfigs ein Stück Ei oder eine Nuss. Protokolliert wurde, welches der Tiere sich das Futter holte und welche Interaktionen anschließend erfolgten. Diese Versuche führten wir stets dreimal hintereinander durch, hierbei jeweils alle möglichen Zweierpaarungen testend.14



Abbildung 14.33: Haltungsraum



Tabelle 14.1: Ausgangspopulation 1975
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-Name-------Geschlecht---Alterstufe----Ankunft----Herkunft/Eltern---
 Nikita         m          adult     21.06.1974   Behring
 Vanda           f         adult     21.06.1974   Behring

 Vera            f         adult     21.06.1974   Behring
 Vema            f         adult     21.05.1975   Import
 Vau             f         adult     21.05.1975   Import
 Jungfrau        f       subadult    21.05.1975   Import

 Blonda          f         adult     21.05.1975   Import
 Zita            f         adult     21.05.1975   Import
 Alba            f         adult     21.05.1975   Import
 Barbara         f         adult     09.11.1975   Behring
 Dua             f         adult     21.05.1975   Import

 Stirni          f         adult     21.05.1975   Import
 Mecki           f         adult     21.05.1975   Import
 Omega           f         adult     21.05.1975   Import
 Frieda          f        juvenil    30.01.1975   Nikita/Vanda
 Paula           f        juvenil    10.03.1975   Nikita/Vera
-------------------------------------------------------------------

14.2.2 Ergebnisse und Diskussion

Verhaltenssequenzen

Bei der Introduktion adulter weiblicher Macaca fascicularis in die Nucleusgruppe war stets zu beobachten, dass das Männchen Nikita das neuintroduzierte Weibchen (1) verfolgte, bis dieses (2) präsentierte; daraufhin inspizierte er das Weibchen, (3) stieg auf und (4) biss es in den Rücken. Diese vier Stadien verliefen meist in der gleichen Reihenfolge, nur bei Jungfrau folgte das vierte Stadium „Beißen“ gleich nach dem ersten Stadium „Verfolgen“, was wohl hinreichend durch das Nichtpräsentieren Jungfraus erklärt werden kann. Dieses abweichende Verhalten könnte eventuell durch Jungfraus Alter bedingt sein.
Vergleichen wir diese Beobachtungen mit denen Kummers ([117]) an BlutbrustpavianenTheropithecus gelada, so gilt für die Introduktionen bei Macaca fascicularis im Prinzip auch die für Theropithecus gefundene „Regel 1“: „A dyad of adult geladas goes through four stages. Stage 1 is fighting, stage 2 presenting, stage 3 mounting and stage 4 grooming“ ([117], Seite 130). Agonistische Interaktionen gingen jeweils einseitig von Nikita aus, auch wehrte sich mit Ausnahme von Barbara keines der Weibchen. Hierdurch bedingt war Stadium 1 stets „Verfolgen“. Stadium 2 und Stadium 3 sind identisch mit Kummers Stadien. Als neues Stadium kommt bei Macaca fascicularis „Beißen in den Rücken“ hinzu. Kummers Stadium 4 „grooming“ war bei Macaca fascicularis ebenfalls vorhanden.



Abbildung 14.34: Blutbrustpavian Theropithecus gelada, Wilhelma, Stuttgart

Die Javanermakaken erreichten dieses 5. Stadium der Integration (Soziale Körperpflege) erst viel später, was wiederum auf die Gruppensituation zurückgeführt werden kann.15
Diese dyadische Interaktion Nikita/neues Weibchen wurde zum gleichen Zeitpunkt überlagert durch die dyadische Interaktion Vanda/neues Weibchen, welche sich vor allem in dem Beißen des Alpha-Weibchens äußerte. Der Biss Vandas konnte vor oder nach dem Beißen des Männchens stattfinden, er ereignete sich stets dann, wenn das neuintroduzierte Weibchen auf der Flucht vor dem Männchen sich dem ruhig, scheinbar teilnahmslos sitzenden Alpha-Weibchen näherte.
Die gleichen Verhaltenssequenzen galten auch für Introduktionen in die Weibchen-Gruppe bzw. für das Zusammenlassen ranghöherer mit einem rangniedrigeren Weibchen. Hier konnte gleichfalls neben den Stadien 1 und 2 auch die Stadien 3 - 5 beobachtet werden, nur mit stärkerer zeitlicher Verzögerung.
Ein auffallender Unterschied zwischen Introduktionen in die Nikita- und in die Weibchen-Gruppe war jedoch, dass in der Nur-Weibchen-Gruppe alle Weibchen an agonistischen Interaktionen beteiligt waren, während sich in der Ein-Männchen-Gruppe agonistische Interaktionen auf Nikita und Vanda beschränkten. Durch die Anwesenheit des Männchens werden somit Interaktionen zwischen den Weibchen reguliert, dem Männchen kommt also eine Kontrollfunktion bei Gruppenauseinandersetzungen zu.
Reintroduktionen verlaufen friedlicher. Von den fünf Stadien entfallen meist Stadium 1 (Verfolgen) und Stadium 4 (in den Rücken beißen), manchmal auch Stadium 3 (Besteigen). Für den Verlauf der Reintroduktionen kommt dem Verhalten der reintroduzierten Weibchen erhebliche Bedeutung zu. Unabhängig hiervon finden wir jedoch drei verschiedene Phasen der Interaktionen. So nehmen reintroduzierte Weibchen nacheinander aktiv oder passiv Kontakt zu den ranghohen Tieren der Gruppe (1. Phase), dann zu den anderen Gruppenmitgliedern (2. Phase) auf, um dann anschließend ihren Rang zu sichern (3. Phase).
Um die unterschiedlichen Reaktionen der Individuen zu belegen, bzw. die Rangänderungen nachvollziehbar zu machen, beschreiben wir hier alle Versuchsabschnitte chronologisch. Bemerkt werden soll noch, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Introduktion kein Weibchen oestrisch war, wobei grundstzlich betont werden muss, dass ein Oestrus grundsätzlich keinen Einfluss auf die Rangordnung hat.

Kerngruppe Die Kerngruppe unserer Macaca fascicularis - Kolonie bestand aus dem Männchen Nikita und den Weibchen Vanda und Vera. Wir erhielten die drei Tiere am 21. 06. 1974.



Abbildung 14.35: Nikita droht.




Abbildung 14.36: Nikita verfolgt.




Abbildung 14.37: Nikita inspiziert.




Abbildung 14.38: Nikita steigt auf.




Abbildung 14.39: Nikita beißt in den Rücken.




Abbildung 14.40: Nikita putzt.


Nikita und Vanda wurden bereits vorher gemeinsam gehalten. Vom ersten Tag an dominierte Vanda deutlich über Vera, was sich besonders bei der Nahrungsaufnahme zeigte. Auch war Vanda an agonistischen Interaktionen kaum beteiligt, sie saß vielmehr in der Regel ruhig auf einem im Hintergrund des Käfigs angebrachten Sitzbrett. Vera hingegen wurde bei vermeintlicher Bedrohung von Nikita gebissen und stürzte daraufhin an die Vorderfront des Käfigs, um der „Störung“ (Beobachter, Tierpfleger) zu drohen. An diesem Zustand änderte sich auch nichts, als im Januar bzw. März 1975 beide Weibchen ein Junges bekamen.

Introduktion von Vema Die am 21.05.1975 importierten Macaca fascicularis-Weibchen wurden vom ersten Tag ihrer Ankunft in Kassel an gemeinsam mit Nikita, Vanda und Vera in einem Raum, jedoch in getrennten Käfigen gehalten. Am 22. Juni 1975, also knapp vier Wochen nach Import, introduzierten wir das erste „neue“ Weibchen in die Kerngruppe.
Nach kurzer Verfolgungsjagd und olfaktorischer Kontrolle der Anogenitalregion (Inspizieren ([2])) stieg das Männchen auf und biß Vema in den Rücken. Anschließend biss Vanda ebenfalls mehrfach das neuintroduzierte Weibchen. Vema blieb hierbei mit zur Wand gewandtem Gesicht sitzen, bzw. zeigte das Pressen, d. h. sie blieb mit angezogenen Gliedmassen, steif, flach bäuchlings am Boden liegen. Verletzungen konnten trotz vieler Bisse nicht festgestellt werden. Hier, wie auch bei den folgenden Introduktionen, packten sowohl Nikita als auch Vanda das Fell nur mit den Incisivi und zogen. Verletzungen resultierten dabei wohl eher aus einem Reißen der Haut als von einem Durchbiss.
Entsprechend der Introduktionsfolge nahm Vema jetzt den dritten, letzten Rang innerhalb der Weibchen ein. Rangbestimmungen erfolgten im weiteren durch regelmässige Futterkonkurrenztests.

Separierung von Vera und Paula Am 02.07.1975 separierten wir das Beta-Weibchen, Vera, gemeinsam mit seiner Tochter Paula. An der Gruppenstruktur änderte sich nichts. Vanda blieb erwartungsgemäß das Alpha-Weibchen.

Sukzessive Introduktion der vorher gemeinsam gehaltenen Weibchen Vau, Jungfrau, Blonda und Zita Vom 07. - 11. Juli 1975 introduzierten wir sukzessive die restlichen vier im benachbarten Käfig sitzenden Weibchen. Vor der Introduktion bestimmten wir ihre Rangfolge und ließen sie dann in umgekehrter Rangfolge zu. Alle vier Weibchen wurden zur Introduktion jeweils in einen Umsetzkäfig mit Kantenlänge 40 cm gesperrt, der in den Käfig der Kerngruppe 30 Minuten vor Freilassen des Weibchens gestellt wurde.
Allen vier Introduktionen war gemeinsam, (1) dass das Männchen während dieser halben Stunde nervös im Käfig herumlief, dabei zum einen jedes seiner Weibchen bedrohte,16 zum anderen den Umsetzkäfig optisch und olfaktorisch untersuchte,17 (2) dass das Männchen nach dem Freilassen die Weibchen verfolgte und nach ihnen griff, um die Anogenitalregion olfaktorisch zu prüfen, aufzusteigen und die Weibchen in den Rücken zu beißen, (3) dass die Weibchen stets auch von dem Alpha-Weibchen, Vanda, gebissen wurden.
Unterschiedlich war hier nur die individuelle Reaktion der Weibchen und damit auch der Ablauf der Introduktionen. Das am 07.07.1975 erstintroduzierte Weibchen, Vau, ließ sich widerstandslos inspizieren, beißen und besteigen (Imponierbegatten ([2])) und blieb, wie zuvor schon Vema, in Demutsstellung (Stummes Pressen([2])) sitzen. Das am 08.07.1975 nächstintroduzierte Weibchen, Jungfrau, dagegen ließ das Männchen nicht aufsteigen, vielmehr floh sie ständig vor Nikita und Vanda durch den Käfig, was zu ständiger Verfolgung und zu unzähligen Bissen sowohl durch Nikita als auch durch Vanda führte. Das erste Aufsteigen konnte erst knapp ein Jahr nach der Introduktion beobachtet werden. Die am 10.07.1975 introduzierte Blonda, das dritte Weibchen, hingegen blieb wiederum sitzen und floh nicht. 13 Sekunden nach Freilassen wurde sie bereits von Nikita und Vanda gebissen, worauf sie sofort präsentierte und im folgenden die Nähe Vandas suchte.
Bereits am nächsten Tag wurde der unterschiedliche Integrationsgrad der letzten beiden Weibchen deutlich, Blonda hielt sich stets neben Vanda auf, Jungfrau dagegen wurde ständig von Nikita verfolgt; sie versuchte, ihm auszuweichen, stand somit dem wohl angestrebten Ziel „Zusammenhalten der Gruppe“ entgegen und rief dadurch stets neue agonistische Interaktionen hervor. Das am 11.07.1975 introduzierte Weibchen Zita wiederum floh anfänglich auch vor Nikita, bis sie vier Minuten nach Freilassen von Vanda gepackt und gebissen wurde. Hierauf blieb sie in Demutstellung sitzen und ließ sich widerstandslos von Nikita inspizieren. Das erste Aufsteigen fand jedoch erst sechzehn Minuten nach Introduktion statt.

Reintroduktion von Vera und Paula Bei der am 15.08.1975 erfolgten Reintroduktion von Vera und Paula fanden keine agonistischen Interaktionen statt, Vera nahm ohne Rangstreitigkeiten wieder ihre alte Position nach Vanda in der Weibchenhierarchie ein. Nikita beschränkte sich auf bloßes Inspizieren des bei Annäherung sofort präsentierenden Weibchens. Für die zweite Position innerhalb der Weibchen kann die physische Kraft als Grund ausgeschlossen werden, verlor doch Vera durch eine Operation18 während der Separierung die Incisivi und Canini des Unterkiefers.

Introduktion von Alba Am 17.09.1975 wurde dann Alba, ein ranghohes Weibchen der Weibchen-Gruppe, introduziert. Der Verlauf des Geschehens war der Nämliche. Nach kurzer Verfolgung durch Nikita wurde Alba inspiziert, gebissen und bestiegen; nach sechsmaligem Aufsteigen ließ Nikita von Alba ab, worauf sich Vanda sofort auf sie stürzte, Alba in den Rücken biss und anschließend das fliehende Tier verfolgte.

Introduktion von Barbara Da wir nicht ausschließen konnten, dass die gemeinsame Haltung aller Makaken in einem Raum und das dadurch bedingte Sichkennen verantwortlich für die beobachteten Interaktionen war, introduzierten wir als nächstes ein neu von den Behring-Werken übernommenes Weibchen, das bis zum Moment der Introduktion keinen Kontakt zu unserer Makaken-Kolonie gehabt hatte.
Dieses Weibchen, Barbara, wurde am 10.11.1975 die ersten 20 Minuten ausschließlich mit Nikita zusammengesperrt. Dieser näherte sich, wie bei allen anderen Introduktionen, dem Weibchen, wurde aber von Barbara angegriffen und wich vor ihr. Ein Vorgang, der sich in den ersten zwei Minuten nach Introduktion dreimal wiederholte. Darauf folgte eine 12-minütige Phase von Inspektionen und Aufsteigen (Angst: Imponierbegatten), wobei jedoch erst 13 Minuten nach Introduktion der Rückenbiss erfolgte. Nach einer 5-minütigen Phase geringer sozialer Aktivität schloss sich eine kurze Phase fortwährenden Beißens an, die zum Pressen des Weibchens führte und wohl endgültig die besondere Stellung des Männchens festigte. Hierauf ließen wir die übrige Gruppe zu und konnten bereits nach 10 Minuten den Zubiss des Alpha-Weibchens beobachten. In den ersten 35 Minuten nach Vergesellschaftung mit der übrigen Gruppe zeigte Barbara das Pressen und ließ sich widerstandslos von Nikita inspizieren. Im Folgenden konnten weitere agonistisches Verhalten Aktivitäten Nikita/Barbara beobachtet werden. Daneben war auffällig, dass Vanda, Vera und Zita versuchten, sich dem neuen Weibchen zu nähern, doch wurden sie stets von Nikita verjagt.

Introduktion von Vau in die Weibchengruppe Am 02.02.1976, die Gruppenstrukturen hatten sich gefestigt, überführten wir das rangniedrigste Weibchen der Nikita-Gruppe, Vau, in die nur aus Weibchen bestehende Gruppe. Hier wurde sie sofort von den beiden ranghöchsten Weibchen, Dua und Stirni, angegriffen und in den Rücken gebissen, Vau blieb hierbei in Demutsstellung sitzen. Am nächsten Tag konnten auch agonistische Aktivitäten des Gamma-Weibchens, Mecki, beobachtet werden, das rangtiefste Weibchen, Omega, hingegen griff Vau nicht an, agonistische Aktivitäten Vaus waren ebenfalls nicht zu beobachten, es war jedoch auffällig, dass sie den angreifenden Weibchen präsentierte.



Abbildung 14.41: Die Interaktionen der ersten 20 Minuten zwischen Nikita und Barbara; durchgezogene Linie = Drohen, gestrichelte Linie = Inspizieren; B = Beißen, M = Besteigen


Introduktion von Vanda in die Weibchengruppe Am 12.02.1976 introduzierten wir das Alpha-Weibchen, Vanda, in die Weibchen-Gruppe. Vanda wurde sofort von dem dortigen Alpha-Weibchen, Dua, angegriffen und floh, im Fliehen noch die ihr bekannte Vau angreifend. Anschließend griffen auch Mecki und Omega Vanda an, wobei sich Vanda nur gegenüber Omega wehrte (einmal). Bereits am Abend des Introduktionstages hatte sie jedoch die vierte Position in der Gruppe vor Omega erlangt. In den folgenden Tagen war auffällig, dass sie besonders von Mecki angegriffen wurde und dass sie dem Alpha-Weibchen, Dua, präsentierte und von diesem auch inspiziert wurde. Bereits nach vier Tagen hatte sie ein besonderes Verhältnis zu den beiden ranghohen Weibchen hergestellt und erreichte am 5. Tag nach Introduktion die dritte Position in der Gruppe, die jedoch von Mecki nicht unangefochten blieb.
Diese labile dritte Position konnte sie in den nächsten zwei Monaten nicht verbessern, dies änderte sich auch nicht nach Introduktion ihrer Tochter Frieda (30.03.1976), obwohl diese in der großen Nikita-Gruppe die erste Position innerhalb der Weibchen trotz des Fehlens ihrer Mutter gehalten hatte, hier fiel sie auf den nach ihrer Mutter nächsten Rang ab.

Kurzfristige Introduktion von Nikita in die Weibchengruppe Erst als wir kurzzeitig Nikita am 22.04. 1976 in die Weibchengruppe introduzierten, traten Änderungen auf. Nikita inspizierte und bestieg alle Weibchen, wobei Dua ihm auswich, dann aber das Männchen aufsteigen ließ und präsentierte. Der relativ friedliche Verlauf änderte sich schlagartig als Nikita kurz hintereinander Stirni und Mecki, letztere zu dem Zeitpunkt gerade geringfügig höherrangig als Vanda, angriff und biss. Vanda stürzte sich sofort auf beide, dabei Nikita präsentierend, und fügte Stirni mehrere ernste Bissverletzungen zu, die uns veranlassten, dieses Weibchen kurzfristig aus der Gruppe zu nehmen. Anschließend richtete sich Vandas agonistisches Aktivität gegen Mecki, wobei sie jedoch stets von Dua angegriffen wurde. Bei Zulassen von Stirni war diese wiederum Hauptadressat des agonistischen Verhaltens von Vanda. Auch nach erfolgter Absperrung von Nikita behielt Vanda die zweite Position in der Gruppe und entsprechend Frieda die dritte Position inne.

Reintroduktion von Vau und Introduktion von Omega Anschließend an den letzten Versuch wurden am 26.04.1976 Vau und am 27.04.1976 Omega in die große Gruppe introduziert. Beide Weibchen ließen sich ohne zu fliehen von Nikita inspizieren und besteigen und präsentierten bei seiner Annäherung sofort. Die reintroduzierte Vau näherte sich anschließend gleich den anderen ihr bereits bekannten Weibchen, Omega hingegen hielt anfänglich Abstand, ließ sich aber auch problemlos integrieren.



Abbildung 14.42: Vanda




Abbildung 14.43: Nikita


Fusion beider Gruppen Am 24.05.1976 fusionierten wir schließlich beide Gruppen. Es war auffällig, dass Vanda alle Weibchen der anderen (alten) Gruppe angriff, mit Ausnahme der erst relativ kurz aus ihrem Bereich entfernten Omega. Vornehmlich richtete sie ihre Aktivität gegen die im mittleren Bereich sich befindenden Weibchen, Blonda und Alba, weiterhin griff sie auch Dua an und sicherte sich die Alpha-Position der Gesamtgruppe.19 Während die drei ranghöchsten Weibchen der erweiterten Nikita-Gruppe sich agonistischer Aktionen enthielten, griff Alba mehrfach Stirni an und verwies sie somit auf einen niedrigeren Rang, entsprechend dürfte auch der Angriff Barbaras auf Dua ihren höheren Status bedingen.

Das Verhalten des Alpha-Männchens und des Alpha-Weibchens

Die beschriebenen besonderen Funktionen des Alpha-Männchens, Nikita, und des Alpha-Weibchens, Vanda, bei Introduktionen können sicher auf ihre Alpha-Positionen zurückgeführt werden. Auch im normalen Zusammenleben unserer Makaken-Gruppe, die zum Zeitpunkt dieser Experimente auf dreißig Tiere angewachsen war, zeichneten sich Alpha-Männchen und Alpha-Weibchen durch besonderes Verhalten aus:

Das Verhalten der Alpha-Tiere Beide Alpha-Tiere übernehmen Verteidigungsaufgaben: So verlassen z. B. bei Flucht unserer Makakenherde in die Außengehege beide als letzte rückwärtsgehend, dabei auch oft biped aufgerichtet, die Innenkäfige, der Störung hierbei drohend, bis das letzte Gruppenmitglied vor dieser geflüchtet ist. Gleichfalls betreten sie auch wieder als erste die Innenkäfige, wobei sich Nikita weiter vorwagt. Intensiviert wird ihre Verteidigungsbereitschaft, wenn Jungtiere in den Innenkäfigen zurückgeblieben sind, dann springen sie drohend an die Vorderfront des Käfigs und greifen durch das Gitter, so den Jungtieren den Rückzug sichernd.
Beide Alpha-Tiere haben bei der Nahrungsaufnahme absolute Priorität, wobei Nikita wiederum die Priorität vor Vanda hat, wenngleich Vanda unbedroht gleichzeitig mit Nikita essen darf. Alle anderen Tiere hingegen warten die Nahrungsaufnahme durch Nikita ab.20



Abbildung 14.44: Die Interaktionen der ersten 60 Minuten nach der Fusion; durchgezogene Linie = Drohen, gestrichelte Linie = Inspizieren; gepunktete Linie = soziale Körperpflege


Beide Alpha-Tiere zeigen gegenüber anderen Gruppenmitgliedern das Verhalten des Drohens mit offenen Mund, bei Nikita oft verbunden mit Grunzlauten (stummes Drohen, bzw. Drohen mit Grunzen ([2])) . Beide Alpha-Tiere können jederzeit jedes andere Tier der Gruppe putzen, werden jedoch selber in der Regel nur nach Aufforderung geputzt.

Das Verhalten des Alpha-Männchens Nikita bedroht bei Gefahr alle Gruppenmitglieder, die sich von der Gruppe entfernen, was an Hüteverhalten bei Papio hamadryas erinnert, er besteigt bei Bedrohung sukzessive alle Weibchen der Gruppe, insbesondere diejenjgen, die Fluchtintentionen zeigen, was wiederum an Besitzsicherung bei Mantelpavianen Papio hamadryas erinnert.
Nikita interveniert bei agonistischen Interaktionen, meist bedroht er den rangniedrigeren der beiden Kontrahenten, desgleichen bedroht er auch häufig rangniedrige Tiere, die sich ranghohen nähern.
Nikita beißt und verfolgt Weibchen, die vor ihm fliehen, bzw. nach Aufsteigen vor ihm Fluchtintentionen zeigen, er bedroht ältere männliche Jungtiere, die bei adulten Weibchen aufsteigen und steigt häufig nach Verjagen der Jungtiere selber auf. Weiterhin bedroht er bei nicht vorhandener Spielappetenz auch Jungtiere, die sich ihm zu weit nähern, bzw. ihn zufällig berühren.
Nikita zeigt positive soziale Aktivität (soziale Körperpflege, Spiel) gegenüber den Weibchen meist nach Aufsteigen und mehrfach am Tage gegenüber den Jungtieren. Seine Spielappetenz äußerst sich durch kurze Hustlaute, verbunden mit tiefem Brummen, Vorschieben der Mundpartie und - hin und wieder - Hochziehen der Stirn. Bei den Spielen dürfen die Jungtiere auf ihm herumkrabbeln, ihn beißen; er wiederum zieht diese an sich, zerrt an ihnen und beißt spielerisch nach ihnen.21

Das Verhalten des Alpha-Weibchens Vanda sitzt in der Regel ruhig, scheinbar teilnahmslos auf einem erhöhten Ruheplatz, beobachtet dabei jedoch stets die übrige Gruppe.
Vanda flieht im Gegensatz zu den anderen Tieren nur sehr selten vor Nikita, in der Regel geht sie nur langsam beiseite oder wendet das Gesicht ab, dabei häufig präsentierend. Desgleichen präsentiert sie ständig bei Drohen gegenüber anderen Gruppenmitgliedern (gesichertes Drohen); wohl mit dieser permanenten Besänftigung verbunden, beschränken sich die sexuellen Interaktionen zwischen Nikita und Vanda auf Inspizieren und Aufsteigen ohne Intromission. So ist auch Vanda das einzige Weibchen der Gruppe, das nicht jährlich ein Junges bekommt.
Vanda verdrängt häufig andere Tiere von deren Platz, indem sie nach ihnen greift oder an ihnen zerrt. Bei Pressen der Weibchen konnten wir wiederholt beobachten, dass Vanda von hinten auf die Weibchen kletterte und sich sogar auf deren Kopf setzte.
Vanda beißt Tiere, die vor anderen fliehen, dabei bleibt sie in der Regel sitzen, bzw. beugt sich nur mit dem Kopf und dem Oberkörper nach vorn.
Vanda vermeidet bei dem friedlichen Näherrücken den direkten Sichtkontakt, indem sie nach oben blickt, bzw. nähert sich auch anderen Weibchen präsentierend. Entsprechendes beobachteten wir auch bei dem Zusammenlassen von Stirni mit der rangniedrigeren Omega.
Vanda sucht vornehmlich Weibchen, die Jungtiere mit sich herumtragen, auf, putzt diese, umgreift sie von hinten, bzw. versucht besonders rangniedrigen Weibchen die Jungen zu entreißen. „Gestohlene“ Jungtiere trägt sie mit sich herum und putzt sie. Das gleiche gilt für frei sich bewegende Jungtiere, nach denen sie häufig greift.

Rang und Abhängigkeit des Ranges

Bei Macaca fascicularis ist - wie auch bei anderen Makakenspecies - die Rangfolge der Weibchen linear (vgl. aber Unterkapitel 14.9). Durch unsere Untersuchungen haben wir aufgezeigt, dass diese lineare Reihenfolge auf komplexen Beziehungen beruht. Es gibt wohl zwei verschiedene Gruppen von Weibchen, nämlich potentiell ranghohe und potentiell rangniedrige (z. B. Vau und Omega). „Ranghohe“ Weibchen haben das Bestreben, ihre soziale Position zu verbessern bzw. zu sichern, „rangniedrige“ hingegen sind unsicher und erreichen trotz bester Vorbedingungen (so wurde Vema als dritte introduziert) keine höhere Position in der Gruppe, da sie keine Versuche unternehmen, ihren Rang zu verbessern, und bei agonistischen Interaktionen mit anderen Gruppenmitgliedern schnell aufgeben. Neben diesem „natürlichen“ Rang scheint der Rang des Individuums abhängig zu sein von dem Zeitpunkt der Introduktion (früher introduzierte Tiere haben einen Platzvorteil vor später introduzierten), von den Beziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern und schließlich auch von dem Verhalten des Individuums bei Erstbegegnung, nämlich dem möglichst frühen Schaffen einer guten Ausgangsposition für weitere Gruppenauseinandersetzungen. Hier ist auch ein Unterschied im Verhalten ranghöherer und rangniedriger Weibchen zu erkennen: während ranghöhere ihre Stellung sofort sichern, sind rangniedrigere unsicher.
Darüber hinaus sind verwandtschaftliche Beziehungen in Freiland-Gruppen und in zunehmendem Maße auch in unserer Kolonie für den späteren Rang entscheidend. Das „Vererben“ des Ranges auf die Jungtiere, wurde in diesem Unterkapitel für Frieda aufgezeigt, die auch bei Abwesenheit der Mutter schon im Alter von einem Jahr die höchste Rangposition in der Nikita-Gruppe hielt. Entsprechendes konnten wir später bei weiteren Jungtieren beobachten (s. u.).
Bemerkt werden soll schließlich noch, dass der Oestrus eines Weibchens zu keiner Rangverbesserung führt.

Strategien der Weibchen, eine höhere soziale Position zu erreichen

Allen Weibchen war gemeinsam, dass sie die gegen sie gerichteten agonistischen Aktivitäten durch Einnehmen einer Demutshaltung, durch Verzicht auf Flucht und Gegenwehr verringerten und durch Präsentieren sowohl dem Männchen als auch den Weibchen gegenüber die Tendenz zu einem Stimmungsumschwung verstärkten. Diese Strategie der Vermeidung agonistischer Auseinandersetzungen wurde unabhängig vom späteren Rang angewandt, bei Jungfrau nur mit großer zeitlicher Verzögerung. Das nächste Ziel war dann, zu nächstrangigen Individuen Beziehungen gegenseitiger sozialer Körperpflege herzustellen. Gelang diese „Freundschaftsstrategie“ wurde die einmal erreichte Position durch gemeinsames Bedrohen rangniedrigerer Tiere gesichert, bzw. durch Wiederholen der Strategie konsequent ausgebaut, indem nun wiederum das vorher gleichrangige Tier bedroht wurde. Hierbei können auch mehrere Rangstufen gleichzeitig übersprungen werden. So bildete z.B. Barbara zuerst zu Jungfrau besondere Beziehungen aus, dann zu Zita, so Alba überspringend.
Bei dem zum Rangaufstieg notwendigen Einsatz des Individuums muss dieses seine eigene soziale Position richtig einschätzen, um Mehrfrontenkämpfe, verbunden mit hoher Verletzungsgefahr, zu vermeiden. Die einmal erreichte Position wird anfangs auch durch erhöhte agonistische Aktivität gegenüber den rangniedrigeren verstärkt. Dies ist besonders auffallend bei rangmittleren Weibchen, ihre höhere agonstische Aktivität ist wohl bedingt durch ihre labile Position in der Gruppe. Weiterhin ist für den Rangaufstieg wichtig, dass die Weibchen gegebene Chancen konsequent nutzen. Hier dürfte der individuellen Fitness besondere Bedeutung zukommen.
Das Beispiel perfekt angewandter Strategien zeigte Vanda. Bei ihrer Introduktion in die Weibchengruppe vermied sie jegliche agonistische Auseinandersetzungen mit ihr fremden Tieren, bzw. ertrug gegen sie gerichtete Aktivitäten passiv, dabei jedoch den höheren Rang gegenüber der ihr bekannten Vau sichernd. Nach erfolgter Beruhigung in der Gruppe erreichte sie durch gezieltes Drohen gegenüber der rangniedrigen Omega eine höhere Position. Danach stellte sie besondere Beziehungen gegenseitiger sozialer Körperpflege zu den beiden ranghöchsten Individuen (Dua, Stirni) her, so tendenziell Mecki überspringend. Ihre labile dritte Position versuchte sie nicht auszubauen. Erst als der kurzfristig introduzierte Nikita Stirni angriff, reagierte sie sofort, griff das Weibchen an und verstärkte ihre einmal erreichte Rangposition durch unzählige Bisse. Den nun erlangten zweiten Rang konnte sie nicht verbessern. Schließlich richtete sie bei der Fusion der beiden Gruppen ihre agonistischen Aktivitäten vornehmlich gegen die wegen deren labiler Position besonders „gefährlichen“ rangmittleren Weibchen, während sie die ranghöheren, inclusive Dua, auf eine rangniedrigere Position verwies.
Zusammenfassend konnten wir durch Introduktionen, Reintroduktionen und Fusionsexperimente mit 16 Macaca fascicularis (1 Männchen, 15 Weibchen) zeigen:
1. Bei Introduktionen kommen dem Alpha-Männchen und dem Alpha-Weibchen besondere Funktionen zu, was ihrem Verhalten in der Gruppe entspricht.
2. Die Beziehungen zwischen Alpha-Männchen und neuintroduziertem Tier verlaufen nach einer festen Regel mit verschiedenen Stadien der Integration. Auf die 1. Stufe „Verfolgen“ (durch das Männchen), folgt die 2. Stufe „Präsentieren“ (des Weibchens), die 3. Stufe „Besteigen“ (durch das Männchen), die 4. Stufe „Beißen in den Rücken“ (durch das Männchen) und schließlich die 5. Stufe „gegenseitige soziale Körperpflege“. Die gleiche Regel gilt auch für die dyadischen Beziehungen in der Nur-Weibchen-Gruppe.
3. Das Alpha-Weibchen beißt gleich zu Beginn der Introduktion - vor oder nach dem Männchen - das neuintroduzierte Tier.
4. Bei den Weibchen scheint es im Sinne eines natürlichen Ranges ranghohe und rangniedrige Individuen zu geben. Der spätere Rang ist darüber hinaus abhängig von unterschiedlichen Faktoren, wie Zeitpunkt der Introduktion und Beziehungen zu anderen Individuen.
5. Weibchen wenden zur Erreichung eines höheren Ranges bestimmte Strategien an, wobei zwei grundsätzliche Strategien erkannt wurden, die Strategie der Vermeidung agonistischer Auseinandersetzungen und die Strategie der Herstellung von Beziehungen gegenseitiger sozialer Körperpflege zu ranghöheren Tieren.

14.3 Systematische Experimente zur Rangordnung

Bei der experimentellen Gruppenbildung22 unserer Javanermakakenkolonie in den Jahren 1975 bis 1976 (vgl. 14.2) schien es so, als gäbe es im Sinne eines natürlichen Ranges hochrangige und niederrangige Individuen. Diese unterschieden sich in ihrem Verhalten während der Introduktionsversuche voneinander. Der endgültige Rang hing zusätzlich von verschiedenen Faktoren ab, wie vom Zeitpunkt der Introduktion und von Beziehungen zu anderen Tieren der Gruppe. Ziel vorliegender Untersuchung war es daher, durch geeignete Versuchsanordnungen zu klären, inwieweit der endgültige Rang mehr oder weniger zufällig ist, oder aber ob der Rang als eine Eigenschaft des Individuums angesehen werden kann. Ist ein Rangplatz von Zufällen abhängig, dann dürfte die frühere soziale Erfahrung die Rangordnung in einer neu etablierten Gruppe nur wenig beeinflussen. Wäre dagegen der Rang eine Eigenschaft des Individuums, dann müsste unser Wissen über den relativen Rang eines Individuums Voraussagen über den späteren Rang unter neuen sozialen Bedingungen zulassen.23 Neben der auffälligen linearen Dominanzhierarchie sind Verwandtschaftsbeziehungen („kinship-relations“) von hoher Bedeutung für die Makakensozialstruktur (vgl. 14.4). Zudem wollten wir nach Gesetzmäßigkeiten suchen, die die sozialen Beziehungen in der Gruppe regeln.24

14.3.1 Versuchsbedingungen

Versuchstiere

Zwölf der zu Versuchsbeginn in Kassel gehaltenen 29 Macaca fascicularis waren Wildfänge, die restlichen 17 wurden in den letzten Jahren in Kassel geboren. Während der Untersuchung nahm die Gruppe durch weitere Geburten um neun Tiere zu; ein Weibchen starb an Geburtskomplikationen; so dass die Gruppe zu Ende der Untersuchungen aus 37 Individuen bestand. Bei der Auswertung wurden die Daten derjenigen Tiere berücksichtigt, die während der gesamten Untersuchung im Gruppenverband anwesend waren. Zudem verzichteten wir auf die Darstellung der Ergebnisse dreier „mutterloser“ Individuen (Birgit, Benni, Vemo). Die vorgestellten Daten beziehen sich also auf 25 der 28 Individuen (vgl. Tabelle 14.2)

Haltungsbedingungen

Die Haltungsbedingungen sind in Unterkapitel 14.2.1 beschrieben. Zusätzlich waren für indirekte Beobachtungen drei Videokameras fest montiert, zwei Kameras lieferten Übersichtsbilder über den Haltungskäfig 1 bzw. die Haltungskäfige 2 a bis 2 c; die dritte war beweglich und steuerbar (Schwenk- und Neigekopf, Zoom, Blende, Scharfeinstellung).



Abbildung 14.45: Benni wuchs in meinem Privathaushalt auf.




Abbildung 14.46: Er konnte sich in der Regel frei in der Wohnung bewegen.




Abbildung 14.47: Poldi vom Stein war auch an Benni interessiert.




Abbildung 14.48: Benni flüchtete bei Gefahr (Besuch von Studenten) in den Bart von Poldi, der dies zwar nicht mochte, doch duldete.



Tabelle 14.2: Ausgangspopulation 1979
-------------------------------------------------------
-Name-------Geschlecht----Ankunft----Herkunft/Eltern---
 Nikita         m        21.06.1974       Behring
 Vanda           f       21.06.1974       Behring

 Vera            f       21.06.1974       Behring
 Vau             f       21.05.1975        Import
 Jungfrau        f       21.05.1975        Import
 Blonda          f       21.05.1975        Import

 Zita            f       21.05.1975        Import
 Alba            f       21.05.1975        Import
 Barbara         f       09.11.1975       Behring
 Stirni          f       21.05.1975        Import
 Mecki           f       21.05.1975        Import

 Omega           f       21.05.1975        Import
 Frieda          f       30.01.1975    Nikita/Vanda
 Birgit          f       29.02.1976     Nikita/Vema
 Berni          m        02.06.1976    Nikita/Blonda
 Orbi           m        07.07.1976    Nikita/Barbara

 Benni          m        20.09.1976      Nikita/Dua
 Majo           m        11.03.1977     Nikita/Mecki
 Max            m        27.03.1977     Nikita/Alba
 Tritus         m        21.05.1977     Nikita/Vera
 Vemo           m        19.06.1977     Nikita/Vema

 Ernst          m        21.08.1977    Nikita/Blonda
 Flava           f       10.09.1977      Nikita/Zita
 Itta            f       20.09.1977     Nikita/Stirni
 Paul           m        28.12.1977    Nikita/Omega
 Christa         f       02.01.1978      Nikita/Vau

 Protus         m        24.15.1978   Nikita/Jungfrau
-Calva-----------f-------25.05.1978-----Nikita/Mecki----


Tabelle 14.3: Während der Untersuchung geborene Tiere
------------------------------------------------------
-Name-------Geschlecht---Ankunft-----Herkunft/Eltern--
 Schmidt        m       27.01.1979    Nikita/Blonda
 Oscar          m       07.02.1979   Nikita/Barbara

 Heinz          m       15.02.1979    Nikita/Stirni
 Rudi           m       21.02.1979     Nikita/Alba
 Senia          f       27.02.1979     Nikita/Zita
 Sascha         m       27.02.1979     Nikita/Vera

 Timo           m       08.03.1979     Nikita/Vau
 Cornelia       f       10.06.1979    Nikita/Mecki
 Julia          f       04.10.1979    Nikita/Omega
 Neo            m       17.06.1980   Nikita/Jungfrau
------------------------------------------------------

Beobachtungsbedingungen

Die Interaktionen der Tiere wurden täglich drei Stunden durch zwei von sechs Beobachtern protokolliert. Dabei achteten wir darauf, dass jede Stunde der Aktivitätszeit (7.00 bis 19.00 Uhr) dreimal berücksichtigt war und verschoben hierzu den Beginn der im Block stattfindenden dreistündigen Beobachtungen täglich um eine Stunde. Im einzelnen protokollierten wir die Interaktionen der Gesamtgruppe (ein Beobachter 2,5 Stunden) und einzelner Individuen (ein Beobachter 0,5 Stunden).25

Dominanzbestimmungen

Nach jedem Experimentalschritt, der gewöhnlich zwölf Tage dauerte, führten wir einen Futterkonkurrenztest durch. Hierbei wurde jedes der adulten Weibchen sukzessive mit jedem anderen adulten Weibchen der Gruppe abgesperrt. Das Vorgehen ist in Unterkapitel 14.2.1 bereits beschrieben.


Tabelle 14.4: Experimentalschritte I
-------------------------------------------------------
-E.S.--Vorgehen----------------------------------------
 1.0   Beobachtungen   der Gesamtgruppe   (Gruppe  A)
 1.1   Separation  von Nikita

 1.2   Reintroduktion  von Nikita
 1.3   Separation  von Vanda
 1.4   Reintroduktion  von Vanda
 1.5   Separation  von Frieda

 1.6   Reintroduktion  von Frieda
 1.7   Separation  von Nikita, Vanda und  Frieda
 1.8   Reintroduktion  von Frieda
 1.9   Reintroduktion  von Vanda
 1.10  Reintroduktion  von Nikita

 1.11  Separation  von Blonda, Vera und  Mecki
 1.12  Reintroduktion  von Blonda, Vera  und Mecki
 2.0   Beobachtungen   der Gesamtgruppe   A
 2.1   Separation  von Stirni, Vau und  Omega
       Etablierung  einer neuen Gruppe   (Gruppe   B)

 2.2   Separation  von Jungfrau aus Gruppe  A  und
       Introduktion in Gruppe  B
 2.3   Separation  von Alba aus Gruppe  A  und
       Introduktion in Gruppe  B
 2.4   Separation  von Barbara aus Gruppe   A und

       Introduktion in Gruppe  B
 2.5   Separation  von Zita aus Gruppe  A und
       Introduktion in Gruppe  B
 2.6   Separation  von Blonda aus Gruppe   A und
       Introduktion in Gruppe  B

 2.7   Separation  von Vera aus Gruppe  A  und
       Introduktion in Gruppe  B
 2.8   Separation  von Mecki aus Gruppe  A  und
       Introduktion in Gruppe  B

 2.9   Separation  von Frieda  aus Gruppe  A und
       Introduktion in Gruppe  B
 2.10  Separation  von Vanda  aus Gruppe  A und
       Introduktion in Gruppe  B
 2.11  Introduktion von  Nikita in die Gruppe

-------Abschluss--der-2. Versuchsserie-----------------


Tabelle 14.5: Experimentalschritte II
------------------------------------------------------------------
-E.S.--Vorgehen---------------------------------------------------
 3.0   Beobachtungen   der Gesamtgruppe
 3.1   Separation  von Jungfrau, Vau und  Omega

       Etablierung  einer neuen Gruppe   (Gruppe   B’)
 3.2   Separation  von Alba aus Gruppe  A  und
       Introduktion in Gruppe  B ’
 3.3   Separation  von Zita aus Gruppe  A und

       Introduktion in Gruppe  B ’
 3.4   Separation  von Barbara aus Gruppe   A und
       Introduktion in Gruppe  B ’
 3.5   Separation  von Vera aus Gruppe  A  und
       Introduktion in Gruppe  B ’

 3.6   Separation  von Blonda aus Gruppe   A und
       Introduktion in Gruppe  B ’
 3.7   Separation  von Stirni aus Gruppe  A  und
       Introduktion in Gruppe  B ’
 3.8   Separation  von Mecki aus Gruppe  A  und

       kurzfristige Introduktion in Gruppe  B ’
 4.0   Separation  von Jungfrau, Omega  und  Vau aus Gruppe   B’
 4.1   Reintroduktion  von Jungfrau  in Gruppe  B ’
 4.2   Reintroduktion  von Omega   in Gruppe   B’
 4.3   Reintroduktion  von Vau  in Gruppe   B’

 4.4   Separation  von Mecki aus Gruppe  A  und
       Introduktion in Gruppe  B ’
 4.5   Separation  von Frieda  aus Gruppe  A und
       Introduktion in Gruppe  B ’
 4.6   Separation  von Vanda  aus Gruppe  A und

       Introduktion in Gruppe  B ’
 4.7   Introduktion von  Nikita in Gruppe  B ’
       Abschluss  der 3. und 4. Versuchsserie
 5.0   Beobachtungen   der Gesamtgruppe

 5.1   Beobachtungen   der Gesamtgruppe
-5.2---Beobachtungen---der-Gesamtgruppe---------------------------

14.3.2 Verlauf und Ergebnisse der Versuchsvorhaben

Stabilität der sozialen Beziehungen

Die bei Abschluss der Gruppenbildung (Mai 1976) entstandene Rangordnung blieb im Wesentlichen stabil und änderte sich auch nicht im Zusammenhang mit Geburten und dem Heranwachsen von Jungtieren.26
Um zu prüfen, inwieweit die Ränge und damit die sozialen Positionen der einzelnen Individuen abhängig von besonderen Beziehungen zu anderen Individuen sind, führten wir von Januar bis Mai 1979 einige Separations- und Reintroduktionsexperimente durch (E.S. 1.0 bis 2.1).
Wir separierten das Alpha-Männchen (E.S. 1.1), das Alpha-Weibchen (E.S. 1.3) und das Beta-Weibchen (E.S. 1.5), bzw. alle drei Individuen gemeinsam (E.S. 1.7) und reintroduzierten sie in die Gruppe (E.S. 1.2, 1.4, 1.6, 1.8, 1.9, 1.10). Zudem separierten wir drei ranghöhere (E.S. 1.11) und drei rangniedrige Clane (E.S. 2.1). Offensichtliches Ergebnis dieser Versuchsserie war nun, dass die Abwesenheit der jeweils separierten Individuen für die Rangstruktur der Gruppe keine Bedeutung hatte. Der Gruppenzusammenhalt blieb auch ohne Alpha-Männchen, Alpha-Weibchen und Beta-Weibchen erhalten, die Häufigkeit agonistischer Interaktionen nahm nicht zu, vielmehr erhöhten sich nach der Separierung der beiden ranghöchsten Weibchen die positiv-sozialen Interaktionen sogar, was aber nicht zwingend das Resultat der Separation war, sondern eventuell auch auf die abgeschlossene Geburtensaison zurückgeführt werden kann.
Auffällige Änderungen beobachteten wir bei juvenilen Männchen, zeigten diese doch erst nach der Separation von Nikita, dem Alpha-Männchen, untereinander agonistisches Verhalten.27
Durch ihr Verhalten bei der Abwesenheit von Nikita sicherten sich die Männchen untereinander offensichtlich den Rang der jeweiligen Mutter, dabei gingen sie äußerst „sparsam“ vor (s. o.) und bedrohten in der Regel nur Söhne von solchen Müttern, die ihren eigenen Müttern gegenüber nächstrangig waren. Desweiteren versuchten die juvenilen Männchen nun die Weibchen zu kontrollieren, hierdurch die „Aufgaben“ des Alpha-Männchens übernehmend.28
Die juvenilen Männchen beschränkten sich dabei auffällig auf Weibchen, die rangniedriger waren als ihre eigenen Mütter.
Wir können hier nicht entscheiden, ob das Verhalten der Weibchen, gerade mit rangbenachbarten Individuen enge soziale Kontakte zu unterhalten, für das Aufrechterhalten der sozialen Bindungen verantwortlich war oder ob das Verhalten der juvenilen Männchen als der Faktor der Gruppenstabilität gelten kann, dass also ohne diese die Gruppenstruktur verändert worden wäre. Doch bleibt auch bei Annahme einer solchen Funktion juveniler Männchen das Ergebnis unerwartet: Die sozialen Beziehungen sind konstant, auch wenn die Tiere, die eindeutig und unbestreitbar das Zusammenleben steuern und regulieren, abwesend sind. Sichtbar hielt das Netzwerk sozialer Beziehungen, das die Tiere in den vorausgegangenen Jahren aufbauen konnten, auch solchen Belastungen stand.
Daher versuchten wir durch geeignete Versuchsanordnungen, dieses feste Gruppengefüge zu lösen. Da die sozialen Beziehungen der einzelnen Gruppenmitglieder vor allem auf Rangbeziehungen beruhten, sollten die Ränge der einzelnen Individuen experimentell geändert werden. Durch diese Versuche konnte gleichzeitig die Frage nach einer eventuellen Disposition experimentell angegangen werden.



Abbildung 14.49: Die Nikita-Gruppe war durch Geburten erheblich angewachsen (Vanda, Nikita, Zita, Vera, Max, Alba).


Experimentelle Rangänderungen

Von unseren Introduktionsexperimenten bei Gruppenbildung wussten wir, dass der Introduktionszeitpunkt von hoher Bedeutung für die spätere soziale Stellung des Individuums ist, dass es für später hinzukommende Tiere weitaus schwieriger ist als für die bisherigen Gehegebewohner, sich in der Gruppe durchzusetzen. Daher beschlossen wir, den rangniedrigen Clanen Platzvorteile zu geben, so ihnen experimentell bessere Startchancen verschaffend. Tiere, die hierdurch ranghoch wurden, bezeichnen wir im folgenden als „künstlich ranghohe“ Individuen.

Bildung der Ausgangsgruppe und erste Introduktionsversuche Zu Beginn dieser Experimente separierten wir die drei rangniedrigsten Clane (E.S. 2.1) und hielten diese 14 Tage gemeinsam in den Käfigen 2-4 des Haltungsraumes. In dieser Gruppe war Stirni eindeutig ranghöchstes Weibchen, ihre Tochter Itta hielt unangefochten die 2. Rangposition. Agonistische Interaktionen zwischen Vau und Omega konnten nicht beobachtet werden. Doch ergab der Futterkonkurrenztest zu Ende der 14 Tage, dass Vau eindeutig ranghöher als Omega war, dass also die Rangbeziehungen in der Ausgangsgruppe unverändert erhalten blieben.
Bei den nun im vierzehntägigen Abstand folgenden Introduktionen der übrigen Clane entgegengesetzt zur Rangfolge war auffälligstes Ergebnis, dass die ehemals ranghöheren Weibchen von den drei vorher rangniedrigsten Clanen der Ausgangsgruppe angegriffen, gebissen und gejagt wurden; dies beobachteten wir bei der Introduktion von Jungfrau (E.S. 2.2), Alba (E.S. 2.3), Barbara (E.S. 2.4), Zita (E.S. 2.5, Blonda (E.S. 2.6) und Vera (E.S. 2.7). Stirni und Itta erreichten hierdurch stets unbestritten die höchsten Rangpositionen in der Gruppe, waren also (wenn auch „künstlich“) Alpha- und Beta-Weibchen und vom Verhalten her vergleichbar mit Vanda und Frieda in der Gesamtgruppe. Entsprechend konnten auch Vau und Omega ihren höheren Rang halten, wenngleich Omega den dritten Rangplatz vorübergehend an Jungfrau verlor. Doch waren die „künstlich ranghohen“ Weibchen nicht in der Lage, sich auch gegenüber dem juvenilen Männchen Berni durchzusetzen. Vau und Omega gelang dies zudem auch nicht bei Tritus und Ernst.
Theoretisch hätte es nun sein können, dass die resultierende neue Rangordnung sich genau entgegengesetzt zur alten (in der Gesamtgruppe) etablieren würde, dass also die jeweils zuletzt introduzierten Tiere auch die niedrigsten Positionen einnehmen würden, doch war dies auffällig nicht der Fall. Einige Weibchen, Barbara, Zita, Blonda und Vera, konnten sich zwar gegenüber den drei „künstlich ranghohen“ Clanen und gegenüber der erstintroduzierten Jungfrau nicht durchsetzen, bedrohten aber die vor ihnen Introduzierten (Barbara: Alba (E.S. 2.4), Zita: Barbara und Alba (E.S. 2.5), Blonda: Barbara und Alba, nicht jedoch Zita (s. u.) und Vera schließlich Blonda, Barbara und Alba). Sie sicherten sich gegenüber den von ihnen bedrohten Tieren ihre ursprünglich höheren Positionen in der Gruppe, ein Verhalten, das wir „Rangsicherungsverhalten“ genannt haben.29
Eine ganz andere Qualität hatte die Introduktion des Mecki-Clanes, Mecki wurde zwar gleich nach Betreten des Käfige ebenfalls von den drei „künstlich ranghohen“ Weibchen und deren Kindern angegriffen, konnte sich jedoch in einem ca. einstündigen Kampf behaupten und die Position des Alpha-Weibchens in der neuen Gruppe einnehmen. Dabei bedrohte sie alle anderen Weibchen der Gruppe und deren Kinder (E.S. 2.8). Nämliches galt für ihren Sohn Majo und eingeschränkt für ihre Tochter Calva, die sich gegenüber Berni und Orbi, den zwei ältesten juvenilen Männchen nicht durchsetzte. Im Zuge dieser agonistischen Auseinandersetzungen gelang es den adulten Weibchen, die vorher auch das „Rangsicherungsverhalten“ gezeigt hatten, nun ihren Rang zu verbessern, sie bedrohten die „künstlich Ranghohen“ und sicherten sich hierdurch mehr oder weniger ihre alten Positionen. Barbara bedrohte zudem auch Zita und tauschte mit ihrem ehemaligen Rangpartner die Position, Nämliches galt für Blonda und Vera.
Auffälligerweise zeigten jedoch Jungfrau und Alba das „Rangverbesserungsverhalten“ nicht, entsprechend behielten diese auch im Vergleich zu Stirni, Vau und Omega ihre niedrigeren Rangpositionen. Alba stellte nur im Verhältnis zur vorher Rangnächsten, Jungfrau, die alte Rangfolge wieder her. Die Introduktionen von Frieda, Vanda und Nikita änderten an dem Ranggefüge nichts mehr. Nach ihren Introduktionen nahmen alle drei jeweils unbedroht und unangefochten ihre alten Positionen ein.
Offensichtlich gibt es also - wie in Unterkapitel 14.1 bereits betont - Weibchen unterschiedlicher Qualität, 1. Weibchen, die auch in neuen Situationen ihre alten Positionen behaupten können, wollen wir als “ranghoch“ bezeichnen, 2. Weibchen, die sich zwar in neuen Situationen nicht durchsetzen können, jedoch versuchen, ihre alten Rangbeziehungen gerade zum ehemals Rangnächsten zu sichern und darüber hinaus offensichtlich auf die Chance warten, ihren Rang in sozialen Konfliktsituationen zu verbessern, wollen wir als „rangmittel“ bezeichnen, 3. Weibchen, die weder „Rangsicherungs-“ noch „Rangverbesserungsverhalten“ zeigen, als „rangniedrig“.



Abbildung 14.50: Unabhängig von unserem experimentellen Vorgehen, zogen die Javanermakaken-Mütter (hier: Barbara) ihre Jungtiere auf.


Kontrollversuch Eine mögliche Erklärung des bisherigen Versuchsergebnisses hätte sein können, dass es sich bei Stirni in Wirklichkeit um gar kein rangniedriges Weibchen handelte, dass sie in Wirklichkeit ranghoch war und nur durch negativ-soziale Beziehungen zu den ranghöchsten Individuen der Gruppe einen niedrigeren Rangplatz in der Hierarchie einnahm. Um dies auszuschließen, führten wir einen Kontrollversuch durch (E.S. 3.0 bis 3.8), bei dem wir erneut drei rangniedrige Clane separierten, diesmal jedoch ohne Stirni und Itta. Stattdessen sperrten wir zusätzlich zu Vau/Christa und Omega/Paul nun Jungfrau und ihren Sohn Protus ab. Jungfrau war zu diesem Zeitpunkt eindeutig rangniedrigstes Weibchen in der Gesamtgruppe.
In der neuen Ausgangsgruppe blieben wiederum die alten Rangbeziehungen erhalten. Vau war ranghöchstes Weibchen, ihre Tochter Christa hielt die zweite Position. Nach vierzehntägiger gemeinsamer Haltung introduzierten wir dann erneut sukzessive die übrigen Clane entgegengesetzt zur nun in der Gesamtgruppe bestehenden Rangordnung (Stirni introduzierten wir jedoch aus oben genannten Gründen. abweichend vom generellen Versuchsaufbau, als letztes Weibchen vor Mecki).
Augenscheinlichstes Ergebnis des gesamten Kontrollversuchs war nun, dass wieder die drei adulten Weibchen der Ausgangsgruppe die höchsten Rangpositionen hielten. Auch zeigten diesmal Zita, Barbara, Vera und Blonda „Rangsicherungsverhalten“, nicht jedoch Alba und Stirni. Zita gelang es zudem, genauso wie bei den vorangegangenen Experimenten, besondere Beziehungen zu den ranghöchsten Weibchen (den „künstlich Ranghohen“) aufzubauen; sie erlangte hierdurch in der neuen Gruppe eine relativ hohe Rangposition. Da die Introduktion des Mecki-Clanes die nämlichen Ergebnisse erbrachte wie bei dem vorangegangenen Versuch, - Mecki war unbestritten ranghöchstes Weibchen, die rangmittleren Weibchen begannen die „künstlich Ranghohen“ zu bedrohen - brachen wir diesen Versuch nach dreißig Minuten ab, sperrten den Mecki-Clan wieder zu Nikita/Vanda/Frieda und hielten die übrigen Tiere in unveränderter Zusammensetzung. In den nächsten vier Wochen änderte sich an den sozialen Beziehungen nichts mehr. Die bisher introduzierten adulten Weibchen und ihre Kinder waren offensichtlich nicht in der Lage, ohne „Anstoß“ von außen ihre ursprüngliche Position zu erreichen.

Weitere Introduktionsversuche Aus der Gruppe, die aus Weibchen rangniedriger und rangmittlerer Clane bestand und in der die rangniedrigen Clane „künstlich ranghoch“ waren, separierten wir daher die „künstlich Ranghohen“. Durch den Wegfall dieser Individuen änderte sich nur wenig, die übrigen Tiere behielten mehr oder weniger ihre bisherige Position, Rangwechsel fanden nur zwischen Blonda/Zita und Stirni/Alba statt. Damit stellten Stirni und Blonda jeweils die ursprünglichen Situationen in der Gesamtgruppe wieder her.
Anschließend introduzierten wir dann sukzessive die „künstlich Ranghohen“ entgegengesetzt zur Rangfolge. Nun war keines der „künstlich ranghohen“ Individuen in der Lage, sich in der Gruppe, in der sie vormals unangefochten die höchsten Ränge gehalten hatte, zu behaupten. Die „künstlich Ranghohen“ mussten sich vielmehr mit den untersten Rangplätzen zufrieden geben.30



Abbildung 14.51: Mecki war eine beeindruckende Persönlichkeit.


Die Introduktion von Mecki war diesmal qualitativ verschieden von den vorherigen, zwar schaffte es Mecki während der ersten drei Stunden nach Introduktion mühelos, die anderen adulten Weibchen zu kontrollieren, doch konnte sie sich nicht gegenüber Berni und Orbi durchsetzen. Dies könnte auch der Grund sein, warum Mecki ca. sechs Stunden nach Introduktion wohl auch von adulten Weibchen gebissen und niedergekämpft wurde, versuchsplanbedingt haben wir diese Interaktionen nicht beobachtet. Nach Aussagen unserer Tierpfleger hat sich ein ganzer Pulk von Gruppenmitgliedern wohl gleichzeitig auf Mecki gestürzt. Wir sahen nur das Ergebnis, Mecki saß schwer verletzt in einer Käfigecke am Boden, ihre jüngste Tochter an sich gepreßt und in engem Körperkontakt mit ihrer ebenfalls verletzten Tochter Calva.31 Hierdurch sank Mecki im Rang; bei Futterkonkurrenztests zeigte sie nur gegenüber Jungfrau agonistische Reaktionen. Nun war Blonda unbestritten ranghöchstes Weibchen und Berni, ihr ältester Sohn, ranghöchstes Männchen, Orbi zweitrangiges Männchen.
Da die anschließenden Introduktionen von Frieda, Vanda und Nikita ohne agonistische Auseinandersetzungen erfolgten, diese drei also erneut unbestritten die ranghöchsten Positionen einnahmen, gab es auch keine Chance für Mecki, ihren Rang schlagartig zu verbessern. Sie verbesserte diesen vielmehr Schritt für Schritt.



Abbildung 14.52: Vanda wirkte friedlich und unscheinbar, doch kontrollierte sie mühelos (mit Ausnahme von Nikita) alle anderen Gruppenmitglieder.


Es sei hier bemerkt, dass Berni, Orbi und Majo bei Friedas Introduktion versuchten, diese zu inspizieren und zu besteigen und somit zu kontrollieren. Frieda nahm jedoch offensichtlich kaum Notiz von den jungen Männchen und bedrohte unabhängig von dem, was „hinter ihr geschah“, adulte Weibchen. Wurde sie von einem der Männchen bestiegen, drehte sie sich leicht um und führte mit ihrer Hand einen Schlag gegen den Kopf oder Körper des Aufsteigers. Teilweise führte dies dazu, dass die juvenilen Männchen sich nicht mehr auf dem Brett halten konnten.

Schlussfolgerung

Offensichtlich waren alle unsere Individuen in der Lage, einen hohen Rang zu halten. Der Rang eines Individuums in einer bestehenden Gruppe ist somit relativ und vor allem von den anderen Gruppenmitgliedern abhängig. Doch gibt es nach unseren Befunden Gruppenmitglieder unterschiedlicher Qualität, deren Qualität wir mit ranghoch, rangmittel und rangniedrig umschrieben haben. Der Rang wäre demnach ein Maßstab der sozialen Fitness und Eigenschaft des Individuums, was natürlich nicht zwangsläufig bedeutet, dass jedes Individuum in jeder sozialen Situation auch seinen Platz halten muss.
Beide Fragen, die nach dem Vorteil und die nach dem Reproduktionserfolg, können insofern abschließend nicht beantwortet werden. Insgesamt gesehen wäre der Vorteil wohl auf beiden Seiten, Ranghohe verteidigen die Gruppe, Rangniedrige weisen (eher unbewußt) neue Wege. Durch deren zwangsläufig höhere Mobilität könnten zumindest theoretisch neue Nahrungsressourcen und neue Lebensräume für die Gruppe erschlossen werden. Wir haben zudem gezeigt, dass zumindest in Menschenobhut bei der Bildung und bei dem Aufrechterhalten der Rangordnung verwandtschaftliche Beziehungen von hoher Bedeutung sind.

14.4 Rolle und Rang

In unserer Kolonie32 können wir nach ihrem Verhalten sechs verschiedene Typen von Individuen unterscheiden, nämlich drei, die jeweils nur durch ein Individuum repräsentiert sind ((1) Alpha-Männchen, (2) Alpha-Weibchen und (3) Beta-Weibchen), (4) die adulten Weibchen mit Ausnahme des Alpha- und Beta-Weibchens, (5) die juvenilen Männchen und (6) die juvenilen Weibchen. Der grundsätzliche Befund, dass wir nach dem Verhalten verschiedene Typen von Individuen unterscheiden können, gilt wohl grundsätzlich für alle Makakenspecies. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass Weibchen und Männchen generell unterschiedliches Verhalten zeigen.



Abbildung 14.53: Vanda präsentierte Nikita, auch wenn dieser kein Interesse an ihr zeigte.


Ziehen wir zusätzlich in Betracht, dass adulte Individuen andere Verhaltensmuster zeigen als juvenile und infantile, so wären 4 Typen von vornherein zu erwarten, nämlich 1. adulte Männchen, 2. adulte Weibchen, 3. juvenile Männchen und 4. juvenile Weibchen. Von diesen vier Typen waren zum Zeitpunkt der Datenerhebung für die hier vorgestellten Befunde nur drei in unserer Gruppe hinreichend vertreten, fehlten doch bedingt durch die Gruppenbildung aus einem adulten Männchen und mehreren adulten Weibchen (noch) weitere adulte Männchen. Von den drei weiteren von uns herausgestellten Typen wird nur der des Alpha-Männchens in der Literatur hinreichend berücksichtigt.

14.4.1 Zum Verhalten des Alpha-Männchens

Das Verhalten des Alpha-Männchens haben wir bereits ausführlich beschrieben (vgl. Unterkapitel 14.2.2), ihm kommt ohne Zweifel die Führungsposition in der Gruppe zu, es allein kann alle anderen Individuen der Gruppe bedrohen, niemals war irgendein agonistisches Verhalten gegen es gerichtet. Während unserer Beobachtungen war das Alpha-Weibchen das einzige Tier der Gruppe, das regelmässig den Kontakt zum Alpha-Männchen suchte. Die übrigen Mitglieder der Gruppe verhielten sich ihm gegenüber passiv, Kontakte gingen fast ausschließlich vom Alpha-Männchen aus und waren - sehen wir einmal von solchen zu oestrischen Weibchen ab - vornehmlich agonistisch. Bei abnehmender Gruppengröße nahmen seine Interaktionen zu den jeweils noch in der Gruppe verbliebenen Weibchen zu. Geburten in der Gruppe beeinflussten sein generelles Verhalten nicht, doch war auffällig, dass es die an sich schon geringen Kontakte zu anderen Weibchen nach den Geburten noch weiter reduzierte. Sein agonistisches Verhalten richtete es vornehmlich gegen alle männlichen Jungtiere (Majo, Berni, Ernst, Orbi, Max, Protus, Paul) bzw. gegen die Mütter der ranghöchsten juvenilen Männchen (Majo, Berni), nämlich gegen die adulten Weibchen Mecki und Blonda. Die besondere Stellung des Alpha-Männchens wird für alle Makakengruppen im Freiland und im Labor beschrieben, ihm kommt eine Kontrollfunktion zu, durch seine Interventionen werden agonistische Auseinandersetzungen beendet; es verhindert hierdurch stärkere Verletzungen. Darüber hinaus ist das Alpha Männchen der Beschützer der Gruppe. Wie wir gezeigt haben, wird die Bedeutung des Alpha-Männchens der Javanermakaken für den Gruppenzusammenhalt jedoch häufig überschätzt. Besondere Bedeutung kommt ihm sicher bei der Gruppenneubildung, gerade im Labor, zu. In einer bestehenden Gruppe hingegen ändert sich bei seiner Abwesenheit nur wenig. Auch unterstützt das Alpha- Männchen der Javanermakaken nicht den Angegriffenen, sondern beteiligt sich auch zugunsten des Angreifers und bedroht gemeinsam mit diesem den Unterlegenen.



Abbildung 14.54: Das Alpha-Männchen Nikita


Durch seine Interventionen werden somit, wie de Waal 1978 betont, „die Dinge oft schlimmer“.33 Eine eindeutige Kontrollfunktion übt es jedoch, was wir in dieser Arbeit aufgezeigt haben, über andere Männchen aus, es verhindert bzw. unterdrückt Kämpfe und dürfte hierdurch auch mitverantwortlich sein für die beschriebene Peripheralisierung der Männchen.34
Unsere Versuchsserie zeigte, dass die Rolle des Alpha-Männchens nicht an ein bestimmtes Männchen gebunden ist, bei Abwesenheit des momentanen Alpha wird dessen Position von einem anderen Männchen übernommen, das sich dann auch gegenüber den übrigen Männchen in der Gruppe durchsetzt und die vormals zu diesen bestehenden Kontakte reduziert.

14.4.2 Zum Verhalten des Alpha-Weibchens

Das besondere Verhalten des Alpha-Weibchens haben wir ebenfalls bereits ausführlich beschrieben (Unterkapitel 14.2.2), vergleichbar nur dem Alpha-Männchen kontrolliert es alle anderen Gruppenmitglieder. Diese Kontrollfunktion wird in jeder sich bildenden Gruppe von jeweils einem Weibchen wahrgenommen. Während der vorliegenden Untersuchung suchte Vanda vornehmlich Kontakt zum Alpha-Männchen, zum Beta-Weibchen (ihrer Tochter Frieda) und zum Gamma-Weibchen Mecki, solange diese den dritthöchsten Rang in der Weibchenhierarchie hielt. Zudem unterhielt Vanda auffällig häufig soziale Kontakte zu Junge tragenden Weibchen, dies vor allem ca. 30 Tage nach der Geburt.35
Im Gegensatz zu Nikita waren ihre Interaktionen mit anderen adulten Weibchen nicht nur einseitig, gerade die von ihr besonders präferierten Weibchen Mecki, Vera, Zita und Stirni putzten sie mehr oder weniger genauso häufig wie Vanda diese. Kontaktaufnahmen zu den übrigen adulten Weibchen gingen dagegen stets von ihr aus. Die übrigen juvenilen und subadulten Mitglieder der Gruppe ignorierte sie unabhängig vom Geschlecht. Im Vergleich zu den ranghohen Weibchen Frieda und Mecki war ihr Anteil am agonistischen Verhalten gering, hohes agonistisches Verhalten zeigte sie nur gegenüber dem Gamma-Weibchen Mecki und dessen Tochter Calva.36

14.4.3 Zum Verhalten des Beta-Weibchens

Wir haben bereits beschrieben, dass die Tochter des Alpha-Weibchens Vanda, das Beta-Weibchen Frieda, bereits im Alter von einem Jahr in der Lage war, die übrige Gruppe (mit Ausnahme des Alpha-Männchens) mühelos zu kontrollieren, dies auch in Abwesenheit der Mutter. Während der Versuche wurde ihre hohe soziale Stellung von allen später geborenen juvenilen Männchen und Weibchen respektiert. Sehen wir einmal von den zu Calva und Flava unterhaltenen sozialen Beziehungen ab, gingen Interaktionen zu anderen Tieren stets von Frieda aus. Sie war als passiver Partner nur attraktiv, als sie selber Alpha-Weibchen war, da wurde sie - wenngleich nicht häufig - geputzt. Ihr agonistisches Verhalten richtete sie vor allem gegen Mecki und, besonders auffällig als sie selber Alpha war, gegen andere adulte Weibchen. Im Gegensatz zu Vanda suchte Frieda den Kontakt zu Junge tragenden Weibchen gleich nach Geburt. Ihre Kontaktaufnahme war stets mit agonistischem Verhalten verbunden, was darauf zurückzuführen ist, dass die jeweiligen Mütter ihr auswichen.37

14.4.4 Zum Verhalten adulter Weibchen

Adulte Weibchen halten vornehmlich Kontakt zu anderen adulten Weibchen, dabei vor allem zu rangbenachbarten Weibchen (vgl. auch Unterkapitel 14.1). Dementsprechend haben Veränderungen in der Rangsituation erheblichen Einfluss auf die sozialen Beziehungen der Individuen.
Neben dieser auf Rangordnung basierenden grundsätzlichen Präferenz konnte beobachtet werden, dass Junge tragende Weibchen für Junge tragende Weibchen besonders attraktiv waren, so nahmen z. B. die Kontakte zwischen Blonda und anderen adulten Weibchen erst zu, als letztere selber Junge bekamen und diese ca. 15–30 Tage alt waren. Dass Mütter den Kontakt zu Müttern suchen bzw. besonders attraktiv für andere Gruppenmitglieder sind, wird auch aus dem Freiland berichtet.
Da die Weibchen durch ihre engen Sozialkontakte zu anderen Weibchen die Beziehungen zwischen den verschiedenen Clanen regeln, sind sie sicher für die Struktur einer Gruppe vornehmlich verantwortlich. Adulte Weibchen sind offenbar der zentrale und stabile Teil der Gruppe. Bei der sozialen Körperpflege in der Gruppe sind adulte Weibchen dementsprechend nicht nur besonders beteiligt, sondern zudem auch häufiger aktiver als passiver Partner. Demnach zeigen adulte Weibchen stets mehr soziale Körperpflege als Männchen. Hingegen beteiligen sie sich am Spiel der Gruppe kaum.38
Parallel hierzu werden sie attraktiver für das Alpha-Männchen, dabei war auffällig, dass Nikita auch noch nach erfolgter erfolgreicher Kopulation weiterhin die Nähe der entsprechenden Weibchen suchte, was durch unsere Daten für Omega, Vera und Stirni sicher belegt werden kann. Besonders auffällig waren zudem in der Gruppe die engen Kontakte zwischen adulten Weibchen und ihren Kindern, wobei die Kontakte von Vanda, Mecki und Stirni und ihren Töchtern (Frieda, Calva, Itta) sogar die intensivsten waren, die jene zu irgendeinem anderen Tier in der Gruppe unterhielten. Die engen sozialen Beziehungen zu den Kindern wurden vor der Geburt bzw. in den ersten Tagen und Wochen nach Geburt eines neuen Jungtieres reduziert.

14.4.5 Zum Verhalten juveniler Männchen und juveniler Weibchen

Alle juvenilen Tiere, Männchen und Weibchen, unterhielten die meisten Kontakte zu ihren Müttern und darüber hinaus auch zu ihren Geschwistern. Bei den Kontakten zu den Geschwistern war das Geschlecht und das Alter ohne große Bedeutung. Die Verwandtschaft, die nach unseren Daten besondere Bedeutung für weibliche Gruppenmitglieder hat, ist jedoch auch für die soziale Stellung männlicher Jungtiere entscheidend.

Beziehungen zu den eigenen Müttern

Bei den Beziehungen zu den eigenen Müttern wurden geschlechtsspezifische Unterschiede deutlich, so suchten weibliche Jungtiere häufiger den Kontakt zu ihren Müttern als männliche und waren sogar der aktivere Teil der Mutter-Kind-Dyade. Männliche Jungtiere hingegen zeigten nicht so auffällige Tendenzen zu ihren Müttern, entsprechend war dann auch meist die Mutter der aktivere Partner in der Mutter-Kind-Beziehung. (Hier bildete nur das jüngste Kind der Gruppe, Omegas Sohn Paul eine Ausnahme, was zwanglos auf sein Alter zurückgeführt werden kann.)
Diese Unterschiede korrespondieren den Befunden, dass beim Spielen und sozialen Explorieren männliche Jungtiere häufiger beteiligt sind als weibliche, weibliche Jungtiere hingegen sind wie adulte Weibchen attraktiver als Partner beim Kontaktsitzen und bei der sozialen Körperpflege.

Beziehungen zu anderen Juvenilen des gleichen Geschlechtes

Bei allen juvenilen Männchen war besonders auffällig, dass sie außer den Kontakten zu ihrer Familie nennenswert häufige positiv-soziale Beziehungen nur zu anderen juvenilen Männchen unterhielten, dabei präferierten sie jeweils den Kontakt zu ganz bestimmten anderen Männchen, nämlich den Kontakt zu juvenilen Männchen, deren Mütter der eigenen Mutter rangbenachbart waren.39
Juvenile Weibchen haben gleichfalls neben den Kontakten zu ihren Müttern und Geschwistern vor allem soziale Beziehungen zu anderen juvenilen Weibchen, darüber hinaus jedoch auch zu adulten Weibchen. Bei den juvenilen Weibchen können wir ebenfalls Präferenzen für bestimmte andere Individuen beobachten.
Juvenile Weibchen haben somit die gleichen Präferenzkriterien wie juvenile Männchen, darüber hinaus jedoch zusätzlich Kontakte zu den Müttern der von ihnen präferierten Juvenilen, das gilt für Calva, Flava, Itta, nicht jedoch im gleichen Maße für Christa. Es scheint so, als ob juvenile Weibchen bevorzugt Kontakt zu Töchter-Müttern unterhalten, die rangniedriger sind als die eigenen Mütter. Für die Wahl der Partner ist wohl die Rangposition der Mutter von höchster Bedeutung.40
Darüber hinaus sitzen sie jedoch auch häufig mit Söhne-Müttern zusammen, zu denen ihre eigenen Mütter intensive Sozialkontakte pflegen.

Einfluss des Verhaltens der Mutter auf das Verhalten ihrer Kinder

Durchgängig galt für alle juvenilen Weibchen, dass diese alle Weibchen, adulte und juvenile, bedrohen konnten, die von der eigenen Mutter bedroht wurden, dies unabhängig vom Alter. So waren Calva, Itta und Christa zu Zeiten, zu denen ihre Mutter das ranghöchste Weibchen war, jeweils unbestritten zweitrangiges Weibchen. Gleichfalls verloren sie immer dann ihre Rangposition, wenn die Mutter die Rangposition verlor.
Bei den juvenilen Männchen war neben dem momentanen Rang der Mutter offensichtlich auch das Alter der Jungtiere von hoher Bedeutung, so bedrohten die jüngsten Männchen Protus und Paul in der Regel nur dann andere Tiere, wenn diese auch von ihren Müttern bedroht wurden (Paul drohte allein Jungfrau (E.S. 2.2, 2.5, 2.6, 2.7, 3.3) und Protus (E.S. 3.2 ff), auch als diese nicht von Omega bedroht wurden, sicherte sich also diesen beiden gegenüber einen höheren Rang.)
Ältere juvenile Männchen drohten hingegen offensichtlich unabhängig von ihren Müttern. Für die Richtung der agonistischen Aktivität war der Introduktionszeitpunkt von hoher Bedeutung, so drohte Max auch Orbi (E.S. 2.4 und 3.5), Ernst (E.S. 2.8 und 3.6) und Tritus (E.S. 2.10 und 3.5); Orbi: Ernst (E.S. 2.7) und Tritus (E.S. 2.7); und Berni: Tritus (E.S. 2.8), also jeweils den später introduzierten Männchen. Ganz im Gegensatz zu ihren Müttern nutzten diese Männchen also die Chance des Platzvorteils voll aus. Dies gelang ihnen jedoch nicht gegenüber Berni und Majo, die beide sofort nach Introduktion entsprechend ihrer früheren Position die Rolle eines Alpha-Männchens übernahmen (Berni (E.S. 2.6 und 4.1 ff), Majo (E.S. 2.8 und 4.4)) und gegenüber anderen Individuen der Gruppe dominierten (auch gegenüber den „künstlich hochrangigen“ Weibchen). Während sich Majo in der Situation, in der die drei rangniedrigsten Weibchen „künstlich ranghoch“ waren und seine Mutter die höchste Stellung innerhalb der Weibchenhierarchie erreichen konnte, sich mühelos gegenüber den ein Jahr älteren Berni und Orbi durchsetzte, konnte er dies nicht mehr, als er gemeinsam mit Mecki und Calva in die Gruppe reintroduziert wurde, in der rangmittlere Weibchen ranghoch waren. Wohl bedingt durch die Tatsache, dass Berni und Orbi in dieser Gruppe schon wochenlang Kontrollfunktionen wahrnahmen und unbestritten das Zusammenleben der Gruppe regulierten (E.S. 4.0 ff), gelang es Majo nur anfänglich sich durchzusetzen (E.S: 4.4), dann aber verlor er die höchste Position an Berni und sank auf den 3. Platz in der Männchenhierarchie nach Orbi ab. Auffällig verlor er jedoch, im Gegensatz zu seiner Mutter, den hohen Rang nicht völlig.
Es könnte jedoch auch sein, dass Majos Verlust der sozialen Position nicht die Folge sondern Ursache des Rangabgleitens von Mecki war. Für eine gegenseitige Wechselwirkung zwischen Rang der Mütter und Rang des Sohnes spricht auch, dass gerade die Mütter der ältesten juvenilen Männchen (Blonda und Barbara) auch die höchsten Positionen innerhalb der rangmittleren Weibchen erreichten.
Es sei noch bemerkt, dass das Bestreben, adulte Weibchen und damit prinzipiell auch die Gruppe zu kontrollieren Charakteristikum gerade drei- bis vierjähriger juveniler Männchen sein könnte. So versuchte Orbi bereits nach seiner ersten Introduktion alle nach seiner Mutter introduzierten Weibchen zu kontrollieren. Während Majo zu diesem Zeitpunkt, ca. zweieinhalbjährig, vornehmlich nur juvenile Männchen bedrohte. Bei der dritten Introduktion jedoch (nun ebenfalls dreijährig) richtete er auch agonistische Interaktionen gegen Weibchen (E.S. 4.4 ff.).

14.4.6 Schlussfolgerung

Unsere Untersuchungen zur Struktur der sozialen Beziehungen in einer Macaca fascicularis-Gruppe haben ergeben:

1. Die Struktur einer Gruppe bleibt mehr oder weniger unverändert über Jahre erhalten; Individuen, die kurzfristig aus der Gruppe separiert wurden, nehmen nach erfolgter Reintroduktion ihre alte Stellung in der Gruppe wieder ein.

2. Für die Struktur der Gruppe sind drei verschiedene Komponenten bestimmend, nämlich a) rollenspezifisches Verhalten41 , b) Familienbeziehungen42 und c) der hierarchische Aufbau der Gruppe43
3. Oestruszyklen und Geburten ändern an der grundsätzlichen Struktur der Gruppe nichts. Doch war auffällig, dass die Weibchen während eines Oestrus ihre Kontakte zu anderen Gruppenmitgliedern reduzierten und zu dem Alpha-Männchen intensivierten. Nach erfolgter Geburt wurden sie attraktiver für andere Gruppenmitglieder, nämlich für andere Mütter, für das Alpha-Weibchen (vor allem ca. 30 Tage nach dem Werfen) und für die Tochter des Alpha-Weibchens (gleich nach der Geburt), wobei die letzten beiden Individuen vornehmlich an den Jungtieren interessiert waren, die sie regelmässig auch „stahlen“ oder zu „stehlen“ versuchten. Sowohl durch Oestruszyklen als auch durch Geburten wird demnach zwar die soziale Position des einzelnen Individuums vorübergehend entscheidend verändert, nicht jedoch sein grundsätzliches Beziehungsgefüge zur Gesamtgruppe.

14.5 Alter und Geschlecht I: Im Sozialverband aufgezogene Jungtiere

14.5.1 Das erste Lebenshalbjahr

Versuchstiere

Die zum Ende der abgeschlossenen Versuchsserie zur Sozialstruktur und zur Rangordnung aus 37 Individuen bestehende Gruppe nahm durch Geburten um neun Tiere zu (Micha bis Lotte, vgl. Tabelle 14.6).44


Tabelle 14.6: 1980 und 1981 geborene Tiere
---------------------------------------------------------
-Name-----Geschlecht---Geburtsdatum----Herkunft/Eltern---
 Neo          m          17.06.1980     Nikita/Jungfrau
 Micha        m          19.07.1980       Nikita/Vera

 Felix        m          05.08.1980       Nikita/Stirni
 Toto         m          29.10.1980      Nikita/Blonda
 Olga          f         01.11.1980      Nikita/Barbara
 Tina          f         04.11.1980        Nikita/Zita

 Ursula        f         04.11.1980       Nikita/Alba
 Angela        f         18.12.1980       Nikita/Mecki
 Lotte         f         02.03.1981      Nikita/Omega
 Nico         m          05.08.1981       Nikita/Vera
 Sophie        f         29.10.1981     Nikita/Jungfrau

 Bea           f         03.11.1981      Nikita/Blonda
-Ina-----------f---------06.11.1981--------Nikita/Itta----

Beobachtungsbedingungen

Während der ersten sechs Lebensmonate wurden die acht 1980 geborenen Kinder täglich 15 Minuten lang beobachtet, wobei jeweils nur ein Kind im Focus des Beobachters stand. Die Daten für jedes Kind sind also unabhängig voneinander erhoben. Die Beobachtungen erfolgten zwischen 15.00 und 17.00 Uhr. Die Reihenfolge der Tiere wurde täglich variiert. Die Interaktionen, die von dem jeweiligen Focus-Tier ausgingen bzw. gegen dieses gerichtet waren, hielten wir in einem Verlaufsprotokoll fest. Protokolliert wurde nach vorgegebenem Katalog.

a) Interaktionen zu anderen Gruppenmitgliedern

Positiv-neutrale Interaktionen45, Positiv aktive Interaktionen46

Agonistische Interaktionen47

b) Interaktionen zwischen Mutter und Kind bzw. ungerichtetes Verhalten des Kindes48

c) Zusätzlich protokollierten die Beobachter nach den 15 Minuten jeweils ihren Gesamteindruck nach folgender Vorgabe: An der Mutter, Neben der Mutter, in der Nähe der Mutter, Weg von der Mutter.

Grundsätzlich wurde jede Interaktion festgehalten. Solche, die länger als eine Minute andauerten, wurden jeweils zu Beginn der darauffolgenden Minute erneut protokolliert.

Befundauswertung

Von den erhobenen Daten wurden die Summe der positiv-neutralen und der positiv-aktiven Interaktionen, die Zeitangaben „An der Mutter“,„Separiert von der Mutter“ und der protokollierte „Gesamteindruck“ verwandt. Eine weitere Aufsplitterung der Daten erwies sich als nicht sinnvoll49. Zusätzlich zu den Mittelwerten der Interaktionen errechneten wir hier auch den jeweiligen Prozentanteil an den Gesamtinteraktionen eines Monates aus und verglichen diesen mit dem „Erwartungswert“.50

Zur Entwicklung während der ersten sechs Lebensmonate

Kontakte zur Mutter Der enge Kontakt zwischen Mutter und Kind, der während des ersten Lebensmonates fast die ganze Zeit andauert, nimmt bis zum Ende des sechsten Lebensmonates kontinuierlich ab. Entsprechend nimmt die Zeit „Ohne Körperkontakt zur Mutter“ kontinuierlich zu. Bei diesen grundsätzlich gleichen Befunden für alle acht untersuchten Individuen sind darüber hinaus geschlechtsspezifische und individuelle Unterschiede auffällig. So werden männliche Kinder schneller selbständig als weibliche. Individuelle Unterschiede sind erheblich, besonders auffällig bei Felix und Olga, deren Entwicklung anfänglich retardiert erscheint. Sehen wir uns hier die Daten genauer an, so erkennen wir, dass dies vor allem darauf zurückzuführen ist, dass Felix und Olga viel häufiger in der Nähe der Mütter verblieben als die übrigen Individuen. Hierfür ist sicherlich ein Verhalten der entsprechenden Mütter (Stirni und Barbara) verantwortlich. Diese hielten nämlich ihre Jungen bei deren Erkundungsversuchen während der ersten Lebensmonate am Schwanz fest, so deren Bestreben, sich von der Mutter zu entfernen, hindernd.
Es sei hier bemerkt, dass die zunehmende Selbständigkeit der Kinder eine aktive Leistung der Kinder und nicht der Mütter ist. Die Mütter blieben ihren Jungen gegenüber bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes (und auch darüber hinaus) tolerant; mütterliche Abwehr u. ä. waren für die zunehmende Selbständigkeit der Jungen ohne Bedeutung.51
Der Vergleich der „Gesamteindruck“-Kurven mit den Zeitkurven ergab zudem, dass alle Kinder während der ersten Lebensphase bei ihren frühen Erkundungen „Neben der Mutter“ und „In der Nähe der Mutter“ verbleiben.

Kontakte zu anderen Gruppenmitgliedern Neben den überaus engen Kontakten zu den eigenen Müttern haben die Jungen bereits während des ersten Lebensmonaten auch solche zu anderen Tieren der Gruppe. Diese Kontakte nehmen von Monat zu Monat mehr oder weniger kontinuierlich zu (in Abhängigkeit von dem zunehmenden Selbständigwerden).
Während des ersten Lebensmonates sind die Jungen fast ausschließlich passive Partner, Kontakte zu anderen Gruppenmitgliedern gehen in der Regel von letzteren aus. Auffällig sind in dieser ersten Lebensphase die Aufnahmen von Sozialbeziehungen durch die beiden ranghöchsten Weibchen, nämlich durch das Alpha-Weibchen Vanda (zu Neo, Felix, Toto, Olga, Tina und Ursula) und seine Tochter, das Beta-Weibchen, Frieda (gegenüber allen Jungen).
Zudem beobachteten wir Kontaktaufnahmen nun durch die anderen adulten Weibchen. Zu weiteren Gruppenmitgliedern bestanden kaum Beziehungen.
Mit zunehmendem Alter nehmen dann die Sozialkontakte aller acht untersuchten Tiere zu Altersgenossen und älteren Juvenilen kontinuierlich zu.
Es ist jedoch schwer zu entscheiden, inwieweit die Häufigkeit der Interaktionen wirklich ein Zeichen für engere soziale Beziehungen darstellen oder diese nur zwangsläufiges Ergebnis der zunehmenden sozialen Entwicklung der entsprechenden Jungtiere sind. Um dies zu klären, sollten die prozentualen Anteile der einzelnen Tiergruppen (Altersgruppen, Frieda, Vanda, Nikita, adulte Weibchen) an den Gesamtinteraktionen mit den nach der Anzahl der entsprechenden Tiere zu erwartenden Werten verglichen werden. Das Alpha-Männchen Nikita unterhielt stets wenig Kontakte zu den Kindern, diese blieben für ihn (und er für sie) als Sozialpartner völlig uninteressant. Für das Alpha-Weibchen waren von den männlichen Kindern Neo, Felix und, eingeschränkt, auch Toto attraktiv, nicht jedoch Micha. Bei den weiblichen Kindern präferierte Vanda Olga und Ursula vor Tina und Angela. Es war hierbei auffällig, dass Vanda besonders enge Beziehungen zu den Kindern rangniedriger Mütter (Neo, Sohn von Jungfrau; Felix, Sohn von Stirni; Ursula, Tochter von Alba) unterhielt. Über den Erwartungswerten liegende Sozialkontakte hatte sie über den gesamten Untersuchungszeitraum zu Neo und Olga, also dem ersten männlichen und dem ersten weiblichen Kind dieses Jahrganges. Das Beta-Weibchen Frieda suchte den Kontakt zu allen Kindern bereits während des ersten Lebensmonates. Während des gesamten ersten halben Lebensjahres unterhielt Frieda besonders enge Kontakte zu Micha, der für Vanda nicht attraktiv war (s. o.). Wohl auch im Zusammenhang mit dem Verhalten ihrer Mutter Vanda waren ihre sozialen Beziehungen zu Neo und Ursula nicht so intensiv wie diejenigen Vandas. Die übrigen adulten Weibchen suchten nur während des ersten (Micha, Felix, Toto) bzw. zweiten (Neo) Lebensmonates häufiger den Kontakt zu männlichen Kindern als zu erwarten war, weibliche Kinder hingegen blieben während der ersten Lebensmonate attraktiv. Danach lagen aber auch bei diesen (Ausnahme.: Olga) die Werte der adulten Weibchen unter den Erwartungswerten. Mit den vierjährigen Jungtieren (1976 geboren) interagierten alle acht untersuchten Kinder während der gesamten sechs Monate weniger als zu erwarten. Das gleiche gilt für dreijährige Jungtiere (1977 geboren). Zu zweijährigen Jungtieren (1978 geboren) haben nur Tina im vierten, Ursula im vierten und fünften und Angela im vierten, fünften und sechsten Lebensmonat relativ viele Kontakte, dabei handelte es sich fast ausschließlich um solche zu Calva, einer Tochter des Weibchens Mecki. Zu den einjährigen Juvenilen (1979 geboren) haben nur die drei erstgeborenen männlichen Kinder und Tina mehr Kontakte als zu erwarten (s. u.). Durchgängig auffällig waren jedoch für alle acht untersuchten Individuen die engen Beziehungen zu Gleichaltrigen.
Neben diesen Präferenzen ist bei einer genaueren Analyse der Daten darüber hinaus zu erkennen, dass alle untersuchten Tiere bei dem Vergleich mit den jeweiligen Erwartungswerten mehr Kontakte zu Müttern als zu Nichtmüttern unterhalten. Bei den Interaktionen mit Altersgenossen und älteren Juvenilen bzw. Subadulten sind zudem Präferenzen zu Individuen des eigenen Geschlechtes bei weiblichen Kindern durchgängig zu beobachten. Diese haben jeweils mehr Kontakte zu weiblichen Individuen als nach den Gesamtkontakten zu den einzelnen Altersgruppen zu erwarten. Für die männlichen Tiere gilt diese Beziehung nicht.
Daneben haben wir die relative Häufigkeit der Kontakte zu den eigenen Geschwistern mit denen der jeweiligen Alters- und Geschlechtsgruppe verglichen. Es zeigt sich hierbei, dass mit einer einzigen Ausnahme (Beziehungen zwischen Olga und Oscar) alle Kinder mehr Kontakt zu ihren Geschwistern halten als nach der Gesamthäufigkeit zu erwarten.

Diskussion

Die vorgestellten Ergebnisse könnten sicherlich auch durch die Reihenfolge der Geburten (alle vier männlichen Kinder wurden vor den weiblichen geboren) beeinflusst sein, was wir in der Diskussion berücksichtigen wollen.

Zur Mutter-Kind-Beziehung Der durchgängig beobachtete enge Mutter-Kind-Kontakt gilt wohl für alle Species des Genus Macaca. Besonders intensiv ist dieser Kontakt während des ersten Lebensmonates, hier verlassen die Jungen zwar gelegentlich die Mutter, was wir das erste Mal zwischen dem 11. und 24. Tag beobachten konnten, doch sind solche Explorationen nur kurz und beschränken sich auf die unmittelbare Nähe der Mutter. Die übrige Zeit verbringen die Jungen mehr oder weniger bewegungslos an der Mutter hängend, wenngleich wir bereits bei einen Tag alten Kindern beobachten konnten, wie sie ihren Kopf den Raum betretenden Beobachtern zuwandten, als ob sie bereits am ersten Tag ihre Umgebung wahrnehmen würden. Nach unseren Befunden an handaufgezogenen Jungtieren sind sie hierzu sicherlich nicht in der Lage. Der scheinbar entwickelte Geburtszustand des Neonaten täuscht, vielmehr ist der junge Makake völlig hilflos und auf die permanente Unterstützung der Mutter angewiesen.
Bei den seltenen Kontakten zu anderen Gruppenmitgliedern ist das Kind stets passiver Partner. Besonderes Interesse an den Kindern während dieser Lebensphase zeigten nur die beiden ranghöchsten Weibchen; zur Kontaktaufnahme suchten diese die Nähe der entsprechenden Mütter, putzten sie, dabei dann vorsichtig auch das Kind berührend. In solchen Situationen sind die Mütter äußerst vorsichtig und pressen das Junge an den Körper.
Im zweiten Lebensmonat, die Bewegungen des Kindes sind nun koordiniert, bleibt der enge Mutter-Kind-Kontakt erhalten, das Junge wird aktiver und verlässt selbständig die Mutter zu kurzen Erkundungen, wobei es an anderen Gruppenmitgliedern kaum interessiert ist. Abwehrverhalten konnten wir nicht beobachten, als Grund der zunehmenden Selbständigkeit ist die Abwehr durch die Mutter somit auszuschließen.
Wir konnten im zweiten Lebensmonat zudem häufig beobachten, wie die Jungen von „Tanten“ getragen wurden. Bei den „Tanten“ handelte es sich in dieser Lebensphase fast ausschließlich um die ranghöchsten Weibchen, die den Müttern die Jungen „stahlen“, sie herumschleppten und putzten.
Im dritten Lebensmonat begannen alle Kinder, die bisher nur wenig mit anderen Gruppenmitgliedern interagierten, mit gleichalten und ein Jahr älteren Kindern bzw. Juvenilen zu spielen. Hierbei wurden Geschlechtsunterschiede deutlich, weibliche Kinder spielten nur wenig. Das erste Spiel beobachteten wir jedoch schon bei einem Kind (Toto) am 18. Lebenstag, in der Regel erst in der vierten Lebenswoche, nur bei Neo erst zum Ende des zweiten Lebensmonates. Letzter Befund kann darauf zurückgeführt werden, dass bei diesem keine gleichalten Spielpartner vorhanden waren, wurde er doch als erster geboren. Im dritten Lebensmonat nimmt auch das generelle lokomotorische Vermögen der Kinder weiter zu, sie erkunden nun zunehmend auch entferntere Bereiche des Geheges.
In den darauffolgenden drei Lebensmonaten werden dann die Kontakte zur Mutter zunehmend durch Kontakte zu anderen Gruppenmitgliedern ersetzt. Der enge Mutter-Kind-Kontakt bleibt jedoch auch hier (und später) erhalten. Insofern unterscheidet sich die generelle Entwicklung der heranwachsenden Javanermakaken nicht von derjenigen anderer Makakenspecies. Eventuelle geringfügige Unterschiede dürften eher auf Haltung bzw. Befunderhebung zurückzuführen sein.
Unser auffälliger Befund, dass männliche Kinder früher selbständig werden als weibliche, wird auch für andere Makakenarten berichtet. Die mögliche Annahme, dass unsere Daten eventuell darauf zurückzuführen sind, dass unsere Männchen zeitlich früher geboren wurden, ist nicht hinreichend, da sowohl innerhalb der Männchen als innerhalb der Weibchen eine Beziehung zum Alter offensichtlich nicht gegeben ist.

Zu den Kontakten mit anderen Gruppenmitgliedern Besonders auffällig waren in der ersten Lebensphase die Kontakte zu den beiden ranghöchsten Weibchen, in der zweiten Lebensphase diejenigen zu gleichalten Individuen. Das besondere Interesse der ranghöchsten Weibchen ist sicherlich nicht eine individuelle Eigenschaft dieser Tiere. Grundsätzlich scheinen alle Makaken, zumindest alle weiblichen Tiere der Gruppe (s. u.) an den Kindern sehr interessiert zu sein, doch haben nur die beiden ranghöchsten Weibchen auch die Möglichkeit, sich ohne Gegenwehr den Müttern zu nähern, die Jungen zu berühren und zu „stehlen“ (s. o.).
Dabei konnten wir auch beobachten, dass diese beiden Weibchen die Jungen den Müttern direkt vom Körper rissen, meist warteten sie jedoch bis das Junge sich zumindest wenige Zentimeter von der Mutter entfernt hatte. In solchen Situationen liefen die jeweiligen Mütter hinter Vanda bzw. Frieda her und warteten auf ihre Chance, das Junge zurückzuerhalten.52
Die über den Erwartungswerten liegenden Kontakte der Neugeborenen mit den übrigen adulten Weibchen können zwanglos darauf zurückgeführt werden, dass sie an ihrer Mutter hängend mehr oder weniger automatisch auch mit den bevorzugten Kontaktpartnern der Mutter, nämlich adulten Weibchen, interagierten. Da wiederum Mütter bevorzugt den Kontakt zu Müttern suchen, wäre auch der verstärkte Kontakt zu anderen jungetragenden Weibchen hinreichend erklärt. Bedingt durch die Geburtszeitpunkte können wir hier nicht entscheiden, ob weibliche Kinder generell mehr Kontakt zu adulten Weibchen unterhalten als männliche. Zu unserem adulten Männchen (Nikita) unterhielten die Kinder kaum Kontakte. Bei Interaktionen mit älteren Jungtieren werden geschlechtsspezifische Unterschiede auffällig. An weiblichen Kindern zeigten fast durchgängig nur weibliche Jungtiere Interesse. Diese unterhielten stets mehr Kontakte zu jenen als für die entsprechende Altersgruppe zu erwarten. Bei männlichen Kindern sind die Daten auf den ersten Blick nicht eindeutig. Hier waren männliche und weibliche Jungtiere in der Regel entsprechend ihrem Anteil an der entsprechenden Altersgruppe beteiligt (mit einem geringfügig erhöhten Anteil weiblicher Jungtiere).53 Der Geschlechtsunterschied wird noch auffälliger, wenn wir nur eine Verhaltensweise, nämlich das Kampfspiel, betrachten. Männliche Kinder zeigten dieses Verhalten durchgängig häufiger als weibliche, dies obwohl zumindest theoretisch für alle weiblichen Kinder mehr Spielpartner zur Verfügung standen. Der geringe Anteil der weiblichen Kinder an den Spielinteraktionen mit männlichen Kindern könnte hinreichend damit erklärt werden, dass die weiblichen Kinder entweder noch nicht geboren oder zu jung waren; weiterhin ist auffällig, dass das Interesse der einjährigen und älteren Männchen am Kampfspiel mit den Kindern mit zunehmender Individuenzahl nachließ; ein Säugling als Spielpartner war für diese wohl nur anfänglich besonders attraktiv. Beides reicht aber nicht aus, um die geringe Spielhäufigkeit mit weiblichen Kindern zu erklären, vielmehr zeigt hier wiederum der Vergleich der Daten von den mehr oder weniger gleichalten Toto/Olga/Tina/Ursula, dass für männliche Individuen eine klare Präferenz für Partner des gleichen Geschlechts besteht. Bei weiblichen einjährigen und älteren Juvenilen sind hingegen individuelle Präferenzen unabhängig vom Geschlecht auffällig, generell spielen sie jedoch mit allen Kindern. Es scheint demnach so, dass bei weiblichen Individuen die Präferenz für ein bestimmtes Geschlecht gar nicht existiert. Für die Ergebnisse verantwortlich ist also das Wahlverhalten der männlichen Individuen.
Es muss hier ausdrücklich betont werden, dass eine Beziehung zur Rangordnung der Mütter während des ersten Lebenshalbjahres nicht existiert.
Zur Bedeutung der Verwandtschaft sei bemerkt, dass wir zwar bei unseren Kindern gefunden haben, dass alle Kinder mehr Kontakt zu ihren Geschwistern unterhalten als für die jeweilige Alters und Geschlechtsgruppe zu erwarten, berücksichtigen wir jedoch die Anzahl der Kontakte insgesamt, so sind die Beziehungen zwischen Olga und Orbi, Ursula und Max, Angela und Majo, Felix und Itta und zwischen Toto und Berni) für das jeweilige Kind nahezu ohne Bedeutung. Bei den übrigen Geschwistern muss darüber hinaus darauf hingewiesen werden, dass die Kontakte zwischen Ursula und Rudi), Micha und Sascha, Felix und Heinz und zwischen Toto und Ernst sich nicht in der Häufigkeit von denen zu bestimmten anderen Individuen der entsprechenden Alters- und Geschlechtsgruppe unterscheiden. Insofern sind nur die Kontakte zwischen Tina und Flava/Senia bzw. diejenigen zwischen Angela und Calva/Cornelia auffällig. Offensichtlich sind demnach verwandtschaftliche Beziehungen in dem ersten halben Lebensjahr nur für die Beziehungen weiblicher Kinder zu ihren weiblichen Geschwistern für das einzelne Kind entscheidend.
Wir können somit feststellen, dass von den drei Grundkomponenten der Makakensozietät, Rolle, Familie und Rang, der Rang (der Mütter) während des ersten halben Lebensjahres der Kinder keine Bedeutung hat. Die Familie (sehen wir einmal von den Beziehungen zur eigenen Mutter ab) scheint nur für weibliche Kinder wichtig zu sein, aber auch nur dann, wenn diese weibliche Geschwister haben. Rollengemäßes Verhalten hingegen zeigten alle Kinder gleichermaßen. Bereits während des ersten halben Lebensjahres können wir zwei verschiedene „Rollen“ unterscheiden, diejenige weiblicher und diejenige männlicher Kinder.

Schlussfolgerung

Unsere Untersuchung an vier männlichen und vier weiblichen Javanermakaken zur postnatalen Entwicklung während des ersten halben Lebensjahres hat ergeben:

1. Der enge Mutter-Kind-Kontakt nimmt bis zum Ende des sechsten Lebensmonates kontinuierlich ab. Hierfür verantwortlich ist das Bestreben der Kinder, sich von den Müttern zu lösen, nicht jedoch Änderungen im Verhalten der Mutter, diese bleiben während der gesamten sechs Monate ihren Jungen gegenüber tolerant.

2. Interaktionen zwischen dem Alpha-Männchen und den heranwachsenden Jungtieren finden kaum statt, besonders enge Beziehungen bestehen jedoch zu dem Alpha-Weibchen und der Tochter des Alpha-Weibchens. Beide sind während der ersten Lebensmonate an den Kindern sehr interessiert, pflegen diese und tragen sie auch herum, dies offensichtlich gegen den Willen der jeweiligen Mütter.

3. Interaktionen mit anderen adulten Weibchen werden vermehrt nur während des ersten Lebensmonates beobachtet, dabei sind offensichtlich andere Mütter stärker an den Kindern interessiert als Nichtmütter.

4. Ab dem dritten Lebensmonat werden die Jungen aktiver, erkunden ihre Umgebung und suchen den Kontakt zu gleichalten und ein Jahr älteren Tieren. Die Beziehungen zu zwei- bis vierjährigen Juvenilen bzw. Subadulten liegen unter den Erwartungswerten.

5. Bereits während des ersten halben Lebensjahres sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern auffällig, so werden männliche Kinder schneller selbständig als weibliche. Auch bei den Interaktionen mit älteren Juvenilen und Subadulten sind klare Geschlechtspräferenzen aufzeigbar. So interagieren männliche Gruppenmitglieder fast ausschließlich mit männlichen Kindern, weibliche hingegen mit Kindern beiderlei Geschlechtes. Die Tendenz männlicher Individuen, Kontakte nur mit Kindern des eigenen Geschlechts aufzunehmen, scheint auch schon bei männlichen Kindern vorhanden zu sein.

6. Alle Kinder unterhalten zwar mehr Kontakte zu ihren Geschwistern als für die Individuen der Alters /Geschlechtsgruppe, zu der die jeweiligen Geschwister gehören, zu erwarten, doch sind von diesen Beziehungen nur solche zwischen weiblichen Kindern und deren weiblichen Geschwistern quantitativ auffällig.

7. Eine Beziehung zwischen dem Verhalten des Kindes und dem Rang der jeweiligen Mutter ist während des ersten halben Lebensjahres nicht erkennbar.

14.5.2 Das zweite Lebenshalbjahr

Versuchstiere

Zu Ende des Untersuchungszeitraumes bestand die Gruppe aus 50 Tieren, von denen 38 in Kassel geboren wurden. In der Tabelle 14.6 (Unterkapitel 14.5.1) hatten wir die Daten der 13 1980 und 1981 geborenen Jungtiere angegeben.54

Beobachtungsbedingungen

Während des zweiten Lebenshalbjahres wurden die 1980 geborenen Jungtiere an zwei verschiedenen Tagen der Woche jeweils fünfzehn Minuten beobachtet, also wöchentlich eine halbe Stunde. Dabei stand nur ein Tier im Focus des Beobachters; die Daten wurden also unabhängig voneinander erhoben, und zwar für jedes Individuum über sechs Monate. Der Katalog der zu protokollierenden Verhaltensweisen war mit dem für die ersten sechs Lebensmonate verwandten identisch (vgl. Unterkapitel 14.5.1).

Befundauswertung

Für die Ermittlung der Ergebnisse addierten wir die gesamten von dem jeweiligen Jungtier ausgehenden bzw. gegen es gerichteten positiv-sozialen Interaktionen, in Bezug zu allen Gruppenmitgliedern bzw. zu allen Individuen der entsprechenden Altersgruppe, zu den gleichgeschlechtlichen Individuen der entsprechenden Altersgruppe, und errechneten den Anteil der Interaktionen der verschiedenen Gruppen, der Männchen und Weibchen, der niederrangigen und mittel- bzw. hochrangigen Individuen und der Geschwister.55 Da die Daten für jedes Individuum unabhängig erhoben wurden, sind - bedingt durch die unterschiedlichen Geburtstermine - die verglichenen Daten meist zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben worden. Die Selbständigkeitskurven geben den prozentualen Anteil der gesamten Beobachtungszeit des jeweiligen Monats an, an denen die entsprechenden Jungtiere ohne Kontakt zur Mutter frei agierten. Die Kurven der rangmittleren und rangniedrigen Individuen sind Mittelwerte aller Individuen des entsprechenden Rangbereiches. Auf die Darstellung dieser Kurven habe ich hier verzichtet, sie sind über die entsprechende Publikation ([285]) zugänglich.

Zur Entwicklung während des zweiten Lebenshalbjahres

Kontakte zur Mutter Auch im zweiten Lebenshalbjahr blieb der enge Kontakt zwischen Mutter und Kind erhalten, wenngleich die Kinder erwartungsgemäß nun noch häufiger von der Mutter entfernt waren als zu Ende des ersten Lebenshalbjahres. Im Mittel waren wiederum männliche Individuen selbständiger als weibliche, individuelle Unterschiede jedoch weit auffälliger als geschlechtsbedingte. Ein weibliches Jungtier (Angela) war zum Ende des ersten Lebensjahres am selbständigsten, zwei männliche Jungtiere (Neo, Felix) hingegen hielten sich wieder häufiger an der Mutter auf.

Kontakte zu anderen Gruppenmitgliedern Hier haben wir erneut für alle Individuen des 1980er Jahrganges die Sozialbeziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern angegeben.56
Den Kontakten zu den ranghöchsten Individuen kommt nahezu keine Bedeutung zu. Nur das Jungtier Angela hatte mehr Kontakte zu Alpha-Männchen und Alpha-Weibchen als nach der Anzahl der Gesamtkontakte zu allen Gruppenmitgliedern zu erwarten.
Zum Beta-Weibchen hingegen unterhielten nun alle Jungtiere des Jahrganges Kontakte. Nur bei Neo und Olga liegen sie unter, bei Micha, Toto und Tina über dem Erwartungswert. Bemerkenswert war, dass Micha mit diesem Weibchen besonders häufig interagierte, dies deshalb, da Micha bereits im ersten Lebenshalbjahr durchgängig von Frieda präferiert wurde. Bei den Kontakten zu adulten Weibchen der Gruppe liegen die Werte der drei früher geborenen Männchen (Neo, Felix, Micha) und der von Angela unter dem Erwartungswert, die von Toto, Olga, Ursula und Tina über diesem. Von den untersuchten weiblichen Kindern zeigt also nur Angela weniger Kontakte zu adulten Weibchen als zu erwarten; berücksichtigen wir jedoch auch den Anteil des Alpha-Weibchens, betrachten also die Kontakte der Jungtiere zu allen adulten Weibchen (ohne die eigene Mutter), dann interagieren alle weiblichen Jungtiere häufiger mit adulten Weibchen als zu erwarten, auffällig häufig jedoch nur Olga.57
Betrachten wir nun die Kontakte zu den 1981 geborenen, ein Jahr jüngeren Tieren, dann haben zwangsläufig und erwartungsgemäß die drei im Jahr 1980 früher geborenen Männchen nur wenig mit diesen jüngeren bzw. richtiger diesem Jungtier (nur Lotte wurde im Untersuchungszeitraum geboren) interagiert. Bei Toto, Olga, Tina und Angela hingegen liegt die Zahl der Kontakte deutlich über dem Erwartungswert. Auffällig ist demnach nur der geringe Anteil Ursulas an den Interaktionen mit später geborenen Jungtieren (s. u.).
Bei den Kontakten zu Jungtieren, die im gleichen Jahr geboren wurden, ist auch im zweiten Lebenshalbjahr aufzeigbar, dass alle Jungtiere mit ihren Altersgenossen häufiger interagierten als nach der Anzahl der Kontakte und der Anzahl der Jungtiere zu erwarten. Häufige Kontakte zu ein Jahr älteren Jungtieren, den 1979 geborenen, finden wir hingegen nur bei den ältesten drei Männchen. Bei den Kontakten zu den weiteren - noch älteren - Juvenilen fallen nur solche zu vier Jahre älteren auf, was allein auf Kontakten zu einem Weibchen (Birgit) beruht. Diese war an den Jungtieren interessiert, pflegte sie bzw. ließ Kontaktaufnahmen zu. Dabei ist bemerkenswert, dass zu den Kindern ranghöherer Weibchen (Angela, Tochter eines ranghohen Weibchens, Toto, Sohn des ranghöchsten rangmittleren Weibchens) bzw. zu Töchtern rangmittlerer Weibchen (Tina, Olga) keine Kontakte bestanden.



Abbildung 14.55: Anteile weiblicher und männlicher Individuen der verschiedenen Altersgruppen an den Interaktionen ihrer Altersgruppe mit männlichen (Männchen) und weiblichen (Weibchen) Kindern während des zweiten Lebenshalbjahres (weiß = Erwartungswert)


Berücksichtigen wir zusätzlich das Geschlecht der gleichalten und älteren Jungtiere (Abb. 14.55), dann erkennen wir, dass Männchen mit Juvenilen beiderlei Geschlechtes, Weibchen hingegen verstärkt nur mit Weibchen interagieren. Bei den Sozialkontakten weiblicher Juveniler kommt also dem Geschlecht größte Bedeutung zu. Besonders auffällig ist dieser Befund bei gleichalten und ein bzw. zwei Jahre älteren Jungtieren. Bei noch älteren Tieren sind individuelle Präferenzen zu beobachten, bzw. ist Kontaktvermeidung aufzeigbar, interagieren doch einige subadulte ältere Weibchen überhaupt nicht mit bestimmten Jungtieren.
Um zu überprüfen, welche Faktoren für dieses Wahlverhalten verantwortlich sein könnten, haben wir für die einzelnen Jungtiere angegeben, inwieweit sie zu gleichgeschlechtlichen Jungtieren unterschiedlicher Rangbereiche Kontakte unterhalten. Echte Wahlmöglichkeiten gab es hier bei den männlichen Juvenilen zu gleichalten und ein Jahr älteren Männchen, bei den weiblichen Juvenilen zusätzlich noch zu zwei Jahre älteren Weibchen. Neo, Felix und Ursula suchten häufiger den Kontakt zu rangniedrigen Individuen, die übrigen fünf Jungtiere hingegen interagierten häufiger mit rangmittleren oder ranghöheren Tieren. Eine Ausnahme bildet hier nur Micha bei Kontakten zu Gleichalten (s. u.). Zur Bedeutung verwandtschaftlicher Beziehungen haben wir schließlich für alle Individuen die Kontakte zu Geschwistern analysiert. Es zeigten nur Olga und Ursula zu ihren Brüdern weniger Kontakte als nach der Anzahl der Kontakte zu der Altersgruppe, zu der das Geschwister gehört, zu erwarten.

Diskussion

Zur Mutter Kind-Beziehung Im zweiten Lebenshalbjahr bleibt der enge Mutter Kind-Kontakt, der für die ersten sechs Lebensmonate der acht untersuchten Jungtiere bereits beschrieben wurde (Unterkapitel 14.5.1), erhalten, nur ändert sich die Qualität der Interaktionen zwischen Mutter und Kind. Während wir im ersten Lebenshalbjahr nahezu ausschließlich von der Mutter ausgehende Kontakte beobachteten - die Mutter trägt und putzt das Junge und bewahrt es vor Gefahr -, beginnt nun das heranwachsende Makakenkind, auch selbst seine Mutter zu pflegen. Darüber hinaus werden die Kinder, die zwar weiterhin die Nähe der Mutter suchen, weniger getragen und weniger bewahrt. Kennzeichnend für das letztere dürfte sein, dass das Festhalten durch die Mutter, wie wir es für das erste Lebenshalbjahr beschrieben haben, nicht mehr beobachtet werden konnte. Es muss jedoch offen bleiben, ob hierfür eine Zunahme der Toleranz der Mutter verantwortlich ist oder aber eine Abnahme des Interesses anderer - ranghöherer - adulter Weibchen an dem jeweiligen Jungtier. Wir beobachteten niemals, dass die Jungen von den eigenen Müttern abgewehrt wurden. Wie im ersten Lebenshalbjahr war demnach die zunehmende Selbständigkeit eine aktive Leistung des jeweiligen Kindes und keine Funktion des Verhaltens der Mutter.58 Vernachlässigen wir vorerst das gezeigte Verhalten der Juvenilen und beachten die soziale Stellung, insbesondere den Rangplatz der Mütter, der bereits früher umfänglich untersucht wurde (Unterkapitel 14.3.1), dann können wir nach ihrem Verhalten in neuen sozialen Situationen Angelas Mutter Mecki als „ranghoch“, die Mütter von Toto (Blonda), Olga (Barbara), Micha (Vera) und Tina (Zita) als „rangmittel“ und diejenigen von Neo (Jungfrau), Ursula (Alba) und Felix (Stirni) als „rangniedrig“ klassifizieren, unabhängig von der momentanen sozialen Stellung in der Gruppe. Tatsächlich entsprach auch im zweiten Lebenshalbjahr der untersuchten Jungtiere die soziale Stellung der jeweiligen Mutter der nach den Experimenten gefundenen Rangfolge. Blonda (die Mutter von Toto), die im ersten Lebenshalbjahr von Angela noch deren Mutter (Mecki) dominierte und die nach Vanda und Frieda ranghöchstes Weibchen war, verlor wieder diese Position an Mecki, blieb aber danach weiterhin das ranghöchste Weibchen der übrigen („rangmittleren“ und „rangniedrigen“) Weibchen.
Untersuchen wir nun, ob eventuell der sozialen Stellung der Mütter für das Verhalten der Kinder Bedeutung zukommt, und betrachten - getrennt nach Rangbereichen - die Selbständigkeitskurven von Kindern ranghoher (Angela), rangmittlerer (Micha, Toto, Tina und Olga) und rangniedriger (Neo, Felix und Ursula) Weibchen, so war das einzige Kind eines ranghohen Weibchens selbständiger als alle übrigen sieben Individuen. Darüber hinaus waren Kinder rangmittlerer Mütter im Mittel selbständiger als diejenigen rangniedriger Weibchen.
Auffällig ist, dass sich die Kinder der rangniedrigen Weibchen (Neo, Felix und Ursula) zu Ende des zweiten Lebenshalbjahres besonders häufig an der Mutter oder in der Nähe der Mutter aufhielten. (Über mögliche Einflüsse des Ranges der Mutter oder aber der unterschiedlichen Eigenschaften der von ihnen geborenen Kinder für die Beziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern sind damit noch keine Aussagen gemacht.)

Zu den Kontakten mit anderen Gruppenmitgliedern Für die soziale Stellung des Individuums in der Gruppe sind drei Komponenten verantwortlich, das rollenspezifische Verhalten (Alter und Geschlecht), verwandtschaftliche Beziehungen und der Rangplatz in der Gruppe.

Rollenspezifisches Verhalten Wie bereits für das erste Lebenshalbjahr beschrieben können wir auch im zweiten Lebenshalbjahr eine unterschiedliche Orientierung männlicher und weiblicher Kinder aufzeigen. Die Daten erlauben die Interpretation, dass weibliche Kinder Weibchen präferieren, männliche hingegen kein ausgeprägtes Wahlverhalten zeigen, entsprechen doch die Anteile älterer weiblicher Individuen an den Interaktionen männlicher Kinder dem Erwartungswert. Wie wir noch weiter ausführen werden, ist der Eindruck, dass Wahlverhalten nur von weiblichen Individuen gezeigt wird, falsch. Verantwortlich für das scheinbare Fehlen von Geschlechtspräferenzen im zweiten Lebenshalbjahr der männlichen Kinder ist vielmehr das Verhalten der älteren Juvenilen. Ältere männliche Individuen sind an weiblichen Kindern nicht interessiert, ältere weibliche Individuen hingegen zeigen - vor allem - pflegerische Aktivitäten gegenüber jüngeren Kindern beiderlei Geschlechtes, wie wir es bereits für das erste Lebenshalbjahr der acht im Focus stehenden Individuen ausführlich beschrieben haben.
Geschlechtspartnerpräferenzen sind demnach durchgängig aufzeigbar. Entsprechend interagieren männliche und weibliche Kinder aktiv vor allem mit Individuen des eigenen Geschlechtes, wie auch bei dem Vergleich der Anteile der Altersgenossen unterschiedlichen Geschlechtes für männliche und weibliche Individuen überaus deutlich wird. Hierfür verantwortlich können die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Verhalten sein. Wenn Männchen generell mehr spielen und Weibchen mehr pflegerische Aktivitäten zeigen, was wir in dieser Arbeit mehrfach beschrieben und bereits für das erste Lebenshalbjahr aufgezeigt haben, liegt es nahe, in den unterschiedlichen Verhaltenspräferenzen die Ursache für das unterschiedliche Wahlverhalten zu suchen.
Überlagert wird die generelle Orientierung zu Individuen des eigenen Geschlechtes durch eine Grundtendenz aller Jungtiere, bevorzugt enge Beziehungen zu Individuen zu unterhalten, die in zeitlicher Nachbarschaft geboren wurden. Insofern verwundert es auch nicht, dass Toto sowohl mit männlichen als auch mit weiblichen Juvenilen gleich häufig interagierte. Berücksichtigen wir nämlich Totos Alter - er wurde als jüngstes Männchen geboren und ist nach seinem Geburtsdatum fast gleich alt wie Olga und Tina - dann können wir seine häufigen Kontakte zu weiblichen Gleichalten zwanglos mit dieser Grundtendenz erklären. Er scheint für die drei älteren Männchen Neo, Micha und Felix nicht so attraktiv zu sein, da diese sich selbst als Spielpartner genügen.59
Vernachlässigen wir das Kalenderjahr und betrachten vielmehr jeweils die sechs vorangegangenen und sechs folgenden Monate, dann interagieren dennoch alle Jungtiere verstärkt mit solchen Individuen, die im selben „Jahr“ geboren wurden. Durch die gleiche Grundtendenz - die Präferenz für Tiere des gleichen Alters - wird auch der abweichende Befund von Micha bei der Wahl zwischen rangmittleren und rangniedrigen Sozialpartnern des eigenen Altersbereiches erklärbar, präferierte er doch hier den etwas älteren Neo und den etwas jüngeren Felix vor dem später geborenen Toto.
Geschlechtsspezifisches Verhalten dürfte für das Wahlverhalten der drei ältesten untersuchten männlichen Kinder (Neo, Micha, Felix) bei den Kontakten zu adulten Weibchen verantwortlich sein. Diese drei Individuen interagierten deutlich weniger mit adulten Weibchen als zu erwarten, alle weiblichen Individuen dagegen deutlich mehr mit adulten Weibchen als zu erwarten. Offensichtlich sind im zweiten Lebenshalbjahr also schon die Qualitäten der Sozialpartner unterschiedlich. Die bereits früh vorhandenen Unterschiede im Verhalten zwischen den Geschlechtern können - generalisieren wir unsere eigenen Befunde zum Mutter-Kind-Verhalten - auf ein unterschiedliches Verhalten der Mütter gegenüber männlichen und weiblichen Nachkommen nicht zurückgeführt werden.

Verwandtschaft Neben den durch Alter und Geschlecht, also durch das rollenspezifische Verhalten, bedingten Kontakten zu anderen Gruppenmitgliedern kommt solchen zu Verwandten generell hohe Bedeutung zu. Dies gilt für alle Species des Genus Macaca. Ein wichtiger Indikator für engere Beziehungen ist zweifellos die soziale Körperpflege, die zwischen Geschwistern weitaus häufiger zu beobachten ist als zwischen anderen Individuen der entsprechenden Altersstufen.
Wir können demnach vorerst feststellen, dass das Präferieren von Verwandten vor Nichtverwandten auch das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung ist. Besonders deutlich wurden diese Präferenzen bei gleichgeschlechtlichen Geschwistern, wie wir es bei den Kontakten zu jedem einzelnen Jahrgang belegen konnten.
Dieses Ergebnis ist aber nur scheinbar eindeutig und muss noch relativiert werden.60 Messen wir die absoluten Zahlen der Interaktionen zu den anderen Jahrgängen an den gesamten Interaktionen der jeweiligen Individuen, müssen diese eigentlich vernachlässigt werden. Die Kontakte zu den Geschwistern können demnach so wichtig für die soziale Stellung des Individuums nicht sein, wie es die bloße Betrachtung der Ergebnisse suggeriert.

Rang Die Analyse der sozialen Interaktionen der im Focus stehenden Jungtiere im ersten Lebenshalbjahr (Unterkapitel 14.5.1) hatte erbracht, dass dem Rangplatz der Mutter in der Gruppe keine Bedeutung für die sozialen Beziehungen und die Entwicklung der heranwachsenden Kinder zukommt. Das in der Gruppe geborene Makakenkind zeigt vor allem rollenspezifisches Verhalten. Im zweiten Lebenshalbjahr wird der Einfluss des Ranges der Mutter nun deutlich. Wie bereits aufgezeigt werden Individuen unterschiedlicher Rangbereiche früher oder später selbständig, bzw. suchen noch häufiger oder seltener die Nähe der Mütter.61 Wie bereits erwähnt, zeigten die jüngsten der acht untersuchten Jungtiere bei den Kontakten zu 1981 geborenen Jungtieren besonders häufig Kontaktaufnahmen, was problemlos erklärt werden konnte (s. o.). Insofern war der geringe Anteil der Interaktionen zu Individuen dieses Jahres an den Gesamtinteraktionen des Weibchens Ursula auffällig. Sie interagierte zudem nur mit einem Kind (Lotte) und schien an den anderen nicht interessiert zu sein. Berücksichtigen wir aber den Rang von Ursulas Mutter, dann ist diese rangniedrig, was ebenfalls für Lottes Mutter (Omega) zutrifft. Weit wahrscheinlicher als ein mangelndes Interesse anzunehmen, ist die Vermutung, dass Ursula nur mit rangniedrigen Kindern interagieren konnte, bei den übrigen Kindern handelte es sich nämlich nur um Kinder rangmittlerer Weibchen. Ebenfalls im Verhalten zu Individuen anderer Altersgruppen konnten wir einen Bezug zur Rangposition der Mütter aufzeigen, so wählten alle untersuchten Individuen im zweiten Lebenshalbjahr bei Kontakten zu älteren Juvenilen solche des eigenen Rangbereiches.62
Nämliches gilt auch für die Kontakte zu dem subadulten Weibchen Birgit, interagierte es doch nur mit männlichen Individuen, die - wie wir oben bereits ausgeführt haben - den Kontakt zu ihr auch unabhängig von der Mutter suchten, und mit der einzigen Tochter eines rangniedrigen Weibchens (Ursula). Das gleiche Phänomen, der geringe Kontakt rangniedriger subadulter Weibchen zu Kindern ranghöherer Mütter erklärt auch die bereits beschriebene Kontaktvermeidung. Über den Einfluss der Rangposition der Mütter auf die positiv-sozialen Kontakte der Juvenilen, die wir für die von uns untersuchte Species diskutieren konnten, liegen aus der Literatur keine Daten vor.

Schlussfolgerung

Unsere Untersuchungen an vier männlichen und vier weiblichen Javanermakaken zur postnatalen Entwicklung während des zweiten Lebenshalbjahres haben ergeben:

1. Der enge Mutter Kind-Kontakt bleibt im zweiten Lebenshalbjahr erhalten. Die Mütter sind weiterhin tolerant zu ihren Nachkommen, das Entferntsein von der Mutter ist stets eine aktive Leistung des jeweiligen Jungtieres.

2. Wie im ersten halben Lebensjahr unterhalten die Jungtiere kaum Kontakte zu dem Alpha-Männchen. Im Gegensatz zu den Befunden des ersten halben Lebensjahres sind nun auch nicht mehr enge Beziehungen zu den ranghöchsten Weibchen der Gruppe, dem Alpha-Weibchen und dem Beta-Weibchen zu beobachten.63

3. Zu den adulten Weibchen der Gruppe unterhalten im zweiten Lebenshalbjahr alle weiblichen Jungtiere mehr Kontakte als nach der Anzahl der Tiere zu erwarten. Generell interagierten alle Jungtiere häufig mit den adulten Weibchen, mit denen auch ihre Mütter häufig interagierten, bzw. hatten wenig Kontakt zu Weibchen, zu denen auch ihre Mütter wenig Kontakt unterhielten.64

4. Wie im ersten halben Lebensjahr ist wiederum auffällig, dass die männlichen Jungtiere auch häufig mit älteren Männchen interagieren, weibliche Jungtiere hingegen beschränken sich auf Kontakte zu weiblichen Individuen, unabhängig von deren Alter.

5. Alle Jungtiere unterhalten mehr Kontakte zu ihren Geschwistern als für die Individuen der Alters- und Geschlechtsgruppe, zu der das jeweilige Geschwister gehört, zu erwarten ist, jedoch sind nur die Kontakte zwischen weiblichen Jungtieren und deren weiblichen Geschwistern quantitativ auffällig.

6. Eine Beziehung zwischen dem Verhalten des Kindes und dem Rang der jeweiligen Mutter ist während des zweiten Lebenshalbjahres belegbar, so sind Kinder rangniedriger Weibchen weniger selbständig als solche ranghöherer Individuen. Darüber hinaus reduziert sich die Anzahl der engen Sozialpartner. Alle Jungtiere interagieren häufig nur noch mit Individuen des gleichen Rangbereiches, also Kinder rangniedriger Mütter mit rangniedrigen Tieren, Kinder ranghoher/rangmittlerer Individuen mit ranghohen/rangmittleren Tieren. Davon nicht betroffen ist der enge Kontakt zu Individuen des gleichen Alters, also zu Tieren, die direkt vor oder nach dem jeweiligen Jungtier geboren wurden.

14.5.3 Ältere Juvenile

Offen ist also, worauf das gezeigte Präferenzverhalten beruht, also inwieweit und wie lange junge Männchen für Weibchen attraktiv sind, und ob die Attraktivität gleichgeschlechtlicher Individuen für alle Altersstufen gilt.65 Zudem wollten wir prüfen, ob die Kontakte zu Verwandten durchgängig, also bei allen Tieren der Gruppe, aufzeigbar und ob diese Kontakte für das Individuum von Bedeutung sind, hatten wir doch gefunden, dass im ersten Lebensjahr die tatsächlich vorhandenen Beziehungen quantitativ nicht bemerkenswert sind. Zur Klärung dieser Fragen analysierten wir erneut die Daten der 25-monatigen Studie zur Rangordnung und zur Sozialstruktur der Gruppe (Unterkapitel 14.3 und 14.4) und werteten nun jedoch für jedes Jungtier die Interaktionen zu anderen Gruppenmitgliedern getrennt aus, dabei nach Lebensjahren differenzierend.66

Zum Wahlverhalten der in der Gruppe geborenen Jungtiere

Als Beispiel für das Wahlverhalten der Juvenilen wollen wir die Daten von zwei Jungtieren, Flava und Tritus, im dritten Lebensjahr betrachten. Wir erkennen (Abb. 14.56), dass das weibliche Jungtier Flava am häufigsten mit seiner Mutter Zita, mit den juvenilen Weibchen Calva (28) und Itta (24), den adulten Weibchen Frieda (13), Vera (03), Stirni (09) und Omega (11) und seiner Schwester Senia (33) interagierte, den Kontakten zu männlichen Individuen kam nahezu keine Bedeutung zu. Entsprechend interagierte Tritus vor allem mit seiner Mutter Vera (03) und den juvenilen Männchen Majo (18), Berni (15), Ernst (22), Orbi(16), Max (19), Paul (25), Benni (17) und Vemo (21). Zudem erkennen wir, dass in der Regel die Tiere als passive Partner nur für solche attraktiv sind, deren Kontakt sie auch selber aktiv suchen.



Abbildung 14.56: Häufigkeit der Interaktionen des Männchen Tritus und des Weibchens Flava mit allen anderen Gruppenmitgliedern während des dritten Lebensjahres, Interaktionen, die von Tritus bzw. Flava ausgehen, sind nach oben, die von den anderen Partnern ausgehenden nach unten aufgetragen. Sternchen markieren adulte Individuen.


Unabhängig vom Alter und Geschlecht konnten bei den Interaktionen der Juvenilen untereinander sowohl agonistische als auch positiv-soziale beobachtet werden. Agonistische Interaktionen gingen jeweils - bei jeder der untersuchten Dyaden - nur von einem der beiden Sozialpartner aus, so dass bei zwei beliebig ausgewählten Tieren das eine stets Aktor, das andere stets Empfänger war. Entsprechend den bisher an der Kolonie erhobenen Daten konnte die Richtung der agonistischen Aktivitäten nach den Rängen der jeweiligen Mutter (bei weiblichen und männlichen Individuen) bzw. dem Alter der Tiere (nur bei männlichen) vorhergesagt werden.
Scheinbar ist aber Flava hierfür kein Beleg, da sie im dritten Lebensjahr auch mit Individuen agonistisch interagierte, von denen sie selbst bedroht wurde. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Flavas Mutter Zita während der Experimente zur Rangordnung mehrfach ihren Rangplatz änderte, Flava war insofern manchmal Aktor, manchmal passiver Empfänger agonistischer Aktivitäten, dies jedoch stets zu unterschiedlicher Zeit.
Die agonistischen Interaktionen, deren Richtung damit informative Daten zur Rangstruktur lieferten, hatten jedoch nahezu keinen Aussagewert bezüglich der Präferenzen der einzelnen Juvenilen untereinander. Es war vielmehr durchgängig bei Juvenilen unabhängig vom Alter und Geschlecht festzustellen, dass die Häufigkeit agonistischer Verhaltensweisen keine Aussage über die Häufigkeit positiv-sozialer Interaktionen zuließ, d. h. es konnte weder eine positive noch eine negative Korrelation zwischen agonistischem und positiv-sozialem Verhalten gefunden werden. Da die grundsätzlichen Ergebnisse zur Rangstruktur unserer Kolonie bereits vorliegen, können wir hier also die agonistischen Beziehungen vernachlässigen. Wir wollen uns also bei der weiteren Betrachtung auf die Summe der positiv-sozialen Kontakte beschränken. Zudem wollen wir individuelle Unterschiede zurückstellen und vorerst nur prüfen, inwieweit das Geschlecht der Juvenilen und ihr Alter für die beobachteten Präferenzen verantwortlich sind. Da wir nach unseren bisherigen Ergebnissen wissen, dass der Verwandtschaft hohe Bedeutung zukommen könnte, haben wir bei der Auswertung nur die Kontakte zu solchen Individuen berücksichtigt, die nicht über die Mutter verwandt waren.
Bei allen untersuchten Altersgruppen - sowohl bei weiblichen als auch bei den männlichen juvenilen Makaken - zeigte sich nun die Bevorzugung des eigenen Geschlechtes hinsichtlich der positiv-sozialen Kontakte (Abbildungen 14.57 und 14.58).67



Abbildung 14.57: Relative Häufigkeit der Interaktionen zwischen den männlichen Juvenilen vom 2. - 5. Lebensjahr und den Juvenilen aller Altersgruppen, schraffiert: Männchen, weiß: Weibchen




Abbildung 14.58: Relative Häufigkeit der Interaktionen zwischen den weiblichen Juvenilen vom 1. - 3. Lebensjahr und den Juvenilen aller Altersgruppen, schraffiert: Männchen, weiß: Weibchen


Im Speziellen erkennen wir, dass männliche Jungtiere mehr oder weniger durchgängig während der gesamten hier ausgewerteten Lebensjahre mehr mit männlichen Juvenilen interagieren als mit weiblichen. Männliche Individuen unterhalten im zweiten Lebensjahr hiervon abweichend jedoch relativ mehr Kontakte zu älteren juvenilen Weibchen als in den späteren Lebensjahren. Dabei scheinen sie mit zunehmendem Alter der älteren Sozialpartner für männliche Gruppenmitglieder unattraktiver, für weibliche hingegem attraktiver zu werden, jeweils bezogen auf die Gesamtkontakte zu allen Individuen der entsprechenden Altersklasse. Besonders bemerkenswert ist ihre hohe Attraktivität für Weibchen im vierten Lebensjahr, unterhalten sie doch zu diesen weit mehr Kontakte als zu Männchen der entsprechenden Altersgruppe.
Weit auffälliger noch als bei den einjährigen Männchen (2. Lebensjahr) wird die Bevorzugung von Partnern des eigenen Geschlechtes bei älteren männlichen Juvenilen. Das Alter der Sozialpartner hat hier offensichtlich keinen großen Einfluss mehr. Durchgängig erkennen wir bei zwei- bis vierjährigen Männchen, dass sie für weibliche Juvenile unattraktiv sind bzw. auch an diesen kein Interesse haben. Ab dem dritten Lebensjahr verlieren also männliche Individuen offensichtlich ihre Attraktivität für - ältere - juvenile Weibchen.
Entsprechend den Befunden an männlichen Individuen finden wir für weibliche Juvenile, dass diese Individuen des eigenen Geschlechtes vor solchen des anderen bevorzugen und dies noch weitaus auffälliger als männliche Artgenossen. In der Abbildung haben wir auch die Ergebnisse für juvenile Weibchen im ersten Lebensjahr dargestellt, obwohl vergleichbare Befunde bereits für andere juvenile Weibchen besprochen wurden (Unterkapitel 14.5.1 und 14.5.2). Dies scheint aber wegen der speziellen Ergebnisse gerade bei weiblichen Kindern geboten, können wir doch nun diese auf eine breitere Basis stellen.
Ältere weibliche Gruppenmitglieder interagieren, den bisherigen Befunden an der Kolonie entsprechend, weitaus mehr mit weiblichen Kindern als männliche, was bei ein Jahr älteren Weibchen besonders deutlich ist. Unabhängig davon, dass die Präferenz von Individuen des eigenen Geschlechtes - unabhängig vom Alter - erhalten bleibt, nehmen die Kontakte der juvenilen Weibchen zu männlichen Individuen mit zunehmendem Alter relativ zu, sie interagieren also relativ häufiger mit männlichen Juvenilen als im ersten Lebensjahr. Dieser Befund gilt für einjährige und zweijährige juvenile Weibchen, also für Individuen im zweiten und dritten Lebensjahr. Insofern überrascht der hohe Anteil der dreijährigen Männchen (4. Lebensjahr) an den Interaktionen der weiblichen Kinder (1. Lebensjahr) und derjenige der vierjährigen Männchen (5. Lebensjahr) an den Interaktionen weiblicher Individuen im dritten Lebensjahr.68
Da bereits bekannt ist, dass alle Juvenilen enge Kontakte zu ihren Geschwistern halten, haben wir bei der bisherigen Betrachtung der Beziehungen zu anderen Juvenilen die Interaktionen zu Geschwistern nicht berücksichtigt. Zu Anfang dieses Kapitels hatten wir bereits exemplarisch gezeigt, dass das Beziehungsgefüge einer Dyade generell ausgewogen ist, dass also jedes Individuum häufig den Kontakt zu solchen sucht, die auch selber an ihm interessiert sind. Nämliches gilt für die Häufigkeit der Interaktionen der Geschwister untereinander. Entweder halten sie also nur wenige neutrale Kontakte oder aber waren füreinander gleichermaßen attraktiv und suchten gegenseitig ihre Nähe, dies unabhängig vom Alter. Über diesen allgemeinen Befund hinaus waren jedoch geschlechtsspezifische Unterschiede bemerkenswert. Weibliche Juvenile interagierten häufiger mit ihren Geschwistern als männliche. Zudem fiel auf, dass in jedem einzelnen der Kombination Schwester/jüngeres Geschwister (unabhängig vom Geschlecht) die ältere Schwester der aktivere Partner der Geschwisterdyade war. Die Befunde der männlichen Individuen dagegen waren nicht einheitlich. Der ältere Bruder war also teils der aktivere, teils der passivere Partner oder aber gleichermaßen oder gleichwenig wie sein jüngeres Geschwister an diesem interessiert.
Vergleichen wir nun den Anteil der jeweiligen Geschwister an den Gesamtinteraktionen des Individuums zu der Alters-/Geschlechtsgruppe, zu der das Geschwister gehört, mit den Anteilen der übrigen Juvenilen - durch die dreizehn in der Gruppe vorhandenen Geschwisterpaare und die Auswertung nach Lebensjahren haben wir 39 „Geschwisterpaarungen“ analysieren können -, dann war das Geschwister 35ma1 (90 %) attraktivstes Individuum der entsprechenden Alters-/Geschlechtsgruppe, zehnma1 (50 %) zwar nicht am attraktivsten, jedoch attraktiver als nach der Anzahl der Tiere der entsprechenden Altersgruppe zu erwarten, und nur zweimal (5 %) war der Anteil des Geschwisters gering. Dem Verwandtsein scheint also durchgängig hohe Bedeutung zuzukommen.
Neben der Präferenz für Juvenile unterschiedlichen Alters und Geschlechtes haben wir auch die Interaktionen zu adulten Weibchen erneut überprüft, wobei wir - vorerst - die jeweiligen Mütter nicht berücksichtigt haben. Es zeigte sich, dass juvenile Männchen für adulte Weibchen unattraktiv sind. Unabhängig vom Alter der juvenilen Männchen - wobei hier das erste Lebensjahr nicht berücksichtigt ist - beschränkten sich die Interaktionen zwischen juvenilem Männchen und adulten Weibchen auf (geringe) ungerichtete (Kontaktsitzen/Zusammensitzen) und eher zufällige Kontakte oder aber auf Kontaktaufnahmen durch das jeweilige juvenile Männchen.
Im deutlichen Gegensatz hierzu kam den juvenilen Weibchen als passive Sozialpartner adulter Weibchen Bedeutung zu. Besonders häufig wurden jene von solchen adulten Weibchen gepflegt, die eine ähnliche soziale Stellung wie die eigene Mutter hatten, also die der Mutter der juvenilen Weibchen rangbenachbart waren. Unabhängig hiervon waren jedoch die Kontakte zu adulten Weibchen für alle untersuchten Individuen quantitativ nicht sehr auffällig, weitaus bemerkenswerter dagegen die Häufigkeit der Interaktionen zur eigenen Mutter. Unabhängig vom Alter interagierten alle juvenilen Männchen mit ihrer eigenen Mutter weit häufiger als mit irgendeinem anderen adulten Weibchen der Gruppe. Die Kontakte zwischen Mutter und Sohn reduzierten sich zwar mit zunehmendem Alter der Juvenilen, blieben aber selbst im fünften Lebensjahr die intensivsten, die das jeweilige Männchen zu irgendeinem der adulten Weibchen der Gruppe unterhielt, wie exemplarisch für Protus und Orbi gezeigt werden soll (Abb. 14.59).
Daneben sei hier schon erwähnt, dass nach neueren Beobachtungen an unserer Kolonie der enge Kontakt zwischen Mutter und Sohn auch nach dem Adultwerden erhalten bleibt (Unterkapitel 14.8). Der - wie ich zeigen werde - für männliche Juvenile erhaltene Befund, dass die Kontakte zur Mutter lebenslang von Bedeutung sind, gilt gleichfalls für weibliche Individuen.



Abbildung 14.59: Häufigkeit der Kontakte der Männchen Protus und Orbi zu ihren Müttern (schraffiert) und zu den anderen adulten Weibchen der Gruppe (weiß) (Mittelwert nebst Standardabweichung)




Abbildung 14.60: Häufigkeit der Kontakte der Weibchen Calva und Christa zu ihren Müttern (schraffiert) und zu den anderen adulten Weibchen der Gruppe (weiß) (Mittelwert nebst Standardabweichung)


Diese unterhalten zwar generell weit mehr Kontakte zu adulten Weibchen als männliche Juvenile, doch sind diese - messen wir sie an der Zahl der Kontakte zur eigenen Mutter - nur gering, was exemplarisch für Christa und Calva dargestellt sei (Abb. 14.60).

Diskussion

Die Analyse der 25-monatigen täglichen Beobachtungen erbrachte, dass alle in der Gruppe geborenen Jungtiere - unabhängig vom Alter - den Kontakt zu Tieren des eigenen Geschlechtes solchem zu Individuen des anderen Geschlechtes vorzogen. Von diesem generellen Befund abweichend interagierten jedoch einjährige Männchen (2. Lj.) auffallend häufig und weibliche Kinder (1. Lj.) auffallend wenig mit dreijährigen juvenilen Weibchen (4. Lj.). Der Befund der männlichen Juvenilen könnte zwanglos mit dem bereits beschriebenen Verhalten juveniler Weibchen, pflegerische Aktivitäten gegenüber jüngeren Jungtieren zu zeigen, erklärt werden. Bei den fraglichen juvenilen Weibchen handelte es sich jeweils nur um ein bestimmtes Weibchen, Birgit, das - mutterlos - eine rangniedrige Position in der Gruppe einnahm. Insofern konnten sich ihr alle jungen Männchen nähern, ohne Gefahr zu laufen, abgewiesen zu werden. Mit dem Tatbestand, dass es sich hier nur um ein rangniedriges Weibchen - Birgit - handelt, ist auch zu erklären, dass weibliche Kinder wenig Kontakt zu ihm unterhielten, ließen doch die Mütter der entsprechenden Kinder Kontaktaufnahmen von und zu diesem Individuum nicht zu. Der abweichende Befund wäre also hinreichend erklärt. Die somit stets zu findenden Präferenzen zu Individuen des eigenen Geschlechtes scheinen jedoch den Ergebnissen an einjährigen Juvenilen zu widersprechen, hatten wir hier doch gefunden, dass im ersten Lebensjahr Männchen für Individuen beiderlei Geschlechtes attraktiv sind. Zur Klärung wollen wir erneut exemplarisch Flava und Tritus betrachten und jeweils die Kontakte zu den übrigen Gruppenmitgliedern für deren zweites und drittes Lebensjahr angeben (Abb ma13).



Abbildung 14.61: Häufigkeit der Interaktionen von Tritus und Flava während ihres zweiten und dritten Lebensjahres zu männlichen und weiblichen Artgenossen unterschiedlichen Alters, ist keine Standardabweichung angegeben, so war die jeweilige „Gruppe“ nur durch ein Individuum vertreten.


Wir erkennen, dass die Präferenz für Individuen des eigenen Geschlechtes grundsätzlich vorhanden ist. Vergleichen wir die Kontakte dieser beiden Individuen zu ein Jahr jüngeren Tieren, dann zeigt sich in beiden Lebensjahren, dass jeweils Individuen des eigenen Geschlechtes mehr oder weniger deutlich präferiert werden, darüber hinaus wird aber auch deutlich, dass Flava jeweils häufiger mit ein Jahr jüngeren Männchen interagierte als Tritus. Tritus - und dies gilt prinzipiell für alle männlichen Individuen - war mehr an gleichalten und älteren juvenilen Männchen interessiert, Flava hingegen - wie auch die übrigen juvenilen Weibchen - interagierte mit jüngeren Weibchen häufiger als mit gleichalten und älteren. Die Orientierung der Männchen zu älteren und der Weibchen zu jüngeren Individuen ist demnach für den scheinbaren Widerspruch verantwortlich. Männliche Kinder interagieren also während ihres ersten Lebensjahres gleichwertig mit älteren Männchen und Weibchen. Dabei sind sie aber für Männchen immer noch attraktiver als weibliche Kinder. Insofern ergänzen und spezifizieren diese Befunde die Ergebnisse an den acht ausgewählten Individuen während des ersten Lebensjahres.
Neben dieser Orientierung zu Individuen des eigenen Geschlechtes war erwartungsgemäß der Kontakt zur eigenen Mutter bei allen untersuchten Jungtieren aufzeigbar. Überraschend war nur, dass selbst bei fünfjährigen Männchen diese enge Beziehung weiterhin festgestellt werden konnte.
Unabhängig von dieser engen Mutter-Kind-Bindung war auch auffällig, dass alle Individuen den Kontakt zum jeweiligen Geschwister häufiger suchten als denjenigen zu Altersgenossen des Geschwisters. Wir müssen aber bedenken, dass nur selten, in unserem Fall nur bei zwei Geschwisterkombinationen (Berni mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder Ernst, Calva mit ihrer ein Jahr jüngeren Schwester Cornelia), die Kontakte wirklich für die Individuen quantitativ über denen zu bestimmten anderen nichtverwandten Sozialpartnern liegen. Der Kontakt zu Geschwistern war nicht so auffällig wie der zur Mutter. Bedenken wir, dass der enge Mutter-Kind-Kontakt zwangsläufig bedingt, dass alle Tiere auch mit solchen - zufällig - mehr interagieren, die zur eigenen Mutter enge Kontakte unterhalten, dann ist der Kontakt zu Geschwistern durch die Kontakte zur eigenen Mutter hinreichend erklärt.
Wir können nun also wichten und folgern, dass der Kontakt zu anderen Gruppenmitgliedern und damit die Struktur der Gruppe vor allem auf rollenspezifischem Verhalten beruht, alle Individuen halten enge Kontakte zu Tieren des gleichen Geschlechtes, dabei Individuen des eigenen Altersbereiches, Gleichalte, ein Jahr Ältere und ein Jahr Jüngere, präferierend. Darüber hinaus unterhalten alle Tiere lebenslang Kontakte zur eigenen Mutter, wodurch dann zwangsläufig die zu beobachtende enge Beziehung zu Verwandten, die zweite Komponente, bedingt wird. Überlagert wird dieses Beziehungssystem schließlich durch die hierarchische Struktur der Gruppe, für die wir in diesem Teil der Arbeit bei den Beziehungen zu den dreijährigen Weibchen einen weiteren Beleg aufzeigen konnten. Die Komponenten der Sozialstruktur der Javanermakaken sind demnach aufgezeigt. Offen ist jedoch, ob und wieweit Erziehungsprozesse durch andere (ältere) Gruppenmitglieder hierfür verantwortlich bzw. für die Ausprägung der Komponenten obligatorisch sind. Dies gilt für alle drei Komponenten der Sozialstruktur. Zur Beantwortung dieser Fragenkomplexe haben wir Untersuchungen an ohne Einfluss von Müttern und Geschwistern aufgezogenen Javanermakakenkindern unternommen (Unterkapitel 14.6).

Schlussfolgerung

Die Analyse der Interaktionen von 23 in der Gruppe geborenen Jungtieren während einer 25 monatigen Untersuchung zum Sozialverhalten des Javanermakaken hat erbracht:

1. Alle Jungtiere interagieren häufiger mit gleichgeschlechtlichen Individuen aller Altersgruppen als mit solchen des anderen Geschlechtes, dabei präferieren juvenile Männchen gleichalte und ältere Männchen; jüngere Männchen dagegen sind für sie generell unattraktiv, wenngleich sie zu diesen noch mehr Kontakte unterhalten als zu jüngeren Weibchen. Juvenile Weibchen hingegen interagieren mit weiblichen Individuen aller Altersgruppen, für sie sind jüngere Individuen stets attraktiv, besonders solche des eigenen Geschlechtes. Allein auf der Orientierung der Männchen zu gleichalten und älteren und der Weibchen zu jüngeren Individuen beruht der Befund, dass Männchen im ersten Lebensjahr für Individuen beiderlei Geschlechtes gleichermaßen attraktiv sind.

2. Alle Juvenilen unterhalten unabhängig vom Alter und Geschlecht enge Kontakte zur Mutter, die Kontakte zur Mutter bedingen vornehmlich die aufzeigbaren Präferenzen für Geschwister. Bei den Kontakten zu Geschwistern sind ältere Schwestern jeweils der aktivere Partner.

3. Juvenile Männchen sind für adulte Weibchen (Nichtmütter) als Sozialpartner generell unattraktiv. Soweit dennoch Interaktionen zu beobachten sind, ist das jeweilige Männchen der aktivere Partner bei der juveniles Männchen-adultes Weibchen-Dyade.



Abbildung 14.62: 18 der 20 „peers“


Juvenile Weibchen dagegen sind als passive Partner für adulte Weibchen attraktiv, besonders für solche, die der Mutter des jeweiligen juvenilen Weibchens rangbenachbart sind.

14.6 Alter und Geschlecht II: „peer“ - aufgezogene Jungtiere

14.6.1 Das erste Lebenshalbjahr

In vorausgegangenen Unterkapiteln haben wir aufgezeigt, dass drei Komponenten das Verhalten des Individuums in einer Sozialgruppe des Javanermakaken bedingen, nämlich 1. sein Alter und sein Geschlecht, also sein rollenspezifisches Verhalten, 2. seine verwandtschaftlichen Beziehungen und 3. seine soziale Stellung im hierarchisch organisierten Gruppenverband.69 Für alle drei Komponenten wurden zahlreiche Belege gegeben. Mit dem Aufzeigen dieser Komponenten waren jedoch noch keine Aussagen darüber gemacht, ob und inwieweit für deren Ausformung Erziehungsprozesse bzw. Einflüsse anderer (älterer) Gruppenmitglieder verantwortlich sind. Zur Klärung dieser - gerade im Hinblick auf die kontroverse Diskussion bei unserer eigenen Species - noch offenen Fragen mussten wir den Einfluss der anderen Gruppenmitglieder auf die Heranwachsenden ausschließen. Hierzu zogen wir 20 Neugeborene des Javanermakaken von Geburt an isoliert von der Sozialgruppe auf, so dass diese nur Kontakte zu Individuen gleicher Aufzuchtsgeschichte und gleichen Alters hatten. Mit diesem Experimentalansatz sollte es möglich sein, den Einfluss von Lernprozessen für später zu beobachtenden soziales Verhalten zu bestimmen. Durch unterschiedliche Experimente und Analysemethoden müsste es gelingen, die Notwendigkeit von Erziehungsprozessen durch Mütter, Geschwister und andere Gruppenmitglieder glaubhaft zu machen oder zu widerlegen. Durch Querschnittanalysen sollte die Komponente „Geschlechtsspezifisches Verhalten“, durch Längsschnittanalysen die Komponente „Rangordnung“ aufzeigbar sein (vgl. Unterkapitel 14.1). Da zudem auch einige der Jungtiere eine gemeinsame Mutter haben, müsste auch die Komponente „Verwandtschaftliche Beziehungen“ analysierbar sein (vgl. Unterkapitel 14.10).
Hier möchten wir über den ersten Teil der Querschnittanalyse, nämlich über das erste halbe Lebensjahr der Javanermakakenkinder, berichten. Nach den Erkenntnissen unserer Untersuchung an in der Gruppe aufwachsenden Jungtieren, sollte - soweit Erziehungsprozesse in der Gruppe hierfür nicht verantwortlich sind - rollenspezifisches Verhalten schon in dieser Altersphase aufzeigbar sein (vgl. Unterkapitel 14.5.1).70

Vorgehen

Versuchstiere


Tabelle 14.7: „peer“ - aufgezogene Jungtiere
----------------------------------------------------------
-Name------Geschlecht---Geburtsdatum---------Eltern-------
 Regina         f         29.06.1981      MI/Romana
 Laura          f         06.07.1981      M2/Laurina

 Nadja          f         31.08.1981       M3/Nadine
 Anna           f         22.10.1981      M4/Anneliese
 Olaf           m         11.01.1982     Nikita/Barbara
 Susanne        f         14.02.1982       Nikita/Zita

 Carmen         f         22.02.1982      Nikita/Mecki
 Klara          f         13.03.1982      Nikita/Alba
 Armin          m         23.10.1982      Nikita/Alba
 Otto           m         26.10.1982       Nikita/Vera
 Tobias         m         22.11.1982     Nikita/Blonda

 Sonja          f         28.11.1982     Nikita/Omega
 Arno           m         09.12.1982       Nikita/Zita
 Helga          f         27.01.1983    Nikita/Jungfrau
 Meike          f         25.04.1983      Nikita/Mecki
 Gerd           m         11.05.1983     Nikita/Barbara

 Maria          f         14.06.1983     Nikita/Omega
 Klaus          m         15.08.1983      Nikita/Stirni
 Kurt           m         13.10.1983       Nikita/Vera
 Martin         m         20.11.1983      Nikita/Mevki
----------------------------------------------------------



Abbildung 14.63: Regina




Abbildung 14.64: Laura




Abbildung 14.65: Cornelia Schäfer-Witt mit Regina




Abbildung 14.66: „peer“ aufgezogener Javanermakake




Abbildung 14.67: „peer“ aufgezogener Javanermakake




Abbildung 14.68: „peer“ aufgezogener Javanermakake




Abbildung 14.69: „peer“ aufgezogener Javanermakake




Abbildung 14.70: „peer“ aufgezogener Javanermakake




Abbildung 14.71: „peer“ aufgezogener Javanermakake


Vier der für diese Untersuchung verwandten 20 Macaca fascicularis entstammen der Zuchtkolonie der Behringwerke in Marburg (Regina bis Anna), die übrigen 16 sind in Kassel geboren. Die jungen Javanermakaken wurden in zwei Gruppen gehalten, eine (Gruppe 1, Regina - Klara) bestand aus acht (1,7), die andere (Gruppe 2, Armin - Martin) aus zwölf (8,4) Individuen.

Haltungsbedingungen Die Javanermakakenkinder waren - um eine Beeinflussung durch Artgenossen auszuschließen - in einem umgebauten Büroraum ohne optischen und akustischen Kontakt zu anderen Makaken untergebracht. Die Aufzuchtanlage bestand aus einem vier Kubikmeter großen Käfig, in dem ein zusätzlicher Innenkäfig (1 m x 0,5 m x 0,5 m), angebracht war. Der Innenkäfig diente als Gewöhnungskäfig bei den Introduktionen der jeweiligen „peers“. Das neu dazukommende Jungtier wurde im Alter von vier Wochen in den Innenkäfig gesetzt und konnte ohne Verletzungsgefahr Kontakt zu den anderen - älteren - Artgenossen aufnehmen. Im Alter von fünf Wochen schließlich wurde das jeweilige Jungtier zu den übrigen „peers“ gelassen. Temperatur (27 ± 2 Grad C) und Luftfeuchte (60 ± 20 %) waren mehr oder weniger konstant, das Licht wurde von 8.00 bis 20.00 Uhr geschaltet. Bedingt durch das hohe Zerstörungspotential der kleinen Makakenkinder und ihre Fähigkeit, jede Situation zum Verlassen der Käfige zu nutzen, musste der „peer“ - Aufzuchtkäfig häufig umgestaltet werden (vgl. Unterkapitel 14.1), doch war dies für die hier beschriebene Lebensphase ohne Bedeutung und kann insofern vernachlässigt werden.

Beobachtungsbedingungen und -protokoll Alle Jungtiere wurden ab der fünften Lebenswoche täglich fünfzehn Minuten einzeln beobachtet, d. h. bei den Beobachtungen stand jeweils nur ein Individuum im Focus des Beobachters, die Daten für jedes Individuum wurden unabhängig voneinander erhoben. Beobachtungzeit und -katalog (im Prinzip identisch mit dem in Unterkapitel 14.5.1 angebenen) waren vorgegeben, ebenso die Reihenfolge der Individuen bei den Beobachtungen.
Für die Auswertung berücksichtigten wir die Daten ab der sechsten Lebenswoche, da erst hier Interaktionen mit den anderen Gruppenmitgliedern unbegrenzt möglich waren.

Befundauswertung, Darstellung der Ergebnisse Von den Daten der 20 Jungtiere haben wir hier (die Befunde der ersten sechs Lebensmonate) nur diejenigen genutzt, bei denen sichergestellt war, dass die Jungtiere auch wirklich die Gelegenheit zum Sozialkontakt hatten (Gruppe 1: Anna - Klara, Gruppe 2: Tobias - Martin). Insofern haben wir die Daten der jeweils ersten Mitglieder der beiden „peer“ - Gruppen verworfen und für die Auswertung solche von sieben Männchen und acht Weibchen genutzt. Bei der Auswertung stellte sich heraus, dass die quantitativen Daten beider Gruppen fast immer im gleichen Bereich lagen, so dass eine Differenzierung nach Gruppen nur bei einem Verhalten, dem Kontaktsitzen, nötig war. Grundsätzlich haben wir bei den Abbildungen (der entsprechenden Publikation ([280]) die Werte für Männchen und Weibchen (nebst mittlerem Fehler) gesondert angegeben. Wegen des großen Altersunterschiedes der Gruppenmitglieder in beiden untersuchten „peer“ - Gruppen, war die „Qualität“ der Sozialpartner unterschiedlich und dementsprechend die Streuung der Werte groß.
Wir haben daher jeweils zusätzlich innerhalb der Gruppen die Werte von mehr oder weniger gleichalten Individuen verglichen, sollten diese nicht dem Trend der Mittelwerte folgen, wird dies gesondert angegeben. Soweit Unterschiede statistisch eindeutig zu sichern sind, haben wir dies jeweils vermerkt.

Die Interaktionen des ersten Lebenshalbjahres der „peers“.

Wegen des breiten Datenmaterials und dem Einsatz eines Computerprogrammes war es möglich, jede einzelne protokollierte Verhaltensweise gesondert zu betrachten, entsprechend wollen wir hier auch nach Verhaltensweisen getrennt berichten und die verschiedenen Daten in der Diskussion integrieren.
Betrachten wir das Spielen insgesamt, dann spielen Männchen durchgängig mehr als Weibchen. Differenzieren wir nach den verschiedenen Spielformen und betrachten vorerst das sogenannte „neutrale“ Spiel, also das Spiel, wo zwischen aktivem und passivem Partner nicht unterschieden werden kann, so fällt ein bemerkenswerter Unterschied zwischen den Geschlechtern auf. Bei dem gemeinsamen Spielen am gleichen Objekt (ohne klaren Partnerbezug) sind die Weibchen aktiver als die Männchen, bei dem Kampfspiel und dem Nachlaufspiel hingegen sind die Männchen die aktiveren. Nur bei dem gemeinsamen partnerbezogenen Objektspiel ist der Anteil von Männchen und Weibchen ausgewogen. Bei den gerichteten spielerischen Aktivitäten Spielaufforderung und Spielerisches Beißen sind die Männchen häufiger aktiver und häufiger passiver Partner als die Weibchen.
Bei Berücksichtigung von Partnerpräferenzen war auffällig, dass neun der 15 Jungtiere den Spielkontakt zum nächstälteren Individuum, drei zu dem nächstjüngeren und drei zu dem nächstälteren des eigenen Geschlechtes suchten. Insgesamt war der präferierte Spielpartner neunmal gleichgeschlechtlich. Darüber hinaus war bemerkenswert, dass die jeweiligen Individuen als passive Partner in der Regel für Männchen attraktiver waren als für Weibchen. Nur in Gruppe 1, in der nur ein Männchen vorhanden war, wich ein Tier (Klara) von diesem Trend ab.
Bei dem Kontaktsitzen war es - wie bereits erwähnt - nötig, nach Gruppen zu differenzieren ([280]). In beiden Gruppen zeigten die Weibchen häufiger dieses Verhalten als die (Gruppe 2) bzw. das (Gruppe 1) Männchen. Als Partner wurden von Männchen und Weibchen in der Regel Weibchen gewählt.
Bei dem Verhalten Gehenzu war vor allem auffällig, dass die Jungtiere im ersten halben Lebensjahr erwartungsgemäß nicht so oft zu anderen Gruppenmitgliedern gingen, wie sie von diesen aufgesucht wurden.
Bei der Sozialen Körperpflege wird deutlich, dass, wie bei dem Gehenzu, die Tiere weit häufiger passive als aktive Partner sind, darüber hinaus, dass Weibchen attraktiver sind als Männchen. Ohne jede Ausnahme war der jeweils aktivste Sozialpartner älter, meist weit älter, als das gewählte Jungtier.
Als aktive Partner bei dem Manipulieren konnten Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen nicht festgestellt werden, auffällig war, dass elf der fünfzehn Jungtiere bei dem aktiven Manipulieren ein (noch) jüngeres Tier präferierten.
Dementsprechend verwundert es nicht, dass der aktivste aktive Partner meist (in vier- zehn der fünfzehn Fälle) älter war als das jeweilige Jungtier. Zudem wurden eindeutig Weibchen bevorzugt von anderen Gruppenmitgliedern manipuliert.
Das Verhalten Umarmen wird von Männchen und Weibchen unterschiedlich häufig gezeigt, Weibchen umarmen andere Gruppenmitglieder - unabhängig vom Alter und Geschlecht - häufiger als Männchen. Als passive Partner, also als Partner, die von anderen Gruppenmitgliedern umarmt werden, sind Weibchen weitaus attraktiver als Männchen. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass alle Individuen, Männchen und Weibchen, bevorzugt von älteren Gruppenmitgliedern umarmt werden.
Bei dem Klammern sind die von uns untersuchten 15 „peers“ häufiger aktiver als passiver Partner. Sie klammerten bevorzugt an älteren (14 der 15 „peers“) Gruppenmitgliedern. Interessant ist zudem, dass Männchen stets Weibchen, Weibchen hingegen Individuen beiderlei Geschlechtes zum Klammern bevorzugt aufsuchten. Als passive Partner waren die weiblichen Kinder attraktiver als die männlichen.
Neben den bereits beschriebenen Verhaltensweisen haben wir noch betrachtet, wie häufig unsere 15 Jungtiere von anderen Gruppenmitgliedern getragen wurden, bzw. wie oft hieran Männchen und Weibchen beteiligt waren. Die gefundenen Werte des Tragens haben wir mit dem Erwartungswert (EW) verglichen, also dem Wert, den wir erwarten müssten, wenn Männchen und Weibchen gleichermaßen am Tragen der Jungen beteiligt sind. Es zeigte sich, dass das Tragen durch - meist - ältere Gruppenmitglieder eine „Tätigkeit“ der Weibchen ist.
Die übrigen protokollierten Verhaltensweisen waren quantitativ nicht bemerkenswert. Erwähnt werden soll jedoch, dass bei dem Verdrängen erwartungsgemäß die „peers“ weit häufiger passiver als aktiver Partner sind.
Bei den agonistischen Interaktionen schließlich, bei denen die „peers“ im ersten halben Lebensjahr - ebenfalls erwartungsgemäß - eher die passiveren Partner sind, zeigten sich dennoch bei den geringen von ihnen ausgehenden Aktionen (Männchen im Mittel 35, Weibchen im Mittel 13) Unterschiede. Weibchen bedrohten (Drohen mit und ohne Lautäußerung) und jagten andere Gruppenmitglieder, Männchen hingegen traktierten und bissen die Sozialpartner. Es sei noch erwähnt, dass Weibchen im Mittel 102 und Männchen im Mittel 118 agonistische Aktivitäten „erlitten“.

Diskussion

Wie bereits anfangs betont unterscheiden sich ohne jeden Zweifel männliche und weibliche Individuen in ihrem Verhalten. Offen ist jedoch, wodurch diese Unterschiede bedingt sind. Nach Literaturdaten (zitiert in [280]) werden Neugeborene bereits kurz nach Geburt von anderen Gruppenmitgliedern untersucht und manipuliert, das Geschlecht - so die Annahme - wird bestimmt. Zahlreiche vergleichbare Beobachtungen konnten wir ebenfalls an unseren Kolonien des Javanermakaken und des Kapuzineraffen machen. Die Beobachtungen, dass Mütter männliche Kinder früher und häufiger bedrohen und bestrafen, suggerierten, dass das Verhalten der Infantes und Juvenilen eine Funktion des Verhaltens ihrer Umgebung ist. Weit eher als durch direkte Beobachtungen ließe sich das Geschlecht des Jungtieres nach dem Verhalten der Mutter bestimmen. Demnach spräche alles dafür, dass zu Beginn Geschlechtsunterschiede gering sind. Literaturdaten stützten die Hypothese, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Verhalten vor allem durch die Behandlung durch Artgenossen bedingt seien. Solche Befunde stützten zweifellos die gängigen Annahmen der westlichen Kulturgesellschaft, geschlechtsspezifische Unterschiede wären demnach vor allem erziehungsbedingt. Unsere eindeutigen Befunde an in der Gruppe aufgezogenen Jungtieren bzw. auch bereits bekannte Unterschiede im Verhalten der Geschlechter können diese Annahme nicht widerlegen.
Wir haben daher nach einer Möglichkeit gesucht, den Einfluss der sozialen Umwelt zu relativieren und haben dies durch Handaufzucht vom ersten Lebenstag an erreicht. Bei den untersuchten „peers“ können wir sicher sein, dass sie Einflüssen adulter Individuen nicht unterworfen waren. Sollten die „peers“ selber einen „prägenden“ Einfluß gehabt haben, müssten Unterschiede nicht zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen den Gruppen auftreten, in einer waren nämlich die ältesten Individuen weiblich (Gruppe 1), in der anderen männlich (Gruppe 2). Für solche Einflüsse gab es jedoch keinen Beleg.
Der einzige Unterschied, der zwischen den Gruppen auftrat, war die Häufigkeit des Kontaktsitzens, hier zeigten alle Individuen der Gruppe 2 dieses Verhalten häufiger als solche der Gruppe 1, was wir bei der Darstellung der Ergebnisse berücksichtigt haben.
Betrachten wir nun diese Befunde im Einzelnen, so zeigte sich - in Übereinstimmung mit unserem bisherigen Wissensstand -, dass Weibchen mehr Kontaktsitzen zeigen als Männchen und Männchen mehr spielen als Weibchen bzw. gleichfalls als Spielpartner attraktiver als Weibchen sind. Die Differenzierung nach verschiedenen Spielformen erbrachte darüber hinaus, dass dies für Kampfspiel, Nachlaufspiel, Spielerisches Beißen und für die Häufigkeit der Spielaufforderung gilt, bei dem Objektspiel hingegen zeigten sich solche Unterschiede nicht, bei dem Gemeinsamen Spiel am gleichen Objekt waren die Weibchen sogar aktiver als die Männchen. Betrachten wir die Resultate von in der Gruppe aufgezogenen Jungtieren im ersten Lebenshalbjahr bzw. generell die Befunde der (älteren) Juvenilen, dann kann die dort gefundene höhere Beteiligung männlicher Individuen am Spiel sicherlich durch Umwelteinflüsse nicht hinlänglich erklärt werden. Männchen spielen offensichtlich mehr, weil sie Männchen sind, und nicht, weil sie wie Männchen behandelt werden.
Damit haben wir jedoch die Ergebnisse an den „peers“ nicht ausgeschöpft, neben den an sich erwarteten Befunden, dass alle „peers“ signifikant häufiger passive Partner bei dem Verhalten Gehenzu und bei der sozialen Körperpflege bzw. signifikant häufiger aktiver Partner bei dem Klammern an anderen Tieren sind, haben wir Geschlechtsunterschiede gefunden, die bisher nicht beschrieben sind.
Die weiblichen „peers“ waren nämlich bei der sozialen Körperpflege, bei dem Manipulieren und bei dem Umarmen als passive Partner signifikant attraktiver als männliche Artgenossen. Da alle „peers“ wegen des Alters der anderen Gruppenmitglieder zu bestimmten Verhaltensweisen nicht gezwungen werden konnten, ist der Schluß zwingend, dass weibliche Individuen sich lieber putzen, manipulieren und umarmen lassen als männliche Individuen, dies bereits im ersten Lebenshalbjahr. Diesen Befunden korrespondiert, dass die untersuchten „peers“ signifikant häufiger von weiblichen (älteren) Gruppenmitgliedern getragen wurden als von (älteren) Männchen. Bei dem Klammern, dem Aufsuchen meist älterer Individuen mit dem Ziel des engen Körperkontaktes, präferierten männliche Individuen stets Weibchen, insofern verwunderte es nicht, dass die hier untersuchten weiblichen „peers“ bereits im ersten Lebenshalbjahr als passive Partner bei dem Klammern signifikant attraktiver waren als ihre männlichen Altersgenossen.
Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind also durchgängig, weibliche Individuen sind eher Empfänger pflegerischer Aktivitäten als männliche Individuen, Männchen spielen mehr. Ohne Zweifel ist dieser Geschlechtsunterschied bereits früh in der Verhaltensontogenese angelegt, einen Einfluss der Umwelt erfordert er, zumindest bei dem Javanermakaken, nicht.

Schlussfolgerung

Die Untersuchungen an ohne Kontakt zu Müttern, Geschwistern und älteren Artgenossen aufgezogenen Javanermakakenkindern haben für das erste halbe Lebensjahr erbracht:

1. Weibliche Jungtiere zeigen häufiger Kontaktsitzen, männliche häufiger Spielen. Bei einer Differenzierung zwischen verschiedenen Spielformen zeigt sich, dass Männchen bei dem Kampfspiel, bei dem Nachlaufspiel, bei dem Spielerischen Beißen und bei der Spielaufforderung aktiver sind als Weibchen. Weibchen dagegen beteiligen sich häufiger an dem Gemeinsamen Spiel am gleichem Objekt.

2. Männchen und Weibchen sind bei dem Verhalten Gehenzu und bei der Sozialen Körperpflege signifikant häufiger passive und bei dem Klammern signifikant häufiger aktive Partner, d. h. sie werden von anderen (älteren) Gruppenmitgliedern häufiger aufgesucht und nutzen diese zum Klammern.

3. Weibchen sind bei der Sozialen Körperpflege, bei dem Manipulieren und bei dem Umarmen als passive Partner signifikant attraktiver als Männchen.

4. Männchen und Weibchen werden von (älteren) weiblichen Gruppenmitgliedern weitaus häufiger getragen als von männlichen. Diesem Befund korrespondiert, dass die untersuchten Weibchen bei dem Klammern als passive Partner signifikant attraktiver waren als männliche Artgenossen.



Abbildung 14.72: „peer“ aufgezogener Javanermakake




Abbildung 14.73: „peer“ aufgezogener Javanermakake




Abbildung 14.74: „peer“ aufgezogener Javanermakake




Abbildung 14.75: „peer“ aufgezogener Javanermakake


14.6.2 Das zweite Lebenshalbjahr

Durch die Analyse der Daten des zweiten Lebenshalbjahres wollen wir prüfen, ob die bereits im ersten Lebenshalbjahr aufgezeigten noch geringen Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch im zweiten Lebenshalbjahr vorhanden sind, bzw. ob diese und weitere Unterschiede während dieser Lebensphase reifen.71 Darüber hinaus prüfen wir, inwieweit dem Alter und dem Geschlechts der „peers“ bei der Wahl der Sozialpartner Bedeutung zukommt.

Vorgehen

Das Vorgehen habe ich in Unterkapitel 14.6.1 angegeben. Die zu analysierenden Daten beruhen hier auf Beobachtungen aller zwanzig Jungtiere, auf Einzeltier-Beobachtungen (täglich 15 Minuten) von neun Männchen und elf Weibchen.

Die Interaktionen des zweiten Lebenshalbjahres der „peers“ 

Offensichtlich altersbedingt nimmt die Häufigkeit sozialer Interaktionen während des zweiten Lebenshalbjahres auffällig zu. Diese Zunahme lässt sich für die verschiedenen Spielformen gut sichern (bei männlichen Individuen nimmt die mittlere Häufigkeit des Kampfspieles sogar um mehr als 300 % zu). Darüber hinaus ist besonders auffällig, dass Männchen und Weibchen im zweiten Lebenshalbjahr andere Individuen weitaus häufiger aktiv putzen (Zunahme bei Weibchen um über 700 %) und häufiger geputzt werden (nur Weibchen) als im ersten Lebenshalbjahr. Insofern ist ebenfalls bemerkenswert, dass die Jungtiere in dem hier besprochenen Lebensabschnitt weniger häufig umarmt, manipuliert (mit den Händen angefasst) und umklammert werden als für die ersten sechs Lebensmonate berichtet.
Bei dem „neutralen“ Spiel, also dem Spiel, bei dem nicht nach aktiven und passiven Partnern getrennt werden kann, ist auffällig, dass Männchen häufiger das Verhalten Kampfspiel zeigen als weibliche Individuen, diese spielen jedoch häufiger mit Objekten als ihre männlichen Altersgenossen. Unterscheiden wir zwischen partnerbezogenem Objektspiel und Objektspiel ohne klaren Partnerbezug lässt sich für letzteres die höhere Beteiligung weiblicher Individuen sichern. Berücksichtigen wir zusätzlich noch das Nachlaufspiel, wird auch hier eine höhere Spielaktivität männlicher Individuen auffällig. Bei dem gerichteten Spielen schließlich fällt auf, dass Individuen beiderlei Geschlechtes zwar etwa gleich häufig andere Gruppenmitglieder zum Spielen auffordern bzw. von diesen aufgefordert werden, dass aber Männchen bei dem spielerischen Beißen sowohl als aktive als auch als passive Partner häufiger beteiligt sind.



Abbildung 14.76: Häufigkeit des Spielerischen Beißens (Play-biting) für unsere „peer“-aufgezogenen Jungtiere während der ersten drei Lebenshalbjahre (schraffiert: Männchen, weiß = Weibchen) ([196])



Abbildung 14.77: Häufigkeit des Neutralen Spielens (Nachlaufspiel (Following play) und Kampfspiel (Rough-and tumble play)) für unsere „peer“-aufgezogenen Jungtiere während der ersten drei Lebenshalbjahre ([196])


Bei dem Kontaktsitzen lassen sich keine geschlechtstypischen Unterschiede aufzeigen (s. u.).
Bei dem Gehenzu hingegen ist auffällig, dass Männchen und Weibchen etwa gleich häufig von anderen Individuen aufgesucht werden, dass aber männliche Individuen in dieser Lebensphase häufiger andere Gruppenmitglieder aufsuchen als weibliche Individuen.
Betrachten wir die Beteiligung beider Geschlechter an der sozialen Körperpflege, wird eine höhere Aktivität der Weibchen offensichtlich, diese putzen andere Individuen häufiger bzw. werden häufiger geputzt. Entsprechendes gilt für das Manipulieren und das Umarmen, wobei sich der Unterschied zwischen den Geschlechtern jedoch nur für das passive Manipulieren und das aktive Umarmen sichern lässt. Bei dem Klammern sind Weibchen als passive Partner attraktiver als Männchen.
Überprüfen wir nun das Wahlverhalten der Gruppenmitglieder, so wird deutlich, dass alle Individuen Sozialpartner bevorzugen, die vor oder nach ihnen geboren wurden. Vergleichen wir die Befunde der Männchen und Weibchen, so ist bei dem „neutralen“ Spiel bemerkenswert, dass grundsätzlich Sozialpartner des eigenen Altersbereiches unabhängig vom Geschlecht gewählt werden. Soweit (minimale) Unterschiede bei dem Wahlverhalten beobachtet werden, ist auffällig, dass nahezu durchgängig männliche Individuen häufiger mit „Nächstälteren“ und „Nächstjüngeren“ des eigenen Geschlechtes spielen als mit dem „Nächstälteren“ und „Nächstjüngeren“ unabhängig vom Geschlecht des Partners; für Weibchen dagegen finden wir durchgängig entgegengesetzte Befunde, d. h. für Individuen beiderlei Geschlechtes sind nächstältere und nächstjüngere Männchen als Spielpartner attraktiver.
Die höhere Attraktivität männlicher Sozialpartner für weibliche Individuen ist bei der Spielaufforderung (aktiv und passiv) und bei dem spielerischen Beißen (aktiv und passiv) nun ohne Ausnahme zu beobachten. Das gleiche gilt grundsätzlich für männliche Individuen. Dabei lässt sich allerdings nur die höhere Attraktivität der Männchen bei dem spielerischen Beißen für nächstältere männliche Individuen sichern. Darüber hinaus ist auffällig, dass weibliche Individuen aktiv bei dem spielerischen Beißen nächstjüngere Individuen bevorzugen, bzw. dementsprechend häufiger von nächstälteren als passive Partner gewählt werden. Bei dem Kontaktsitzen ist eine Vorliebe für Individuen des eigenen Altersbereiches nicht so auffällig. Bemerkenswert erscheint jedoch, dass männliche Individuen häufiger mit nächstjüngeren (unabhängig vom Geschlecht) in engem Körperkontakt sitzen als mit Nächstälteren und Nächstjüngeren des eigenen Geschlechtes, d. h. Männchen bevorzugen bei dem Kontaktsitzen nächstjüngere Weibchen. Bei dem aktiven und passiven Gehenzu kommt dem Geschlecht der Sozialpartner keine Bedeutung zu. Bemerkenswert erscheint jedoch bei den untersuchten Weibchen der im Vergleich zu den Männchen höhere Anteil von Individuen des eigenen Altersbereiches.



Abbildung 14.78:


Bei den übrigen hier besprochenen Verhaltensweisen (Soziale Körperpflege, Manipulieren, Umarmen, Klammern) finden wir keine Bevorzugung von Individuen des eigenen Altersbereiches.72

Diskussion

Wir haben bereits erwähnt, dass die sozialen Interaktionen der Javanermakaken im zweiten Lebenshalbjahr zunehmen (s. o.), was vor allem auf die altersbedingte höhere Mobilität der Jungtiere zurückgeführt werden kann. Wie im ersten Lebenshalbjahr spielen Männchen häufiger als Weibchen mit anderen Sozialpartnern. Im zweiten Lebenshalbjahr kann dieser Unterschied für das Kampfspiel und das spielerische Beißen gesichert werden. Darüber hinaus konnte erneut beobachtet und nun gesichert werden, dass weibliche Individuen häufiger an Objekten spielen als männliche. Unterscheiden wir zwischen partnerbezogenem Objektspiel und solchem ohne klaren Partnerbezug, dann ist dieser Unterschied - wie im ersten Lebenshalbjahr - nur für die zweite Form des Objektspieles zu belegen.
Bei dem Gehenzu sind die jungen „peers“ nun ebenso häufig aktive wie passive Partner, was wiederum ihrer altersbedingten höheren Mobilität entspricht. Entsprechendes gilt für die soziale Körperpflege; bei dem Manipulieren und Umarmen hingegen sind sie nun sogar häufiger aktive als passive Partner (s. u.). Bereits im ersten Lebenshalbjahr suchten Männchen häufiger andere Gruppenmitglieder auf als Weibchen, im zweiten Lebenshalbjahr wird dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern sicherbar. Entsprechend den Befunden im ersten Lebenshalbjahr sind Weibchen dagegen bei der sozialen Körperpflege sowohl als aktive als auch als passive Partner aktiver bzw. attraktiver als männliche Individuen. Waren die Weibchen im ersten Lebenshalbjahr vor allem Empfänger pflegerischer Aktivitäten, so sind sie nun auch aktiv am Pflegen anderer Individuen beteiligt. Entsprechende geschlechtstypische Unterschiede konnten ebenfalls für das aktive Umarmen und Manipulieren gezeigt werden, was sich für das Umarmen sichern ließ. Den Befunden des ersten Lebenshalbjahres entsprechend sind weibliche Individuen bei dem Klammern als passive Partner attraktiver als männliche Artgenossen, doch geht die Häufigkeit dieser Verhaltensweise - ebenfalls altersbedingt - zurück.
Im Gegensatz zu den Befunden des ersten halben Lebensjahres konnte bei dem Zusammensitzen in engem Körperkontakt kein Unterschied zwischen den Geschlechtern aufgezeigt werden, Männchen und Weibchen zeigen dieses Verhalten im Mittel etwa gleichhäufig. In Unterkapitel 14.6.3 werden wir überprüfen können, ob die für Makaken generell beschriebene höhere Beteiligung der Weibchen an diesem Verhalten bei den handaufgezogenen „peers“ noch „reift“, oder aber, ob der höhere Anteil der weiblichen Individuen vor allem durch das Präferenzverhalten älterer (adulter) Weibchen bedingt ist.
Überaus auffällig war, dass alle Individuen bevorzugt mit Tieren des eigenen Altersbereiches Kontakte unterhielten, wobei eine Tendenz erkennbar (aber nicht sicherbar) ist, beim Spielen männliche und beim Pflegen weibliche Individuen zu bevorzugen. Zur Gewichtung dieses Befundes wollen wir Ergebnisse von in der Gruppe aufgezogenen Jungtieren heranziehen. Wir hatten belegt (s. o.), dass alle in der Gruppe geborenen Jungtiere Individuen des eigenen Alters bevorzugen. Dieser „peer-group“ Effekt kann für das hier gefundene Wahlverhalten nur bedingt verantwortlich sein, sind doch die Individuen der jeweiligen „peer“-Gruppe alle Individuen des gleichen Altersbereiches. Zudem hatten wir jedoch herausgefunden, dass alle Individuen bevorzugt mit solchen des eigenen Rangbereiches Kontakte unterhalten. Bei den hier besprochenen „peers“ war die Rangordnung abhängig vom Alter. Ohne Ausnahme waren ältere Tiere ranghöher, dementsprechend der jeweils nächstältere bzw. nächstjüngere Sozialpartner auch der Partner des eigenen Rangbereiches. Zudem haben unsere Beobachtungen bei der Bildung der Ausgangsgruppe unserer Kolonie belegt, dass anfänglich der Rangplatz abhängig vom Zeitpunkt des Einfügens in die Gruppe ist, später hinzugekommene Tiere sind rangniedriger als früher hinzugekommene. Dafür erbrachten auch Experimente zur Änderung der Sozialstruktur zahlreiche Belege (s. o.). Bei den hier untersuchten „peers“ entspricht nun aber die Reihenfolge des Hinzukommens dem Alter. Insofern können wir hier noch nicht abschließend werten, ob der Rangplatz oder das Alter für das beobachtete Wahlverhalten verantwortlich ist. Dies blieb weiteren Analysen für Zeiten, wo der Rang der „peers“ nicht mehr altersabhängig ist, vorbehalten (s. o.). Unabhängig von dieser Analyse besteht jedoch das Ergebnis, dass bei nahezu allen beobachteten Verhaltensweisen den Individuen des eigenen Altersbereiches hohe Bedeutung zukommt. Nur für einige, quantitativ weniger auffällige, pflegerische Aktivitäten (Soziale Körperpflege, Manipulieren, Umarmen, Klammern) werden die Sozialpartner nach anderen Kriterien gewählt, hier sind als passive Partner (Soziale Körperpflege, Manipulieren, Umarmen) bzw. als aktive Partner (Klammern) jüngere Individuen besonders beteiligt, und umgekehrt. Dieser Befund bestätigt frühere Ergebnisse, nach denen weibliche Individuen bevorzugt jüngere Individuen - unabhängig vom Geschlecht - pflegen und tragen. Offen bleibt somit nur, ob im weiteren Lebensablauf weitere geschlechtstypische Unterschiede reifen.

Schlussfolgerung

Die Untersuchungen an ohne Kontakt zu Müttern, Geschwistern und älteren Artgenossen in einer Spielgruppe („peer-group“) aufgezogenen Javanermakakenkindern haben für das zweite Lebenshalbjahr erbracht:

1. Männliche Individuen spielen häufiger mit anderen Sozialpartnern als weibliche. Dieser Unterschied ist bei dem Kampfspiel und dem spielerischen Beißen sicherbar. Weibchen hingegen spielen signifikant häufiger mit Objekten ohne klaren Partnerbezug.

2. Männliche Individuen gehen häufiger aktiv zu anderen Gruppenmitgliedern, weibliche Individuen hingegen zeigen häufiger pflegerische Aktivitäten bzw. werden auch häufiger von anderen Gruppenmitgliedern hierfür als passive Partner gewählt.

3. Bei der Wahl der Sozialpartner kommt dem Alter der Partner hohe Bedeutung zu. Grundsätzlich werden diejenigen Individuen bevorzugt, die vor bzw. nach dem jeweils beobachteten Tier geboren und der Gruppe hinzugefügt wurden. Darüber hinaus ist im zweiten Lebenshalbjahr eine Tendenz zu erkennen, für spielerische Aktivitäten männliche und für pflegerische Aktivitäten weibliche Sozialpartner zu bevorzugen. Insgesamt gesehen kommt in dieser Lebensphase dem Geschlecht der Sozialpartner jedoch nur geringe Bedeutung zu.

14.6.3 Ältere Juvenile

Bereits im ersten Lebenshalbjahr (Unterkapitel 14.6.1) konnten männliche und weibliche Individuen nach ihrem Verhalten eindeutig voneinander unterschieden werden, Männchen spielten mehr, Weibchen waren häufiger Empfänger pflegerischer Verhaltenenweisen.73 Im zweiten Lebenshalbjahr (Unterkapitel 14.6.2) wurden diese Unterschiede noch auffälliger, Weibchen putzten nun auch aktiv signifikant häufiger andere Gruppenmitglieder. Mit diesen Befunden hatten wir belegt, dass für das unterschiedliche Verhalten von Männchen und Weibchen ein Einfluss anderer Gruppenmitglieder nicht notwendig ist. Im zweiten Lebenshalbjahr war zudem erkennbar, dass alle Individuen - wenn auch nur geringfügig - für spielerische Aktivitäten männliche und für pflegerische Aktivitäten weibliche Sozialpartner bevorzugten. Nun wollen wir prüfen, ob mit zunehmendem Alter diese Unterschiede noch deutlicher werden, und berichten über die ersten sechs Lebensjahre der handaufgezogenen Makaken.74 Dabei beschränken wir uns auf wenige, häufig zu beobachtende Verhaltensweisen, nämlich auf Kampfspiel, Kontaktsitzen und Soziale Körperpflege. Darüber hinaus untersuchen wir, ob die jungen Makaken für bestimmte Verhaltensweisen Sozialpartner des einen oder anderen Geschlechtes bevorzugen.

Vorgehen

Versuchstiere Im Dezember 1984 ließen wir beide „peer“-Gruppen zusammen. Der Gesamtgruppe stand von diesem Zeitpunkt an eine aus unterteilbaren Innen- und Außenkäfigen bestehende Käfiganlage von insgesamt etwa 30 qm zur Verfügung. Temperatur (27 Grad C) und Luftfeuchtigkeit (60 %) blieben im Innenbereich mehr oder weniger konstant, das Licht wurde von 7.00 bis 19.00 Uhr geschaltet.

Beobachtungsbedingungen Während der Beobachtungen stand den Makaken nur die Innenanlage zur Verfügung, so dass sich dem Blick des zentral vor dem Haltungskäfig sitzenden Beobachters keines der Tiere entziehen konnte. Bei den täglich 30minütigen Beobachtungen protokollierte der jeweilige trainierte Beobachter alle Interaktionen der Sozialgruppe nach vorgegebenem Katalog.

Datenmaterial Bedingt durch die neue Gruppenzusammensetzung, die neue Beobachtungsmethodik (statt Einzeltierbeobachtung nun Gruppenbeobachtung) sind die ab Dezember 1984 erhobenen Daten nicht direkt mit den vorher erhobenen vergleichbar. Auch beruhen die Ergebnisse der einzelnen Lebensjahre auf einer unterschiedlichen Anzahl von Individuen. Eine weitere Ausweitung dieses speziellen Datenmaterials ist nicht möglich, da in dieser Sozialgruppe in der Gruppe geborene Kinder heranwuchsen, so dass sich der Sozialkreis der Individuen änderte (s. u.).

Befundauswertung, Darstellung der Ergebnisse Wir geben an, wie häufig für männliche und weibliche Individuen im Mittel die jeweilige Verhaltensweise während des entsprechenden Lebensjahres protokolliert wurde. Zudem haben wir für das dritte bis sechste Lebensjahr analysiert, inwieweit dem Geschlecht der Sozialpartner Bedeutung zukommt, und geben den mittleren Anteil der männlichen und weiblichen Sozialpartner für Männchen und Weibchen getrennt an. Es sei dabei betont, dass während der gesamten Beobachtungen, auf denen diese Analyse beruht, alle Individuen die Wahl zwischen mehreren Männchen und Weibchen hatten. Alle Daten wurden an der gleichen Gruppe erhoben, die Daten der einzelnen Individuen aber unabhängig voneinander ausgewertet.

Ergebnis Die bereits in den ersten beiden Lebenshalbjahren auffälligen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, Männchen spielen mehr, Weibchen sind häufiger an pflegerischen Aktivitäten beteiligt, werden im zweiten Lebensjahr noch auffälliger, sie sind für die Verhaltensweisen Kampfspiel und soziale Körperpflege durchgängig statistisch zu sichern. Wie in den ersten beiden Lebenshalbjahren können wir generell bei dem Kontaktsitzen keine geschlechtstypischen Unterschiede sichern.
Im zweiten Lebensjahr nimmt die Häufigkeit des Kampfspieles der Männchen hochsignifikant zu, Weibchen dagegen spielen genauso häufig wie im ersten Lebensjahr. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern in der Häufigkeit des Spielens lässt sich auch in den folgenden Lebensjahren durchgängig sichern, geht dann aber im 6. Lebensjahr „verloren“, spielen doch alle Individuen mit zunehmendem Alter immer seltener.
Individuen beiderlei Geschlechtes putzen im zweiten Lebensjahr andere Gruppenmitglieder häufiger als im ersten, Weibchen zudem häufiger als Männchen. Vom dritten Lebensjahr an ist zu erkennen, dass die Häufigkeit der sozialen Körperpflege durchgängig vom dritten zum sechsten Lebensjahr zunimmt und dass Weibchen häufiger putzen als Männchen, doch lassen sich diese Unterschiede nicht mehr statistisch sichern.
Nämliches gilt für die passive soziale Körperpflege, eine Zunahme vom ersten zum zweiten Lebensjahr mit auffälligen geschlechtstypischen Unterschieden - Weibchen sind häufiger Empfänger pflegerischer Aktivitäten - und ein Verlust dieser Unterschiede vom dritteln Lebensjahr an. Es ist dabei bemerkenswert, wenngleich nicht gesichert, dass Männchen vom 5. Lebensjahr an häufiger geputzt werden als Weibchen. Bei dem Kontaktsitzen lassen sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern nur im 2. Lebensjahr sichern.
Insofern sind bei den quantitativen Befunden Unterschiede zwischen den Geschlechtern mit zunehmendem Alter nicht mehr aufzeigbar. Ab dem 3. Lebensjahr war jedoch auffällig, dass die jungen Javanermakaken bei der Wahl ihrer Sozialpartner bestimmte Individuen des eigenen oder des anderen Geschlechtes bevorzugten.
Für das Kampfspiel wählten Männchen und Weibchen bevorzugt männliche Partner. Dieses Präferensverhalten konnte durchgängig gesichert werden.
Bei der aktiven sozialen Körperpflege ist zu erkennen, dass Männchen Individuen beiderlei Geschlechtes etwa genauso häufig putzten (mit einer geringen Bevorzugung gleichgeschlechtlicher Partner), Weibchen dagegen bevorzugten weibliche Partner, was sich aber nur im sechsten Lebensjahr sichern ließ.
Als passive Putzpartner waren Individuen beiderlei Geschlechtes durchgängig für weibliche Sozialpartner attraktiver. Dies ließ sich für Männchen im 3., 4. und 6. Lebensjahr und für Weibchen vom 4. Lebensjahr an gut sichern.
Bei dem Kontaktsitzen dagegen waren gleichgeschlechtliche Partner besonders attraktiv, besonders auffällig bei den weiblichen Gruppenmitgliedern. Hier ließ sich die Bevorzugung weiblicher Individuen auch vom 4. Lebensjahr an sichern.



Abbildung 14.79: Häufigkeit des Kampfspieles (Rough-and tumble play)) der „peer“-aufgezogenen Jungtiere während des dritten bis sechsten Lebensjahres (schraffiert = Männchen, weiß = Weibchen) ([196])

Diskussion Durchgängig werden für nahezu alle Primatenarten auffallende geschlechtstypische Unterschiede im Verhalten berichtet, Weibchen sind häufiger an pflegerischen Aktionen beteiligt. Nach den bisherigen Befunden an den „peer“-aufgezogenen Javanermakaken waren diese geschlechtstypischen Unterschiede bereits im ersten halben Lebensjahr belegbar und nahmen dann mit zunehmender lokomotorischer Reifung erwartungsgemäß zu. Da die jungen Javanermakaken bereits am ersten Lebenstag aus ihrer Geburtsgruppe entfernt und nur mit mehr oder weniger gleichalten Individuen zusammengehalten wurden, ihnen also ältere Gruppenmitglieder nicht als Sozialpartner zur Verfügung standen, konnten wir belegen, dass für diese Unterschiede im Verhalten Lernprozesse nicht Voraussetzung sind. Im Hinblick auf die generellen Befunde an Tierprimaten und den speziellen an unseren Javanermakaken war es insofern unerwartet, dass diese Unterschiede mit zunehmendem Alter wieder (scheinbar) verlorengehen. Berücksichtigen wir nur die quantitativen Befunde, so lassen sich Männchen und Weibchen nach ihrem Verhalten mit zunehmendem Alter nicht mehr unterscheiden. Bei gleichbleibender Häufigkeit positiv-sozialer Interaktionen insgesamt nehmen besonders auffällig die für Männchen charakteristischen spielerischen Interaktionen ab. Der Rückgang in der Häufigkeit des Spielens vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr ist gut gesichert.



Abbildung 14.80:


Der Befund, dass mit zunehmendem Alter die Spielhäufigkeit abnimmt und dass Adulte überhaupt nicht mehr spielen, gilt aber keineswegs für größere Sozialgruppen des Javanermakaken mit Tieren aller Altersbereiche. Das Soziale Spiel adulter Männchen, bzw. auch des Alpha-Männchens, ist vielmehr in allen von uns gehaltenen Sozialgruppen tatsächlich zu beobachten. Dass in der „peer“- Gruppe von Männchen und Weibchen als Spielpartner Männchen gewählt wurden, steht dagegen in guter Übereinstimmung mit zahlreichen Beobachtungen an Sozialgruppen des Javanermakaken und weiteren von uns gehaltenen Primatenarten. Wahrscheinlich kann die höhere Attraktivität von Männchen als Partner für das Soziale Spiel als „Primatenergebnis“ gelten.
Unsere Befunde zum Kontaktsitzen75 zeigen, dass mit zunehmendem Alter der „peers“ offensichtlich gleichgeschlechtliche Untergruppen gebildet werden, was den zahlreichen Beobachtungen an Makakengruppen im Labor und im Freiland entspricht. Dennoch widersprechen sie dem bisherigen Wissensstand. Wie bereits in mehreren Teilen dieser Arbeit betont, ist ein generelles Ergebnis bei Primaten, dass Weibchen mehr putzen als Männchen und häufiger in engem Körperkontakt zusammensitzen. Offensichtlich konnten wir letzteres für die „peer“-aufgezogenen Javanermakaken nicht belegen.
Fragen wir uns nach den Gründen dieser abweichenden Befunde, so war das Charakteristikum der „peer“ Gruppe das Fehlen jüngerer Gruppenmitglieder. Diese rufen nach den bisherigen Befunden pflegerische Aktivitäten der Weibchen hervor, sitzen mit diesen in engem Körperkontakt und dienen ebenfalls als Spielpartner für adulte Männchen (eigene Beobachtungen). Diese Annahme wird durch Befunde an derselben „peer“- Gruppe bestätigt. Nach der Geburt von Jungtieren waren diese für Weibchen Partner bei dem Kontaktsitzen und Ziel pflegerischer Aktivitäten, für Männchen dagegen Spielpartner. Insofern sind geschlechtstypische Unterschiede im Verhalten auch abhängig vom sozialen Umfeld. Sie werden bei älteren Gruppenmitgliedern nur auffällig, wenn entsprechende jüngere Sozialpartner als Empfänger vorhanden sind. Demnach wird auch verständlich, warum einige Autoren annehmen, dass das unterschiedliche Verhalten von Männchen und Weibchen von Erziehungsprozessen abhängig ist, spielen doch tatsächlich nur Männchen mit den Kindern, Weibchen pflegen sie. Die vielfach beschriebene Orientierung an gleichgeschlechtlichen Sozialpartnern könnte - so die Annahme - auch das Übernehmen des Verhaltens des Sozialpartners bedingen. Unsere Befunde zeigen nun eindeutig, dass diese Annahme falsch ist, für die unterschiedliche Orientierung von Männchen und Weibchen ist eine Tradierung nicht notwendig. Offensichtlich zeigen dies auch Primaten, die ohne die Erfahrung einer Sozialgruppe aus Tieren aller Altersbereiche, insbesondere ohne Mutter, aufgezogen wurden. Die Orientierung zu Individuen eines bestimmten Geschlechtes lässt zudem geschlechtstypische Unterschiede nicht reifen, vielmehr ähneln sich Männchen und Weibchen zunehmend im Verhalten bei der Abwesenheit jüngerer Gruppenmitglieder. Diese so auffälligen Unterschiede gehen aber keineswegs „verloren“, sie bleiben vielmehr latent vorhanden und sind stets abrufbare Qualitäten der jeweiligen Geschlechter.
Neben den hier besprochenen Verhaltensweisen wird in der Literatur auch die Häufigkeit des agonistischen Verhaltens als Merkmal der Geschlechterunterscheidung angeführt, so sollen Männchen aggressiver als Weibchen sein, was wir nicht bestätigen konnten. Tatsächlich richten in jeder Sozialgruppe der hierarchisch organisierten Makakengesellschaft ranghöhere Individuen agonistisches Verhalten gegen rangniedrigere. Soweit alle oder fast alle Männchen ranghöher sind als Weibchen, wie es für einige Species beschrieben wird, ist demnach auch zu erwarten, dass Männchen häufiger als Weibchen aggressiv zu anderen Gruppenmitgliedern sind.
Bei unseren Javanermakaken, bei denen nach unseren Beobachtungen zumindest das Alpha-Weibchen alle anderen Gruppenmitglieder mit Ausnahme des Alpha-Männchens dominiert, finden wir keine entsprechenden Belege. In der „peer“Gruppe waren sogar im Mittel die (mehrheitlich auch ranghöheren) Weibchen aggressiver als die Männchen.

Der Einfluss jüngerer Gruppenmitglieder Nach Abbruch der Befunderhebungen an den noch kinderlosen „peers“- in der Sozialgruppe wuchsen nun auch Jungtiere heran76 - erhoben wir erneut Daten an dieser Gruppe, als die vier in der Gruppe aufwachsenden Jungtiere, zwei Männchen und zwei Weibchen, nahezu ein Jahr alt waren ([196]).
Es ist nun statistisch signifikant, dass die handaufgezogenen adulten Weibchen häufiger das Sitzen in engem Körperkontakt zeigten als Männchen. In Gegegensatz zu den Befunden der vorhergehenden sechs Jahre, in denen in keinem Jahr geschlechtspezifische Unterschiede aufzeigbar waren, konnten bei dem Vorhandensein von Kindern diese Unterschiede auch bei den „peers“ belegt werden.
Betrachten wir das Kampfspiel, dann wird nun auffällig, dass die handaufgezogenen Männchen wieder signifikant häufiger spielten als die handaufgezogenen Weibchen, dabei spielten sie nahezu ausschließlich mit den Kindern.



Abbildung 14.81: Der Einfluss der Kinder auf das Kontaktsitzen der „peers“




Abbildung 14.82: Der Einfluss der Kinder bei dem Kampfspiel der „peers“


Schlussfolgerung

Die Untersuchungen an ohne Kontakt zu Müttern, Geschwistern und älteren Artgenossen in einer Spielgruppe („peer-group“) aufgezogenen Javanermakaken haben für die ersten sechs Lebensjahre erbracht:

1. Männchen spielen mehr als Weibchen. Dieser Unterschied kann ab dem sechsten Lebensjahr nicht mehr gesichert werden, da Männchen und Weibchen in dieser Altersphase kein soziales Spiel mehr zeigen.

2. Die Häufigkeit der Sozialen Körperpflege nimmt bei beiden Geschlechtern mit zunehmendem Alter zu, Weibchen putzen zwar durchgängig häufiger andere Sozialpartner als Männchen, doch ist dieser Unterschied ab dem dritten Lebensjahr nur noch gering.

3. Männchen werden mit zunehmendem Alter als passive Putzpartner attraktiver.

4. Bei der Häufigkeit des Kontaktsitzens können über die gesamte beobachtete Lebensphase keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gesichert werden. Die Befunde zum Kontaktsitzen weisen auf gleichgeschlechtliche Untergruppenbildungen hin.

5. Für das Soziale Spiel wählen alle Makaken unabhängig vom Geschlecht als Sozialpartner vornehmlich Männchen.

6. Unterschiede im Verhalten zwischen den Geschlechtern nehmen anfänglich mit zunehmendem Alter zu, später dann wieder ab. Im sechsten Lebensjahr können Männchen und Weibchen nach der Häufigkeit der hier betrachteten Verhaltensweisen (Kampfspiel, Kontaktsitzen, Soziale Körperpflege) nicht mehr unterschieden werden. Hierfür dürfte das Fehlen jüngerer Gruppenmitglieder verantwortlich sein.

7. Nur bei dem Anwesendsein von Kindern können die Unterschiede zwischen den Geschlechtern detektiert werden. Männchen spielen mit jüngeren Gruppenmitgliedern, Weibchen dagegen sitzen mit ihnen in engem Körperkontakt und putzen sie.

14.7 Kontrollbeobachtungen an Rhesusaffen Macaca mulatta

Die Kontrollbeobachtungen hielt ich für notwendig, da unsere Ergebnisse - dem Alter kommt hohe Bedeutung zu, weit höhere als dem Geschlecht - nach den Literaturdaten eigentlich nicht zu erwarten waren.77 Wir wollten daher selber entsprechende Experimentalgruppen beobachten, um zu prüfen, ob unsere Ergebnisse nicht doch generalisiert werden können.
Durch das freundliche Entgegenkommen meines amerikanischen Freundes Stephen J. Suomi und seinen Mitarbeitern durften wir in Madison, Wisconsin, sieben „peer-groups“ mit insgesamt 30 Individuen untersuchen, wobei in der Regel eine Gruppe aus vier Tieren bestand. Zwangsläufig war hierdurch natürlich eine so hohe Variabilität wie in unseren - größeren - „peer- groups“ nicht zu erwarten.
Neben Daten zur Änderung des sozialen Beziehungssystems in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht fanden wir, dass auch bei dem Rhesusaffen für die Rangposition des Individuums dem Alter hohe Bedeutung zukam, ja dass das Alter der Parameter war, der am besten mit dem Rang korrelierte. Zudem fanden wir auch, dass dem Geschlecht relativ geringe Bedeutung zukommt, dass also keineswegs Männchen generell ranghöher sind als Weibchen, wie nach den Literaturbefunden zu erwarten. Wir erhielten also die gleichen Ergebnisse wie in Kassel, fanden aber hier auch, dass Abweichungen von dieser altersbedingten Rangordnung zu beobachten sind.


Tabelle 14.8: In Madison beobachteten Rhesusaffen
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-Gruppe----Rang---Individuum----Geschlecht--Geburtsdatum-----Vater---
 1           I       AH  37          f        04.06.1979     Q 96
 1          II       AH  48         m         13.06.1979     OR  68

 1          III      AH  43          f        09.06.1979     V 61
 1          IV       AH  42          f        09.06.1979     OR  64
 2           I       AH  63         m         02.07.1979     Q 96
 2          II       AH  57         m         24.06.1979     U 19

 2          III      AH  54         m         22.06.1979     O 843
 2          IV       AH  71          f        16.07.1979     U 19
 3           I       AH  79          f        02.08.1979     J 47
 3          II       AH  83         m         16.08.1979     P 42
 3          III      AH  82          f        08.08.1979     U 19

 3          IV       AH  85          f        30.08.1979     824
 4           I       AI 50          m         27.06.1980     S 30
 4          II       AI 54           f        16.08.1979     J 62
 4          III      AI 58           f        06.07.1980     X 76
 4          IV       AI 60          m         09.07.1980     824

 5           I       AJ 81           f        10.08.1981     R 11
 5          II       AJ 67          m         15.07.1981     S 30
 5          III      AJ 74          m         03.08.1981     U 79
 5          IV       AJ 84          m         16.08.1981     U 79
 6           I       AJ 69          m         27.07.1981     R 86

 6          II       AJ 83           f        20.08.1981     X 76
 6          III      AJ 76          m         07.08.1981     Clancy
 6          IV       AJ 75          m         03.08.1981     U 35
 7           I       AK  62         m         11.09.1982     Clancy
 7          II       AK  64         m         16.09.1982     S 30

 7          III      AK  61         m         02.09.1982     1581
 7          IV       AK  63          f        13.09.1982     Clancy
 7          V        AK  65          f        17.09.1982     X 50
 7          VI       AK  66         m         17.09.1982     R 11
---------------------------------------------------------------------

Tabelle 14.8 gibt die Zusammensetzungen der verschiedenen Gruppen nebst der von uns gefundenen Rangordnung an. Da die Affen in Madison bei Geburt eine Markierung, entsprechend der Geburtenfolge, erhalten, die aus einer Kombination von Buchstaben und Ziffern besteht, wobei innerhalb einer Buchstabenkombination ältere Individuen eine niedrigere Nummer haben als jüngere, können wir erkennen, dass einige Individuen einen anderen Rangplatz haben, als nach dem Alter zu erwarten.
Zur Analyse müssen wir aber bedenken, dass es in jeder Makakengruppe im Freiland und im Labor jeweils ein Alpha-Männchen und ein Alpha-Weibchen gibt, so dass zwangsläufig die ersten beiden Rangpositionen in einer Gruppe von diesen eingenommen werden müssen. Berücksichtigen wir also zusätzlich das Geschlecht der Individuen, wird deutlich, dass in Gruppe 1 AH 48 das einzige Männchen ist. Auch AH 83 in Gruppe 2 ist das einzige Männchen, entsprechendes gilt für die Weibchen AJ 81 in Gruppe 5 und AJ 83 in Gruppe 6. Die abweichenden Rangpositionen dieser vier Tiere können uns also nicht verwundern.
Auffällig wäre demnach eher, dass weder AH 71 in Gruppe 2 noch AK 63 in Gruppe 7 die weibliche Alpha-Rolle wahrnehmen.
Beachten wir zusätzlich die Geburtstermine der einzelnen „peers“ genauer, dann finden wir, dass AH 43 und AH 42 von Gruppe 1 am gleichen Tag geboren sind. bzw. dass der Geburtenabstand zwischen AH 57 und AH 54 aus Gruppe 2 nur zwei Tage beträgt. Insofern widersprechen die Plätze von AH 43 und AH 57 nicht der Annahme einer Altersabhängigkeit.
Von den insgesamt 30 Tieren folgen also nur 1/6. nämlich AH 63, AJ 76, AK 62. AK 64 und AK 63, nicht der Grundannahme einer Altersabhängigkeit der Rangordnung.
Im Gegensatz zu unseren „peers“ sind leider Daten über das soziale Beziehungsgefüge der Eltern nicht vorhanden und auch nicht ermittelbar, da diese in der Regel alleine gehalten werden. Bekannt aber ist für jedes Individuum sowohl der Vater als auch die Mutter, so dass wir wissen. dass zahlreiche Stiefgeschwister unter den 30 „peers“ sind. Hierbei handelt es sich jeweils um Stiefgeschwister väterlicherseits. Wir haben daher auch die Väter für unsere „peers“ angegeben. Betrachten wir die Männchen, die für mehr als ein Junges verantwortlich sind, so erkennen wir, dass Q 96 nur hochrangige Kinder hat. Das gleiche gilt für S 30 und indirekt auch für Clancy, dessen beiden Söhne jeweils ihren Rang in der Gruppe verbessert haben.
Für U 19 hingegen ist auffällig, dass seine Kinder sich offensichtlich schlecht durchsetzen. Auch 824 hat nur niederrangige Kinder, die Kinder von 1581 haben beide nicht ihren altersgemäßen Rangplatz in der Gruppe.
Nicht eindeutig sind nur die Befunde für die Väter X 76 und R 11, haben diese doch sowohl hochrangige als auch niederrangige Kinder. Bedenken wir jedoch, dass das hochrangige Kind, also AH 81 und AJ 83, jeweils das einzige Weibchen seiner „peer-group“ ist, müsste man einen hohen Rangplatz eigentlich sogar erwarten. Insofern widersprechen auch die Daten dieser Männchen nicht der Vermutung, dass dem Vater Bedeutung zukommen könnte.
Auch der Vater könnte für den Rangplatz seiner Kinder verantwortlich sein. Neben den Eigenschaften der Mutter, was wir in Kassel belegt haben, kommt demnach wohl auch noch den unbestimmten Eigenschaften des Vaters bei der Einnahme der späteren Rangposition Bedeutung zu.

14.8 Das Ende der Nikita-Gruppe

Im Gegensatz zu weiblichen Nachkommen verlassen männliche Individuen die Geburtsgruppe und versuchen, in eine andere Gruppe einzuwandern.78 Statt nun die natürliche Situation zu kopieren bzw. statt die jungen Männchen zu separieren, verzichteten wir auf die Emigration, um Informationen über die langfristigen Verwandtschaftsbeziehungen der Männchen zu gewinnen. Wir wollten prüfen, ob ein Männchen in seiner Geburtsgruppe bleiben kann oder ob der Emigrationspozess obligatorisch ist. Dieser Versuch sollte uns Antworten über die Grenzen der Familienstrukturen in einer Makakengesellschaft geben.



Abbildung 14.83: Nikita-Gruppe


Als erstes konnten wir belegen, dass Männchen - unabhängig vom Alter - in der Geburtsgruppe bleiben können. Sie unterhielten enge Kontakte zu Individuen der Männchen-Untergruppe, also mit den Individuen, mit denen sie vornehmlich in ihrem bisherigen Leben interagiert hatten. Sie zeigten submissives Verhalten gegenüber dem Alpha-Männchen und verhinderten so, Ziel agonistischer Auseinandersetzungen zu werden. Ende 1983 lebten zehn adulte (bzw. fast adulte) Männchen friedlich in der Sozialgruppe, nämlich das Alpha-Männchen (Nikita), drei mehr als sieben Jahre alte und sechs mehr als sechs Jahre alte Männchen. Jedoch änderte sich die Situation völlig, als eines der jungen Männchen das Alpha-Männchen attackierte und den Konflikt gewann. Da der Kampf in den frühen Morgenstunden stattfand und nicht beobachtet wurde, können wir nicht entscheiden, ob dieser Kampf zufällig entstand, ob das Alpha-Männchen möglicherweise nicht adäquat antwortete oder ob Nikita direkt angegriffen wurde. Auf jeden Fall verlor er seine Position und musste separiert werden.79 Das Ergebnis dieses Prozesses war, dass eines der sechs Jahre alten Männchen (Majo), der Sohn von Mecki, die Alpha-Rolle übernahm und ohne irgendeine Auseinandersetzung von allen Gruppenmitgliedern akzeptiert wurde.80
Ein Alpha-Männchen muss eine unangefochtene Postion innerhalb seiner Sozialgruppe haben. Diese erreicht er, wie ich ausführlich in Unterkapitel 14.2 beschrieben habe, durch das Bedrohen aller anderen Gruppenmitglieder.



Abbildung 14.84: Majo


Zudem erreicht er es durch das Beißen jedes anderen Gruppenmitgliedes in den Rücken, bis diese jeglichen Widerstand gegenüber dem Alpha-Männchen aufgeben. Dieses Verhalten zeigte nun Majo gegenüber allen anderen Gruppenmitgliedern. Fast unerwartet versuchte keines der Individuen sich dagegen zu wehren.
Das neue Alpha-Männchen wurde aber immer wieder von einem der alten Weibchen angegriffen, immer in Situationen, in denen Majo eines der anderen adulten Männchen angriff. Die genaue Analyse der Daten erbrachte, dass es in allen Fällen die Mutter des angegriffenen Männchens war.
Diese Beobachtungen erlauben die Feststellung, dass Weibchen ihre erwachsenen Söhne gegenüber dem Alpha-Männchen unterstützen. Dies ist besonders bemerkenswert, da die Mütter weder ihre Töchter noch ihre jüngeren Söhne in irgendeiner Weise verteidigten. Insofern können wir erneut fragen, warum heranwachsende Männchen ihre Geburtsgruppe verlassen müssen. Ohne deren Emigration funktioniert das System der Makakengesellschaft nicht, da die Söhne-Mütter sich nicht widerstandslos unterordnen.
Unabhängig von diesen Beobachtungen ging Majo relativ systematisch vor und unterdrückte sukzessive ein Weibchen nach dem anderen. Drei Monate nach dem Erreichen der Alpha-Position nahm sich Majo das Weibchen Blonda vor, dabei wurde diese leicht verletzt. Am Morgen des folgenden Tages war Majo schwer verletzt. Er war aber offensichtlich siegreich, saß auf einem der höher gelegenen Bretter und zeigte keinerlei submissives Verhalten gegenüber irgendeinem Gruppenmitglied. Der Rest der Gruppe wurde dominiert von den drei acht, sieben und fünf Jahre alten Blonda-Söhnen (Berni, Ernst, Schmidt), die gemeinsam alle anderen Gruppenmitglieder attackierten.81
Vergleichbare - wenngleich nicht so dramatische - Beobachtungen konnten wir in der Folgezeit machen. Sobald das Alpha-Männchen die Mutter eines anderen adulten Männchens angriff, antwortete der Sohn mit verhaltenem Widerstand. So bestieg er z. B. eines der anderen Weibchen in der Gegenwart des Alpha-Männchens, was einer Herausforderung gleichkommt.
Unabhängig von diesen Beobachtungen wurde der enge Kontakt zwischen Mutter und erwachsenem Sohn auch während des normalen Alltags offensichtlich. Auch wenn das entsprechende Männchen nur leicht verletzt war, suchte es seine Mutter auf, um sich putzen zu lassen. Zudem muss darauf hingewiesen werden, dass die erwachsenen Söhne neben den Kontakten zur eigenen Mutter keine engeren Kontakte zu einem der anderen adulten Weibchen unterhielten. Unabhängig von der Feststellung, dass das soziale Leben ohne Emigration der Männchen nicht funktioniert, belegten unsere Beobachtungen, dass Mutter-Kind-Beziehungen stabil bleiben, was wir nun auch für Söhne belegen konnten.

14.9 Gruppenneubildung

14.9.1 Vorbemerkung

Ich habe bisher nicht erwähnt, dass ich im Laufe der Jahre zahlreiche weitere Javanermakaken importieren musste, um den Bedarf der Forschungsanliegen von Werner Meinel zu genügen. Die meisten Individuen lebten nur kurz in unserer Haltung. Von diesen zahlreichen Individuen sind nur zwei 1983 importierte Weibchen, Heda und Isolde, von Wichtigkeit. Wir hielten sie - wie auch weitere Makaken - in der neu gebildeten Nikita-Gruppe, deren Interaktionen ebenfalls kontinuierlich protokolliert wurde, wenngleich ich über die Befunde an dieser Sozialgruppe hier nicht berichte.82 In dieser Gruppe belegten beide Individuen, dass sie die Qualitäten haben, die ranghohe Weibchen auszeichnen. Zudem übernahmen wir 1983 die vier Mütter unserer ersten handaufgezogenen Javanermakaken und testeten diese vier umfänglich. Danach war Laurina, die Mutter von Laura, als einziges der vier Weibchen als ranghoch anzusprechen. Insofern konnten wir Laura auch als Tochter eines ranghohen Weibchens bezeichnen, bzw. Heda und Isolde als ranghohe Weibchen für weitere Experimente verwenden.

14.9.2 „peer“-Gruppe

Die ersten Makaken, die die neue Primatenstation bezogen, waren unsere handaufgezogenen Javanermakaken. Vorher hatten diese - wie bereits berichtet - in meinem Arbeitszimmer im sogenannten Aufbau- und Verfügungszentrum gelebt. Naturgemäß war deren Haltung mit einer gewissen Geruchsbelästigung verbunden. Insofern wurde ich nach dem Auszug von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen dankbar angesprochen. Mein warmes feuchtes Arbeitszimmer mit dem reichhaltigen Nahrungsangebot war auch Herberge zahlreicher Schaben, die hier einen optimalen Lebensraum fanden. Dieser war nach dem Auszug der Affen nun plötzlich verloren gegangen. Artgemäß suchten die Schaben nach neuen geeigneten Lebensräumen und wanderten daher aus (letztendlich in den Tod). Ihr Auswandern war freilich mit menschlichem Entsetzen verbunden und mit Auseinandersetzungen zwischen Schabengift-Bekämpfern und -Befürwortern.83



Abbildung 14.85: Carmen, das zweitjüngste Mitglied der 1. „peer“-Gruppe, war eine „Gewinnerin“.




Abbildung 14.86: Armin, das älteste Mitglied der 2. „peer“-Gruppe, war ein „Verlierer“.


Kollegen, die vorher dankbar das Entfernen der Affen begrüsst hatten, forderten mich auf, den Raum wieder zu beheizen und dort wieder Affen zu halten.84
Ich habe bereits berichtet (Unterkapitel 14.1), dass die kleinen Makaken ab dem zweiten Lebensjahr sukzessive ihre Rangpositionen änderten, „Gewinner“ waren die Kinder ranghoher Mütter in der Geburtgruppe, „Verlierer“ die Kinder rangniedriger Weibchen. Besonders spektakulär entwickelte sich der Mecki-Sohn Martin, das jüngste Jungtier und der einzige Sohn eines ranghohen Weibchens. Sicherlich auch begünstigt durch sein Alter - als jüngstes Individuum war Martin besonders attraktiv für die älteren Weibchen seiner Gruppe. In den der Fusion folgenden Monaten wurde er für uns unerwartet unbestrittenes Alpha-Männchen und durfte auch als einziges der Männchen alle Weibchen besteigen. Leider - damals ebenfalls völlig unerwartet - starb Martin bereits am 21.09.1986. Ich vermute, dass der mit einer Alpha-Position verbundene Stress (vgl. Unterkapitel 14.11) letztendlich für diesen Verlust verantwortlich war.

14.9.3 Erste Gruppenbildungen, Max-Gruppe


Tabelle 14.9: In Unterkapitel 14.9.3 ff. besprochene Individuen
----------------------------------------------------------------------
-Name---------Geschlecht----Ankunft-----Herkunft/Eltern---Gruppe------
 Vanda             f       21.06.1974        Behring       Majo
 Vau               f       21.05.1975        Import        Max

 Jungfrau          f       21.05.1975        Import        Max
 Alba              f       21.05.1975        Import        Max
 Barbara           f       09.11.1975        Behring       Ernst
 Omega             f       21.05.1975        Import        Max

 Heda              f       28.03.1983        Import        Majo
 Isolde             f       28.03.1983        Import        Majo
 Frieda            f       30.01.1975     Nikita/Vanda     Majo
 Majo             m        11.03.1977     Nikita/Mecki     Majo
 Max              m        27.03.1977      Nikita/Alba     Max

 Ernst            m        21.08.1977    Nikita/Blonda     Ernst
 Flava             f       10.09.1977      Nikita/Zita     Ernst
 Itta              f       20.09.1977     Nikita/Stirni    Max
 Christa           f       02.01.1978      Nikita/Vau      Max,  Theo
 Calva             f       25.05.1978     Nikita/Mecki     Majo

 Senia             f       27.02.1979      Nikita/Zita     Ernst
 Cornelia          f      1O.06.1979     Nikita/Mecki     Majo
 Julia             f       04.10.1979     Nikita/Omega      Max,  Theo
 Olga              f       01.11.1980    Nikita/Barbara    Ernst
 Tina              f       04.11.1980      Nikita/Zita     Ernst

 Angela            f       18.12.1980     Nikita/Mecki     Majo
 Sophie            f       29.10.1981    Nikita/Jungfrau   Max,  Theo
 Bea               f       03.11.1981    Nikita/Blonda     Ernst
 Laura             f       06.07.1981      M2/Laurina      Majo
 Carmen            f       22.02.1982     Nikita/Mecki     Majo

 Sonja             f       28.11.1982     Nikita/Omega      Theo
 Meike             f       25.04.1983     Nikita/Mecki     Majo
 Maria             f       14.06.1983     Nikita/Omega      Theo
 Elke              f       30.11.1983      Nikita/Alba     Max,  Theo

 Theo             m        20.08.1984    Nikita/Blonda     Theo
 Hanne             f       27.03.1987      Majo/Heda       Majo
 Ilse               f       28.05.1987       Max/Itta       Max,  Theo
 Charlotte         f       10.07.1988      Majo/Isolde     Majo
 Cora              f       21.11.1988     Max/Christa      Max,  Theo

 Jutta             f       20.01.1989    Max/Jungfrau      Max,  Theo
 Herta             f       19.02.1989      Majo/Heda       Majo
 Iwan             m        25.06.1989      Majo/Isolde     Majo
 Maxmilian        m        27.08.1991      Max/Julia       Max,  Theo
----------------------------------------------------------------------



Abbildung 14.87: Max, das Alpha-Männchen der Max-Gruppe, verteidigt seine Gruppe.




Abbildung 14.88: Das mittlere Weibchen zeigt das „Zähneblinkeln“.




Abbildung 14.89: Auch Majo, das Alpha-Männchen der Majo-Gruppe, droht, jedoch weit weniger imposant (im Hintergrund: Heda).


Noch in der letzten Dezemberwoche 1984 zogen wir mit allen Makaken in den Neubau um. Am Tag des Umzuges separierten wir alle nach unserer Definition rangniedrigen Individuen und bildeten so eine neue Gruppe, die nur aus rangniedrigen Individuen bestand. In dieser Gruppe war Max unbestrittenes Alpha-Männchen, ansonsten herrschten chaotische Zustände. 1985 gaben wir dann die zahlreichen Männchen dieser Gruppe ab, so dass Max als einziges Männchen seiner Gruppe verblieb, dennoch herrschte in dieser Gruppe ein „friedliches Chaos“. Max, der das morphologisch kräftigste Männchen unserer Nachzuchtmännchen war, konnte diese Gruppe offensichtlich nicht kontrollieren. Die anderen parallel gehaltenen Sozialgruppen, die Majo-Gruppe mit den übrigen Individuen der ehemaligen Nikita-Gruppe, die neue Nikita-Gruppe und die zusätzlich gebildete Orbi-Gruppe hingegen waren strukturiert. Nach der mühevollen sukzessiven Abgabe fast aller anderen Nachzuchtmännchen bildeten wir am 23.09.1986 zwei weitere neue Gruppen, die neue Majo-Gruppe, die nur aus ranghohen Individuen bestand und die Ernst-Gruppe aus rangmittleren Individuen. Zudem separierten wir (nach den Befunden an der Max-Gruppe, s. u.) die Mütter unserer drei Alpha-Männchen, Mecki (Majo), Blonda (Ernst), Alba (Max), und überführten sie in die Nikita-Gruppe. Ab dem 01.10.1986 wurde dann das Verhalten in diesen drei Gruppen täglich 15 Minuten lang von trainierten Beobachtern protokolliert. Die Befundaufnahme an der Ernst-Gruppe endete leider bereits am 12.11.1987 durch den unerwarteten Tod von Ernst.

14.9.4 Gruppenvergleich

Wir bildeten also drei neue Gruppen mit jeweils einem adulten Männchen und sechs bis acht adulten Weibchen. Mit Ausnahme der beiden Weibchen Heda und Isolde entstammten alle Individuen der ehemaligen Nikita-Gruppe. Alle Individuen der Majo-Gruppe waren hochrangige Individuen, die der Ernst-Gruppe mittelrangig und die der Max-Gruppe niederrangig.
In den ersten sechs Monaten blieben die verwandtschaftlichen Beziehungen erhalten. Soweit sich über die Mutter verwandte Schwestern in der Gruppe befanden (Majo-Gruppe: Calva/Cornelia/Angela, Ernst-Gruppe: Flava/Zenia/Tina), interagierten sie miteinander häufig. Insofern war besonders die geringe Kontakthäufigkeit zwischen Majo und seinen Schwestern auffällig. Bezüglich der Mutter-Tochter-Dyaden fiel auf, dass in der Majo- und der Ernst-Gruppe die Tochter der attraktivste weibliche Sozialpartner der Mutter war (Majo: Vanda/Frieda, Ernst: Barbara/Olga, und vice-versa. In der Max-Gruppe dagegen interagierten alle Weibchen häufiger mit nicht (über die Mutter) verwandten Weibchen als mit ihrer eigenen Mutter/Tochter. Für den einzigen in einem der Sozialverbände lebenden Sohn, dem Alpha-Männchen Max, blieb die Mutter der attraktivste soziale Partner. Max interagierte weit seltener mit adulten (nicht über die Mutter verwandten) Weibchen als die beiden anderen Alpha-Männchen.
Alle in der Nikita-Gruppe nachgezogenen Weibchen bevorzugten den Kontakt zu Gleichalten, den Spielpartnern ihrer Kindheit, zudem bevorzugten sie Rangnachbarn als Sozialpartner. Insofern wurden fast alle zu beobachtenden Präferenzen durch Verwandtschaft, Alter und Rangposition erwartbar.
Die einzigen sozialen Kontakte, die wir nicht zwingend nach unseren bisherigen Ergebnissen erwarten konnten, waren diejenigen der zwei neu in die Majo-Gruppe introduzierten Weibchen (Heda, Isolde), diese unterhielten nämlich enge Kontakte zu nicht vertrauten Individuen.
Bei der Häufigkeit des Verhaltens Kontaktsitzen fanden wir keine Unterschiede zwischen den drei Gruppen (im Mittel für alle Gruppenmitglieder: Majo-Gruppe 1347 ± 123, Ernst-Gruppe 1262 ± 133, Max-Gruppe 1255 ± 113). Bei dem Zusammensitzen ohne Körperkontakt zeigten jedoch die Mitglieder der Majo-Gruppe dieses Verhalten signifikant häufiger (2046 ± 255) als diejenigen der Ernst- (1121 ± 77) und der Max-Gruppe (1158 ± 138). Nämliches galt für das Verhalten Gehenzu (Majo-Gruppe: 302 ± 35, Ernst-Gruppe: 174 ± 38, Max-Gruppe: 139 ± 22).
Soziale Körperpflege konnte in der Majo-Gruppe (467 ± 86) häufiger beobachtet werden, was sich gegenüber der Max-Gruppe (139 ± 41) statistisch sichern ließ.
Vergleichen wir das Verhalten der übrigen Gruppenmitgliedern den drei Alpha-Männchen gegenüber, so wichen die Gruppenmitglieder häufiger vor Majo (n = 68) als vor Ernst (n = 43) und häufiger vor Ernst als vor Max (n = 22). Betrachten wir jedoch andere agonistische Interaktionen - wobei wir zwischen Drohen, Fliehen, starkem Drohen und Beißen differenziert haben -, zeigte Majo weniger agonistische Aktivitäten, besonders auffällig bei dem Vergleich von Majo und Max.
Betrachten wir schließlich die Rangordnung (Tabellen 14.10, 14.13), so erkennen wir eine lineare Rangordnung in der Majo-Gruppe.


Tabelle 14.10: Max-Gruppe, 27.12.1985 - 26.06.1986, Agonistische Beziehungen
-----------------------------------------------------------------------------------
------------Max----Alba---Itta---Jungfrau--Omega-----Julia---Sophie--Christa---Vau---
 Max                4     27       54        37      30      37       32      14
 Alba         1           10       30                29      23       9

 Itta               1              12        5       38      3        24      3
 Jungfrau                                    2       4       10       2       2
 Omega              11                                       8                2
 Julia              1     17       2                         13               5

 Sophie                            2         1       7                12      4
 Christa                   3                                 4                1
-Vau-------------------------------------------------------------------------------
Tabelle 14.11: Max-Gruppe, 27.12.1985 - 26.06.1986, agonistisch-aktiv
-----------------------------------------------------------------------------------
            Max    Alba   Itta   Jungfrau  Omega     Julia   Sophie  Christa   Vau
-----------------------------------------------------------------------------------
 Max                       9       17        5       7       11       6
 Alba         1            4       13                14      5        3
 Itta               1              5         3       23      1        14
 Jungfrau                                    1       2       4                1
 Omega              6                                        3                1

 Julia              1      8       1                         4                3
 Sophie                                              6                9       2
 Christa                   3                                 2                1
 Vau
-----------------------------------------------------------------------------------
Tabelle 14.12: Max-Gruppe, 27.12.1985 - 26.06.1986, Soz. Körperpfl.
-----------------------------------------------------------------------------------
------------Max----Alba---Itta---Jungfrau---Omega----Julia---Sophie--Christa---Vau---
 Max                33     4       3         14      29      2         4
 Alba       264           121      11        14      1       1        13      1
 Itta         5     58             54        22      5      115        4      2
 Jungfrau           15    108                8       1       17       25

 Omega             105    12       57                31               12
 Julia       37     30    53       32        50              29       55      25
 Sophie       1     5     117      1         4       16               37      3
 Christa    176     5              45        43      23      12               39
 Vau                       1       9         11      4                39
-----------------------------------------------------------------------------------


Tabelle 14.13: Agonistische Beziehungen, 01.10.1986 - 30.04.1987
-----------------------------------------------------------------------------------
------------Majo---Vanda-----Frieda----Angela---Cornelia---Heda---Calva---Isolde-----
 Majo                23        36       54        43       68      47     83
 Vanda                         2        27        15       60      33     19

 Frieda                                 38        47       27      55     20
 Angela                                           13        7      34      8
 Cornelia                                                  23      50     21
 Heda                          2        14         3               20     124

 Calva                                                      5             19
-Isolde--------4--------------------------------------------------------------------

-----------------------------------------------------------------------------------
------------Ernst---Olga----Barbara----Tina------Bea-----Senia---Flava-------------
 Ernst               20        9        44        66       98      78
 Olga         1                38       33        84       37      42
 Barbara                                19        27       11      32

 Tina                                             30       21      6
 Bea          1                          5                 24      95
 Senia                                             4               9
 Flava                                                      2
-----------------------------------------------------------------------------------

In den Tabellen 14.10 und 14.13 haben wir die Summe aller irgendwie zu beobachtenden agonistischen Interaktionen angegeben (passives Weichen, passives Fliehen, passives Unterwerfungsverhalten (z. B. Zähneblinkeln), aktives Drohen, aktives starkes Drohen und Beißen). In der Majo-Gruppe ist erkennbar, dass eines der Weibchen (Heda) versuchte, ihren Rangplatz zu verbessern, wenngleich erfolglos. Die gleiche Linearität der Rangordnung konnten wir für die Ernst-Gruppe belegen. In der Max-Gruppe hingegen war nach den agonistischen Kontakten Omega ranghöher als Alba. Ein anderes Weibchen (Julia) versuchte das Beta-Weibchen Itta zu dominieren.


Tabelle 14.14: Agonistisch-aktiv, 01.10.1986 - 30.04.1987
-----------------------------------------------------------------------------------
------------Majo---Vanda-----Frieda----Angela---Cornelia---Heda---Calva---Isolde-----
 Majo                 1        2                   2       17      1      15
 Vanda                                   4         1       13      6       2

 Frieda                                  9         4        7      9       5
 Angela                                            7        6      10
 Cornelia                                                   7      12      1
 Heda                          1         2         2               3      23

 Calva                                                      4              7
-Isolde-----------------------------------------------------------------------------

-----------------------------------------------------------------------------------
------------Ernst---Olga----Barbara----Tina------Bea-----Senia---Flava-------------
 Ernst                2        1         4         1        9      9
 Olga         1                9         7        44       11      16
 Barbara                                 6        14        3      11

 Tina                                             14       10      3
 Bea                                     3                 10      34
 Senia                                             2               4
 Flava                                                      2
-----------------------------------------------------------------------------------

Das gleiche Ergebnis erhielten wir bei der Beschränkung auf aktive agonistische Kontakte (Tabellen 14.11 und 14.14), eine lineare Rangordnung in der Majo- und der Ernst-Gruppe und eine weit entfernt von einer Linearität existierende Ordnung in der Max-Gruppe.
Vergleichen wir diese Daten mit denjenigen zur sozialen Körperpflege (Tabellen 14.12 und 14.15), können wir erkennen, dass soziale Körperpflege häufiger in der Majo- und seltener in der Max-Gruppe zu beobachten war. In den Tabellen 14.12 und 14.15 habe ich die über Verwandtschaft erklärbaren Putzkontakte kursiv angegeben. Berücksichtigen wir diese und die Erkenntnis, dass Rangnachbarn engere Kontakte unterhalten, dann ist in der Max-Gruppe nur auffällig, dass Christa Max, einen Sozialpartner ihrer Kindheit, und Omega Alba häufig putzte.
In den beiden anderen Gruppen, der Ernst- und der Majo-Gruppe. wurde das Alpha-Männchen häufig von den beiden höchstrangigen Weibchen geputzt. Zudem waren diese (das Alpha- und das Beta-Weibchen) attraktive passive Putzpartner für niederrangige Individuen. Auch die beiden neu in die Majo-Gruppe introduzierten Weibchen waren als passive Putzpartner auffällig attraktiv. Beide wurden auch von dem Alpha-Männchen häufig geputzt. Zudem ist sicherlich bemerkenswert, dass Isolde am häufigsten Heda als passiven Putzpartner wählte, obwohl sie der Hauptaddressat von Hedas Attacken war (Tabelle 14.14).


Tabelle 14.15: Soziale Körperpflege, 01.10.1086 - 30.04.1987
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------------Majo---Vanda-----Frieda----Angela---Cornelia---Heda---Calva---Isolde-----
 Majo                                             4       101             181
 Vanda       199              167       12         4       22      7

 Frieda      140    101                 11        10       69      1      54
 Angela              87        45                203       75     60      127
 Cornelia            296       20      172                195     47      119
 Heda        35      86        70        1        47               23

 Calva               223      114      152       153       47             65
-Isolde-------28------24--------1--------17--------14------101------8---------------

-----------------------------------------------------------------------------------
------------Ernst---Olga----Barbara----Tina------Bea-----Senia---Flava-------------
 Ernst                1        60
 Olga        386              244       28        96       91      11
 Barbara     339    134                 25        21       61      27

 Tina         8      157      168                 75      215     135
 Bea                 80        58       13                 16      11
 Senia               102       50       90                        65
 Flava        4       8        90       50        25       33
-----------------------------------------------------------------------------------
-----------------------------------------------------------------------------------

Fragen wir nach den Gründen für diese Unterschiede zwischen den Sozialgruppen, müssen wir als wichtigste Information beachten, dass die Majo-Gruppe nur aus hochrangigen, die Ernst-Gruppe nur aus mittelrangigen und die Max-Gruppe nur aus niederrangigen Individuen bestand. Nach unseren Befunden hatten Niederrangige Defizite bei der Etablierung enger Sozialkontakte. Hochrangige dagegen versuchten nicht nur Kontakte zu Höherrangigen zu etablieren, sie verfolgten auch eine Versöhnungsstrategie. Offensichtlich gelten diese Unterschiede auch dann, wenn die Gruppe nur Individuen des gleichen Rangbereiches enthält. Das bedeutet, dass diese Unterschiede unabhängig von der aktuellen Position des Individuums in der Sozialgruppe aufzeigbar sind.
Sicherlich ist es erlaubt anzunehmen, dass die Defizite in der Max-Gruppe auf der Präsenz seiner Mutter beruhen könnten. Wir hatten daher Alba aus der Gruppe entnommen (s. o) und parallel zu den Beobachtungen an der Majo- und der Ernst-Gruppe über weitere sechs Monate Daten an der Max-Gruppe erhoben. Die Ergebnisse zeigten nahezu identische Befunde, Rangänderungen, Omega und Christa verbesserten ihren Rangplatz, änderten nichts an dem generellen Befund der Unfähigkeit, eine lineare Hierarchie zu etablieren.


Tabelle 14.16: Agonistisch-aktiv, 01.10.1986 - 30.04.1987
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------------Max----Omega----Itta---Julia---Christa--Sophie---Jungfrau---Vau---
 Max                 34     11     24      25       28        36       7
 Omega                      56                      56        14

 Itta                42            61      31        6        38
 Julia                      34                      44        29
 Christa                     9                      22        12
 Sophie              21            16       7                  4

 Jungfrau                                            4                 1
-Vau------------------------------------------------------------------------

Auch eine weitere sechsmonatige Befunderhebung an der Majo- und Max-Gruppe belegte erneut die auffälligen Unterschiede zwischen diesen Gruppen (Tabelle 14.17) (Beachte auch die Änderungen in der Rangordnung der Max-Gruppe über die Zeit, Tabellen 14.11,14.16, 14.17) .


Tabelle 14.17: Agonistisch-aktiv, 01.05.1987 - 30.11.1987
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------------Majo---Vanda----Frieda---Angela---Cornelia----Calva-----Heda-----Isolde----
 Majo                13       15       29        2         22         30      26
 Vanda                         2       24                  26         16

 Frieda                                9         2         15         21       8
 Angela                                                    24         10       2
 Cornelia                                                   5                  2
 Calva                                                                6

 Heda                          1       5                    3                 55
-Isolde------------------------------------------------------1---------6---------------

--------------------------------------------------------------------------------------
------------Max------Itta----Sophie----Julia----Omega-----Jungfrau---Christa------------
 Max                  7       17       9         19        33         21
 Itta                                  25        25        23         15
 Sophie               1                9         3         13

 Julia                8        8                 3          9         11
 Omega                4        1
 Jungfrau                              5                              8
 Christa                                                    4
 Vau
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Zwar demonstrierten unsere Makaken die Unterschiede zwischen den Gruppen überaus deutlich, doch war mein experimenteller Ansatz - die Voraussetzungen für einen neuerlichen Handaufzuchtversuch zu schaffen - gescheitert, da es nicht gelang zwei gut züchtende Sozialgruppen aufzubauen. 1985 und 1986 züchteten Majo und Max vergleichbar erfolgreich, Majo zeugte 10, Max 7 Jungtiere. Nach den Gruppenneubildungen 1987 bis 1991 wuchsen (bis zum Tod von Max) in der Majo-Gruppe nur 9, in der Max-Gruppe dagegen 17 Jungtiere auf. Nur die Max-Gruppe vermehrte sich hinreichend, in der Majo-Gruppe dagegen züchtete Majo nur mit Heda und Isolde, die übrigen Weibchen waren als Sexualpartnerinnen unattraktiv. Im Nachhinein wäre es sicherlich besser gewesen, ich hätte Majo auch die rangmittleren Weibchen zugesellt, mein Forschungsansatz war zu ehrgeizig gewesen. Die schlechten Zuchterfolge in der Majo-Gruppe sind aus heutiger Sicht gut erklärbar, drei der Weibchen, Calva, Cornelia und Angela, waren Schwestern von Majo und als solche wohl zu vertraut, so dass sie für ihren Bruder als Sexualpartner unattraktiv waren. Zwei weitere Weibchen (Vanda und Frieda) beherrschten perfekt das Verhalten der Konfliktvermeidung und präsentierten ständig, ohne irgendwelche Fluchttendenzen zu zeigen. Dies demotivierte vormals schon Nikita. So blieb auch Frieda das einzige Nachwuchsweibchen unserer Javanermakakenkolonie ohne Nachzuchterfolg. Das Flüchten der Weibchen und das anschließende Verfolgen sind wohl auch bei den Javanermakaken Voraussetzungen, um das Männchen zum Aufsteigen zu motivieren. Dabei fliehen die Weibchen möglicherweise absichtlich, um das Männchen zum Nachfolgen zu bewegen. Ich kann leider hier nur einen anekdotischen Beleg für diese Vermutung anführen. Einmal beobachtete ich, wie ein Weibchen laut schreiend vor dem Alpha-Männchen floh. Dieser verfolgte es aber nicht, vielmehr blieb er ruhig sitzen. Geräuschlos und vorsichtig näherte sich dieses Weibchen dem Alpha-Männchen, um dann sofort wieder laut schreiend zu weichen. Diesen Vorgang konnte ich dann in derselben Beobachtungssitzung mehrfach beobachten.

14.9.5 Weitere Gruppenbildungen

Noch während der Beobachtungen an der Max-Gruppe starb Vau am 03.01.1987 den Alterstod. Ihr ganzes Leben lang musste sie sich mit einem niedrigen Rangplatz zufrieden geben. Am 14.07.1989 verlor Vanda nach mehr als fünfzehn Jahren ihre Alpha-Position an Heda. Hierfür war wohl die Unterstützung Hedas durch ihre Töchter Hanne und Herta, möglicherweise auch das Alter von Vanda verantwortlich. Sie starb am 18.07.1989, bereits einen Tag später verloren wir auch Frieda. Ich vermute, dass beide psychisch unter dem Rangverlust gelitten haben. Am 04.05.1990 starb Isolde den Alterstod. Schließlich verloren wir Itta am 23.09.1990 durch Geburtskomplikationen.
Völlig unerwartet starb am 01.03.1992 Max, 6650g schwer. Mit seinem Tod hatten wir nicht gerechnet, doch ist ein Alter von fünfzehn Jahren ein gutes Alter für ein Männchen. Wir hatten in unserer Kolonie kein geeignetes (rangniedriges) Männchen als Ersatz. Unser ältestes neben den beiden Gruppen gehaltenes Männchen war Theo, ein Sohn des rangmittleren Weibchens Blonda, der zu diesem Zeitpunkt siebeneinhalb Jahre alt war. In Vorbereitung der neuen Gruppenbildungen vergesellschafteten wir ihn mit unseren „peer“- Weibchen Sonja und Maria. Am 02.04.1992 gaben wir aus der Max-Gruppe Omega und Jungfrau und aus der Majo-Gruppe die drei Majo-Schwestern, Calva, Cornelia und Angela, an andere Halter ab.
Gleichfalls im April 1992 introduzierten wir unsere ranghohen „peer“-Weibchen, Laura, Carmen und Meike, in die Majo-Gruppe und fusionierten im Mai 1992 die neu-gebildete Theo-Gruppe mit den restlichen Weibchen der ehemaligen Max-Gruppe. Beide Gruppenbildungen gelangen. Doch war uns erstmals die Endlichkeit des Makakenlebens bewusst. Zudem hatten wir in der Majo-Gruppe gelernt, dass zu große Vertrautheit hinderlich für das spätere Reproduktionsverhalten sein dürfte. Daher separierten wir am 29.12.1992 Iwan aus der Majo-Gruppe und Maximilian aus der Theo-Gruppe und hielten beide Männchen gemeinsam in einem anderen Raum der Primatenstation. Über beide Männchen werde ich noch berichten.
Auch die neue Majo-Gruppe und die Theo-Gruppe wurden regelmäßig beobachtet, beispielhaft berichte ich hier wiederum über die Daten von sechs Monaten, die wir ca. ein Jahr nach Gruppenbildung erhoben haben.


Tabelle 14.18: Agonistisch-aktiv, 08.03.1993 - 16.09.1993
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-------------Majo---Hanne----Herta----Heda----Charl.---Carm.---Laura---Meike---------------
 Majo                 11       4        1        2       3                5
 Hanne                                  5        7       25       4       8

 Herta                                 14        5       8        2       8
 Heda                                           13       6        2       3
 Charlotte                                                        1       1
 Carmen                                                           3       3

 Laura
-Meike------------------------------------------------------------1------------------------

-------------------------------------------------------------------------------------------
-------------Theo---Sonja----Maria---Christa--Sophie----Julia----Elke----Jutta--Cora---Ilse-
 Theo                  8      10        3       11       4                1      1     3
 Sonja                         2        9       10       13       7       6      2     1
 Maria                                  1        4       2        6                    3

 Christa
 Sophie                1                                 8                2      2     2
 Julia                                                                    1            1
 Elke                                                    1                3      5
 Jutta                                                   2        2              5

 Cora                                                                                  2
-Ilse------------------------------------1--------1------------------------2----------------


Tabelle 14.19: Soziale Körperpflege, 08.03.1993 - 16.09.1993
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-------------Majo---Hanne----Herta----Heda----Charl.---Carm.---Laura---Meike---------------
 Majo                  5      11       141      48       23      76      20
 Hanne        50               3       29        1       24               1

 Herta                14               71        9       23              12
 Heda          7      43      19                         1
 Charlotte    91       2      20        5                13              10
 Carmen        7       7      11                40               19      88

 Laura       102                                         95              67
-Meike------------------------------------------17-------48------10------------------------

-------------------------------------------------------------------------------------------
-------------Theo---Sonja----Maria---Christa--Sophie----Julia----Elke----Jutta--Cora---Ilse-
 Theo                  3                4                1
 Sonja         4              39                 3       1        8       3      1
 Maria         5      18                         6       5        3       1            1

 Christa       1       1       3                 5       10       2       9      18    3
 Sophie               12      17       10                4        5       4      9     7
 Julia         8               1        9       47               19       6      6     9
 Elke          2       4                3        6       1                2            10
 Jutta                 8      15        4       14       14       1              7     12

 Cora                 16               19       10       20      23       9            27
-Ilse-----------1------17-------1-----------------8-------8-------14-------9------5---------

Nicht unerwartet waren in der Majo-Gruppe für Heda ihre Töchter Hanne und Herta attraktivste passive Putzpartner, auch Hanne und Herta putzten ihre Mutter häufiger als eines der anderen Weibchen. In der Theo-Gruppe dagegen putzte zwar Christa ihre Tochter Cora häufiger als andere Weibchen, für Cora waren aber andere Weibchen als passive Putzpartner attraktiver als die eigene Mutter, was an die bereits berichteten Beobachtungen in der Max-Gruppe anschließt. Besonders auffällig im Gruppenvergleich war wiederum der Unterschied in den Beziehungen zum Alpha-Männchen, Majo war als passiver Putzpartner attraktiv und putzte auch selber seine Weibchen, Theo hingegen beteiligte sich an der sozialen Körperpflege sowohl als aktiver als auch als passiver Putzpartner kaum. Bei den aktiven agonistischen Kontakten fällt wiederum auf, dass Theo seine Weibchen häufiger bedrohte als Majo. Zudem ist erneut auffällig, dass die rangniedrigen Weibchen nicht in der Lage sind, eine lineare Rangordnung zu etablieren. Eigentlich unerwartet ist die Rangposition von Heda, ihre von Majo gezeugten Töchter bedrohen auch ihre eigene Mutter und sind höherrangig als diese. Hinweisen möchte ich noch auf die Beziehungen zwischen Alpha-Weibchen (Hanne) und Carmen, Hanne bedrohte Carmen auffällig häufig, „versöhnte“ diese aber wieder. Das erneute „friedliche Chaos“, das Marina Butovskaya85 als „quite tumultuous“ beschrieb ([14]), in der Gruppe der Rangniedrigen begünstigte offensichtlich den Reproduktionserfolg, Theo zeugte 1992 sieben Kinder, Majo nur eines (mit Heda). Auch 1993 zeugte Theo erneut sieben Kinder, in der Majo-Gruppe hingegen wuchsen nur zwei Kinder (von Heda und Hanne) auf, Kinder von Carmen, Laura und Meike starben in den ersten Lebenstagen. 1994 züchtete Theo mit allen neun Weibchen, in der Majo-Gruppe dagegen wurden nur Heda und Hanne schwanger. Zudem mussten wir Carmen separieren. Sie hatte engste Sozialkontakte zu Majo etabliert, griff dann Hanne und Heda massiv an und unterlag. Majo zeugte mit Hanne und Meike Kinder, wobei diesmal das Meike-Kind aufgezogen wurde. Bis zum Tod von Majo am 19.10.1995 wuchsen 1995 in der Theo-Gruppe fünf weitere Jungtiere auf. In der Majo-Gruppe bestätigte sich das unterschiedliche agonistische Verhalten der Hochrangigen, von dem ich bereits in den Unterkapiteln 14.2 und 14.3 berichtet habe, sie kämpften zwar selten, wenn sie sich aber für einen Kampf entschieden haben, kämpften sie richtig und gaben kaum auf.86 Nur aus der Majo-Gruppe mussten wir Individuen nach schweren Verletzungen separieren, in der Theo-Gruppe (wie vorher in der Max-Gruppe) herrschte stets Chaos, doch traten erhebliche Verletzungen über die Jahre nicht auf. Marina Butovskaya beschrieb auch das unterschiedliche Verhalten der beiden Alpha-Männchen87 und der weiblichen Gruppenmitglieder88, sie kam auch zu dem Schluss, dass für diese Unterschiede genetische Faktoren89 verantwortlich sein könnten. Dies hatten wir leider nicht belegen können, stand doch das neuerliche Handaufzuchtexperiment noch aus. Während meiner Zeit in der Primatenstation konnte ich dieses Experiment nur noch vorbereiten, aber nicht mehr durchführen.

14.9.6 Letzte Gruppenbildungen und Infantizid


Tabelle 14.20: Weitere in Unterkapitel 14.9.6 erwähnte Individuen
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-Name---------Geschlecht----Ankunft------Herkunft/Eltern------Gruppe-------
 Amanda            f       14.01.1994        Theo/Elke         Theo
 Guillian          f       18.01.1994       Theo/Sophie        Theo

 Naomi             f       13.04.1994       Theo/Maria         Theo
 Reni              f       03.09.1994        Theo/Cora         Theo
 Vincent          m        20.04.1995       Iwan/Hertha        Iwan
 Ulla              f       12.05.1995        Theo/Sonja        Theo

 Zara              f       17.05.1995        Theo/Elke         Theo
 Heiko            m        20.03.1996        Theo/Sonja        Theo
 Alonso           m        01.06.1996       Theo/Christa       Theo
 Florian          m        28.04.1997        Theo/Sonja        Theo
 Amanda  -N        n       24.07.1997   Maximilian/Amanda      Maximilian

-Maria--N----------n-------30.07.1997-------Theo/Maria---------Theo---------

Ich habe im Unterkapitel 14.9.5 bereits berichtet, dass wir am 29.12.1992 Iwan und Maximilian aus ihren Geburtsgruppen separiert hatten. Diese hielten wir komplikationslos gemeinsam in einer Haltungseinheit. Am 04.08.1994 überführten wir diese in eine andere Einheit, separierten sie am 11.11.1994 und verpaarten Iwan mit seiner Halbschwester Herta. Maximilian vergesellschafteten wir mit Amanda, einer mutteraufgezogenen Tochter von Theo und Elke, und einem weiteren handaufgezogenen weiblichen Jungtier.
Am 21.04.1995 wurde Vincent geboren, Iwan hatte seine Zeugungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Einen Tag nach dem Ableben von Majo90 - am 19.10.1995 - introduzierten wir Iwan, Herta und Vincent in die ehemalige Majo-Gruppe. Iwan übernahm sofort unangefochten die Rolle des Alpha-Männchens und kontrollierte problemlos die Gruppe. Wir mussten zwar noch im Oktober 1995 Laura und Meike separieren, doch war nun unsere Gruppe der ranghohen Individuen auch reproduktiv aktiv, Iwan züchtete mit Hertha, Hanne und Charlotte sowohl 1996 als auch 1997 erfolgreich unter den Jungtieren waren zwei Töchter. Insofern konnten wir mittelfristig eine genügende Zahl von Jungtieren erwarten. 1997 wurde diese interessante Gruppe aus der Primatenstation entfernt.
Am 12.06.1996 gaben wir das handaufgezogene Weibchen aus der Maximilian/Amanda-Gruppe ab und überführten Maximilian und Amanda in ein größeres Gehege der sich nun sukzessive leerenden Primatenstation. Am 24.07.1997 gebar Amanda ihr erstes Kind, auch der Max-Sohn Maximilian, der zu einem großen Männchen herangewachsen war, hatte seine Zeugungsfähigkeit belegt. Auffällig war in dieser Gruppe, dass Amanda die Nähe zu Maximilian mied, sie bevorzugte möglichst weit von ihm entfernt liegende Ruheplätze.
Theo war in seinen letzen Lebensjahren zuckerkrank. Ich diagnostizierte dieses Leiden nach dem Verhalten der reichlich in seiner Gruppe vorhandenen Jungtiere. Sobald er urinierte, sprangen diese herbei, um den Urin aufzulecken. Auffällige Harnaufnahme hatten wir ansonsten bei unseren Makaken nicht beobachtet. Da Theo trainiert war, den Absperrgang aufzusuchen, konnten wir ihn auch mit Insulin versorgen. Ich selber war in dieser Zeit - wegen meiner fristlosen Entlassung - nur partiell anwesend. Hier versorgte ihn mein Doktorand Michael Dulitz täglich aufopfernd.
In den letzten Jahren der Javanermakakenhaltung wurden diese von meiner Doktorandin Christiane Möller begleitend beobachtet. Leider konnte Christiane Möller ihre Doktorarbeit durch die Geschehnisse in der Primatenstation nicht mehr abschließen. Mir liegen auch keine Unterlagen vor. Möglicherweise werde ich bei einer Neuauflage dieses Buches - sollte Frau Möller ihre Aufzeichnungen aufbewahrt haben - hier ausführlicher berichten können. Frau Möller beobachtete im Rahmen ihrer Diplomarbeit, die mir leider auch nicht (mehr) vorliegt, 1996 auch bereits die Theo-Gruppe. In dieser lebten u. a. drei 1993 geborene Männchen und zwei 1994 geborene Weibchen (Naomi und Guillian). Während ihrer Beobachtungen stellten Naomi und Guillian nach meiner Erinnerung das soziale Spiel (Nachlaufen) völlig ein. Dann gaben wir am 12.06.1996 die drei Männchen planmäßig an andere Halter ab. Ab diesem Zeitpunkt nahmen die beiden jungen Makakenweibchen das Nachlaufspiel wieder auf. Diese Beobachtung erlaubt die Hypothese, dass das rauhe Kampfspiel der Männchen die jungen Weibchen veranlasst, das Spielen einzustellen.
Theo ging es 1997 zusehends schlechter, auch verlor er zumindest einen Teil seiner Sehkraft. Da zwei Haltungseinheiten im selben Raum leerstanden, die Iwan-Gruppe war abgegeben, ebenso die im mittleren Gehege ehemals lebende Totenkopfaffengruppe (Viktor-Gruppe), wurde ich regelmäßig von Beauftragten der Universität dringenst aufgefordert, der Theo-Gruppe mehr Platz zu geben. Mein Einwand, man täte einem fast blinden Männchen, der sich in seinem vertrauten Innen- und Außengehege optimal orientieren könne, mit mehr Platz keinen Gefallen, vielmehr würde man diesem schaden, wurde als Einwand eines uneinsichtigen Halters abgetan, doch konnte ich mich - vorübergehend wieder im Amt - durchsetzen.
Etwa im August 199791 starb dann Theo. Ich beschloss, Maximilian vor einer Fusion mit den Weibchen der Theo-Gruppe zu verstärken und integrierte in seine Gruppe auch Sophie und Christa, die beiden ältestesten Weibchen der ehemaligen Theo-Gruppe. Bei diesem Experiment verloren wir Sophie (am 30.08.1997). Wie und warum diese zu Tode kam, kann ich aus der Erinnerung nicht berichten. Maximilian jedenfalls hatte mit Christa ein Weibchen gefunden, mit dem er gerne und ständig zusammensaß.
Wohl im Dezember 1997 fusionierten wir dann die Maximilian-Gruppe (Maximilian, Christa, Amanda und Amanda-N) mit dem Rest der Theo-Gruppe. Es herrschte das reine Chaos. Maximilian hatte panische Angst vor den neuen Weibchen und floh vor ihnen. Die Theo-Weibchen dagegen hatten ebenfalls panische Angst vor dem großen Mann92 und flohen vor diesem. Amanda sah die Chance, den Abstand zu Maximilian zu vergrößern, und wich in die gleiche Richtung wie die übrigen Weibchen, wurde aber sofort von den Theo-Weibchen angegriffen und gebissen. Nur Christa blieb ruhig auf einem oberen Brett sitzen und war für Maximilian ein verlässlicher Sozialpartner. Bei der Separation von Christa hatten wir sie auch von ihrem am 01.06.1996 geborenen Sohn Alonso getrennt. Nach der Fusion suchte dieser seine Mutter sofort auf und wurde von dieser am Bauch getragen.



Abbildung 14.90: Blonda, eines unserer betagten Wildfangweibchen


Als erstes merkte Maximilian, dass er nicht vor den Weibchen fliehen muss, er konnte unbesorgt und unbedrängt bei Christa und Alonso bleiben. Auch Amanda erkannte, dass es sinnvoll ist, in der Nähe von Maximilian zu bleiben, entging sie doch so den Attacken der Weibchen. Es trat eine relativ friedliche Atmosphäre ein, nur Sonja und Maria konnten offensichtlich nicht begreifen, dass sie ihren hohen Rangplatz an Christa verloren hatten. Gemeinsam mit Guillian, der verwaisten Tochter von Sophie, und Heiko saßen sie eng gedrängt mit ihren Kindern auf dem Boden und drohten Christa (und damit auch Maximilian). Am 11.12.1997 beobachtete ich mit Christiane Möller die Gruppe, wir waren uns einig, die Fusion habe geklappt. Beim Verlassen des Raumes stürmte Maximilian auf den Boden und tötete Heiko, den Sohn von Sonja, mit einem Kopfbiß. Dies war der erste Fall von Infantizid in unserer Makakenkolonie. Nach dem Tötungsbiß schüttelte sich Maximilian und spuckte, als hätte er irgendetwas Ekliges gegessen. Am 12.12.1997 fanden wir Maria-N und am 13.12.1997 Guillian durch Kopfbiss getötet vor. Es spricht alles dafür, dass auch hier Maximilian der Töter gewesen ist. Er hat Kinder der Weibchen getötet, die sich nicht untergeordnet haben, zudem das einzige Jungtier, das engste Kontakte zu diesen Weibchen hielt.
Hätte Maximilian die Primatenliteratur und die vielen klugen Artikel zum Infantizid bei Primaten gelesen, hätte er statt dem dreijährigen Weibchen Guillian besser Alonso (und weitere Kinder) getötet, so wuchs Alonso als Stiefsohn unverletzt heran.
Letzendlich war auch diese Fusion geglückt, wir hatten wiederum eine Gruppe aus nur nach der Geburt rangniedrigen Individuen. Ich persönlich bin überzeugt, hätten wir unser Handaufzuchtprojekt nun wiederholt, wären alle Iwan-Kinder im oberen Bereich der Hierarchie und alle Maximilian-Kinder im unteren Bereich gelandet. Nach meiner Einschätzung werden die sozialen Eigenschaften, die Persönlichkeiten, die letztendlich für einen hohen oder einen niedrigen Rang verantwortlich sind, eindeutig vererbt. Für die unterschiedlichen sozialen Strategien und für die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Individuen habe ich in diesem Unterkapitel zahlreiche Befunde berichtet.

14.10 Verwandtenerkennen

Bereits mehrfach in diesem Buch habe ich meine Zweifel geäußert, ob Primaten - wie theoretisch für alle Lebewesen gefordert - Verwandtschaft - gesteuert von ihren Genen - detektieren könnenen. In einem Review zur Sozialstruktur der Primates ([247]) kam ich nach gründlicher Diskussion vermeintlicher Belege für das Verwandtenerkennen zu dem Schluss: „Zusammengefasst dürfte die hohe Bedeutung der verwandtschaftlichen Beziehungen vor allem auf der Leistung des Individuums beruhen, andere Tiere individuell anzusprechen, auf das Vermögen, nach dem Grad der Vertrautheit bestimmte Tiere vor anderen zu bevorzugen, und auf dem dadurch entstehenden Bewusstsein für die eigene Familie, eigene Untergruppe bzw. eigene Gruppe. ... Dabei ist es dann unerheblich, ob die sich gegenseitig unterstützenden Tiere wirklich miteinander verwandt sind, wird durch dieses Verhalten doch das Entstehen komplexer Sozialgefüge im Labor und im Freiland erst ermöglicht.“ ([247], Seiten 146-147).
Für das Vorhandensein eines ohne individuelles Kennen vorhandenes Erkennen von Verwandtschaft gab es damals einen wichtigen Beleg. In der Zeitschrift Nature war 1980 eine Arbeit von Wu et al. ([305]) erschienenen mit dem Titel: „Kin preference in infant Macaca nemestrina“. Diese Arbeit schien damals der Beleg zu sein, dass auch Primaten Verwandtschaft detektieren können. Der Arbeit kam besonderes Gewicht zu, hatten die Autoren doch den aufwendigen Review-Prozess der angesehensten naturwissenschaftlichen Zeitschrift bestanden bzw. kamen die Daten aus einer renommierten Forschungseinrichtung.
Weiß nun ein Individuum - gesteuert von seinen Genen -, ob es mit einem anderen verwandt ist oder nicht. Zur Klärung dieser Frage führte Wu gemeinsam mit anderen Mitarbeitern der Arbeitsgruppe um Sackett - mein Freund Gene P. Sackett war auch Co-Autor dieser Studie - an sechzehn Schweinsaffen, die kurz nach der Geburt separiert wurden, Wahlexperimente durch. Sie sperrten die Kinder in den von Sackett entwickelten Wahlapparat. Von einem Ausgangskäfig aus durften die jungen Schweinsaffen in drei Abteile blicken. Jeweils durch eine zusätzliche Scheibe getrennt sass in einem ein väterlichseits verwandtes Halbgeschwister und in dem zweiten ein nichtverwandtes Individuum gleichen Alters und Geschlechtes wie das Geschwister. Das dritte Abteil schließlich blieb leer. Nach einer fünfminütigen Orientierungsphase durften die Jungtiere zehn Minuten lang die gleichzeitig geöffneten Abteile wahlweise betreten, wobei die jeweilige Zeit des Aufenthaltes genauestens protokolliert wurde.
Es zeigte sich nun, dass Halbgeschwister vor Nichtverwandten präferiert wurden. Eindeutig zeigten 13 der 16 Kinder eine solche Präferenz, was sicherlich hochsignifikant ist. Unabhängig von meinen grundsätzlichen Zweifeln, ob 10 Minuten Wahlversuch hinreichend sind, um Verwandtenerkennen wirklich zu belegen, habe ich die Daten genauer betrachtet. Tatsächlich hatten die jungen Schweinsaffen vier Optionen, sie konnten den Verwandten oder den Nichtverwandten aufsuchen, das leere Abteil oder aber im Ausgangsort verbleiben. Nun zeigte sich, dass nur sechs der Jungtiere den Verwandten präferierten, drei präferierten (s. o.) den Nichtverwandten, zwei das leere Abteil und fünf schließlich den Ausgangsort. Betrachten wir zudem die sechs Belege, dann fällt bei zwei weiteren auf, dass der Unterschied zwischen Verwandten und Nichtverwandten nur sehr gering ist. Die Daten von Wu et a. geben also überzeugend nur an, dass von den sechzehn Kindern vier Halbgeschwister und drei Nichtverwandte präferierten. Die Resultate konnten mich nicht überzeugen.



Abbildung 14.91: Ein Schweinsaffen-Kind (Macaca nemestrina) im Zoo Odense


Durch unsere beiden „peer“-Gruppen hatten wir das optimale „Ausgangsmaterial“ für ein klärendes Experiment (vgl. auch [249], [284], [290]). Dieses Experiment war die Fusion unserer beiden „peer“-Gruppen und die Beobachtungen zum Sozialverhalten der 20 Makaken.
Es wurde im Dezember 1984 durchgeführt, die Makakenkinder waren zu diesem Zeitpunkt zwischen 13 und 42 Monaten alt. Die älteren „peers“ wurden sukzessive in halbstündigem Abstand, beginnend mit dem jüngsten Individuum (Klara) entgegengesetzt zum Alter in die Gruppe der zwölf jüngeren Individuen gelassen. Die Beobachtungen begannen am darauffolgenden Tag. Über zehn Tage protokollierten zwei trainierte Beobachter täglich zwei Stunden lang die Interaktionen der zwanzig Jungtiere, nämlich alle affiliativen Ereignisse (Kontaktsitzen, soziale Körperpflege, Zusammensitzen (mit und ohne Körperkontakt), Gehenzu) und alle agonistischen Episoden.
Die Fusion der beiden Gruppen ermöglichte es jedem Individuum, dyadische Beziehungen zu (1) Vertrauten-Nichtverwandten, zu (2) Vertrauten-Verwandten, zu (3) Nichtvertrauten-Nichtverwandten oder zu (4) Nichtvertrauten-Verwandten aufzunehmen. Vergleichen wir die Ergebnisse zur Vertrautheit und zur Verwandtschaft (wobei wir hier nicht zwischen den Graden der Verwandtschaft (Halbgeschwister/Vollgeschwister) differenziert haben), dann wurden 77,8 % der affiliativen sozialen Kontakte - insgesamt wurden 59579 Kontakte protokolliert - zwischen Vertrauten beobachtet, d. h. die Javanermakaken präferierten ihre ehemaligen Sozialpartner in den beiden Ausgangsgruppen. Soweit sie zwischen Vertrauten-Verwandten und Vertrauten-Nichtverwandten wählen konnten, ergaben sich keine Unterschiede. Nämliches galt für das Wahlverhalten zu nichtvertrauten Individuen. Sie unterschieden nicht zwischen nichtvertrauten-verwandten und nichtvertrauten-nichtverwandten Individuen.
Da dreizehn Makaken auch die Möglichkeit hatten, zu Vollgeschwistern den Kontakt aufzunehmen, analysierten wir auch diese Variable. Eindeutig interagierte kein Individuum häufiger mit einem Vollgeschwister als zu erwarten. Offensichtlich beruht das in Sozialverbänden zu beobachtende Präferenzverhalten gegenüber Verwandten auf Vertrautheit.
Unsere Ergebnisse entsprachen nicht nur unseren Erwartungen, vielmehr hatte ich nach meiner Einschätzung ein wichtiges Ergebnis für eine Nature-Publikation erreicht. Im Nature-Format schrieb ich ein Manuskrpt „Failure of kin-recognition in Macaca fascicularis“ und reichte diese bei Nature ein. Zu meiner Überraschung wurde diese abgelehnt, sie wäre nicht von allgemeinen Interesse. Ich habe meine Ergebnisse dennoch publiziert ([290]), war aber irritiert.
Bei einer Vortragsreise in den USA besuchte ich auch auf Einladung von Gene P. Sackett das Washington RPRC in Seattle und berichtete in meinem Vortrag von dieser Antwort. Die Kollegen lachten nur verlegen, sie hätten selber - begeistert von ihren Ergebnissen - eine umfangreiche Untersuchung zum Thema durchgeführt und ihre eigenen Daten eindeutig widerlegt.93 Auch diese Arbeit wurde von Nature abgelehnt, dennoch aber publiziert ([58]). Insofern drängt sich der Verdacht auf, dass das Ergebnis, eine eindeutige Falsifikation einer der Grundannahmen der Soziobiologie, nur von geringem Interesse ist. Die Theorie möglicherweise stützenden Ergebnisse hingegen sind von allgemeinem Interesse, auch wenn sie eigentlich kein echter Beleg sind. Eine Möglichkeit, diese zu widerlegen, wird von Nature nicht gegeben. Freilich hat eine Publikation in einer anderen Zeitschrift weit weniger Gewicht, d. h. der Fehlbefund bleibt als gesichert erhalten. Seit diesem Zeitpunkt lese ich Nature-Publikationen nur mit Vorbehalt.

14.11 Hormone und Verhalten, Training

In Unterkapitel 14.7 habe ich meine Kontrollbeobachtungen an Rhesusaffen (Macaca mulatta) berichtet, die ich durch die freundliche Genehmigung von Stephen J. Suomi am Harlow-Laboratory in Madison, Wisconsin, durchführen durfte.
Möglicherweise angeregt auch durch unser kontinuierliches Nachfragen nach der Vaterschaft der jungen Makaken oder auch unabhängig hiervon führte ein Mitarbeiter von Stephen J. Suomi, James M. Scanlan, vergleichbare Untersuchungen an 73 Rhesusaffenjungtieren durch und erzielte vergleichbare Ergebnisse.94 Er analysierte auch sorgfältig weitere Variablen und und kam - wie wir in Kassel - zu dem Schluss, dass genetische Faktoren für die soziale Stellung des Individuums verantwortlich sein dürften.95.
Darüber hinaus erhob James M. Scanlan Daten zur Hormonsekretion an diesen Rhesusaffen. - Stephen J. Suomi hatte bereits früher auf einer Tagung in Italien, bei der ich ihn auch ansprach und gleichzeitig die Voraussetzungen für die Beobachtungen in Wisconsin erkundete, individuelle Unterschiede in der Hormonsekretion aufgezeigt. Er nannte die eine Gruppe von Individuen nach meiner Erinnerung „more reactive“, die andere „less reactive“ (vgl. auch [210]).
Nach Scanlans Befunden konnte man die Kinder der hochrangigen und die der niederrangigen Männchen eindeutig nach der ACTH-Sekretion96 diskriminieren.97 Diese Befunde bewogen mich zu untersuchen, ob wir ähnliche Hormon-Befunde bei unseren Javanermakaken aufzeigen könnten. Für diese - im Vergleich zu unseren Verhaltensbeobachtungen - teure Untersuchung warb ich Mittel bei der DFG ein, so dass wir diese 1990 durchführen konnten.
Das Vorgehen war nach den damaligen Literaturangaben vorgegeben, die Makaken sollten einem definierten Stress ausgesetzt - fünfzehn-minütiger Aufenthalt in einem Zwangskäfig- und anschließend vor der Blutentnahme betäubt werden. Wir hatten damals keine Erfahrung mit der sachgerechten Betäubung von Javanermaken, auch fehlten uns damals die Techniken der Blutentnahme. Durch die großzügige Unterstützung von Ernst Weinmann, der dem routiniertesten seiner Mitarbeiter in der Primatenhaltung, Herrn Kraft, gestattete, die Blutentnahmen in Kassel durchzuführen, konnten wir das Experiment angehen. Herr Kraft war auch geübt in der Dosierung der Betäubung von Javanermakaken, so dass diese kein Problem darstellte. Ernst Weinmann stellte mir auch ein geignetes Netz zum Einfangen der Tiere zur Verfügung, wobei ich das nicht ungefährliche Einfangen und Umsetzen in unsere hausgebauten Zwangskäfige übernahm. Ein in Vorbereitung des Vorhabens mit Endokrinologen durchgeführtes Consilium „segnete“ das Vorhaben ab, ein Einfluss der Betäubung auf die Hormonsekretion konnte nach den Literaturbefunden ausgeschlossen werden.
Ein kritisches Moment bei der Betäubung von Tieren ist immer die Aufwachphase. In den relativ kleinen Haltungskäfigen der Behringwerke bzw. des Harlow Primate Lab oder anderer Primatenzentren konnte das Problem vernachlässigt werden, die betäubten Individuen wachen in ihren normalen Haltungskäfigen auf. Wir mussten uns hier wegen unserer relativ hohen Haltungseinheiten eine Alternative überlegen. Ich bereitete für jedes Individuum eine Bananenkiste vor, die wir nach der Betäubung in die Haltungsgehege stellten, davon ausgehend, dass die Javanermakaken erst nach dem vollständgen Aufwachen, sich aus diesen Kisten befreien könnten.
Das Einfangen klappte problemlos, wobei ich auf das Einfangen von Majo und Max verzichtet habe, ich befürchtete, beide wären in unseren Zwangskäfigen nicht zu halten. Die Betäubung und die Blutentnahme klappten dank des Einsatzes von Herrn Kraft, auch das Verbringen der betäubten Individuen in die Haltungskäfige wurde schnell und sorgfältig dank meines Mitarbeiter-Teams durchgeführt. Das Aufbereiten der Blutproben für die Analyse übernahm Michael Herzog, ein Marburger Medizindoktorand. Nach dem stundenlangen Einsatz atmeten alle Beteiligten auf, Herr Kraft war von unserer Arbeitsatmoshäre und dem Einsatzwillen aller Mitarbeiter angetan und bot an, jederzeit wieder nach Kassel zu kommen, er würde sich auch dafür Urlaub nehmen. Doch ging meine Planung mit den Bananenkisten nicht auf. Gerade die großen Männchen, die wir damals noch hielten, befreiten sich unerwartet schnell aus den Kisten und suchten höher gelegene Ruhebretter auf. Dort torkelten sie umher, so dass ein Runterfallen vorstellbar war und nicht ausgeschlossen werden konnte. Im Nachhinein hatten wir in Kassel nicht die geeigneten Voraussetzungen für diese Untersuchung, hier wären viel kleinere Haltungskäfige Voraussetzung gewesen. Wir haben zwar kein einziges Individuum durch dieses Experiment verloren, doch schien mir eine Wiederholung der Prozedur nicht vertretbar zu sein.
Gewissermaßen „entschädigt“ wurden wir durch die Ergebnisse dieser Untersuchung ([288]). Unsere hochrangigen Individuen hatten eine signifikant niedrigere ACTH-Sekretion. Wir hatten Anschluss an die Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Stephen J. Suomi gefunden. Neben der ACTH-Sekretion untersuchten wir auch diejenige von Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin.98 Nach der Cortisolsekretion konnten wir ebenfalls Ranghohe und Rangniedrige unterscheiden, die ranghohen Individuen hatten eine signifikant höhere Cortisolsekretion, nämliches galt für die Adrenalin- und Noradrenalinsekretion, doch ließen sich letztere Unterschiede nicht sichern.
Eine Wiederholung des Experimentes war - wie schon gesagt - unter unseren Haltungsbedingungen nicht ratsam. Ich hatte aber während eines USA-Aufenthaltes auch die Freianlagen des Yerkes RPRC, Atlanta, Georgia, besucht, wo u. a. Rhesusaffen in fußballfeldgroßen Gehegen gehalten wurden. Hier demonstrierte mir Irwin S. Bernstein seine Form der Blutentnahme.



Abbildung 14.92: Rhesusaffen Macaca mulatta auf ihrer Freianlage




Abbildung 14.93: Rhesusaffen Macaca mulatta warten auf den Zugang zur Innenanlage.


Er ging in die Innenanlage, öffnete ein Fenster zum Außengehe und rief „Come in“. Wie von Geisterhand gesteuert rannten alle Rhesusaffen in die Innenanlage, sprangen dann sukzessive in einen Gitterkäfig, streckten ein Bein zur Blutentnahme heraus und suchten dann wieder das Außengelände auf. Meine Mitarbeiterin Cornelia Schäfer-Witt und ich beschlossen daher, den Versuch zu machen, auch unsere Javanermakaken zu trainieren.99
Ich ließ ([251]) in den Zentralen Werkstätten der Universität einen fahrbaren Tunnel bauen, der in jedem der Haltungsgehege installiert werden konnte. Die Haltungsgehege konnten, wie schon in Kapitel 12 beschrieben, in zwei Abteilungen geteilt werden. Wir sperrten die Gruppenmitglieder in Abteilung A und gaben ihnen die Möglichkeit, das Innengehege durch den offenen Tunnel in das Außengehege zu verlassen.100 Innerhalb von Minuten verließen alle Gruppenmitglieder das Innengehege über diesen Weg. Am folgenden Tag wiederholten wir dieses Experiment. Nun verließen alle Affen das Innengehege innerhalb weniger Sekunden. Am dritten Trainingstag verschlossen wir den Tunnel nach außen (der horizontale Schieber wurde geschlossen), nun betrat keiner der Makaken diesen. In den folgenden Stunden musste ich jedes Individuum, auch Majo und Max, einzeln mit dem Netz einfangen und durch den Verbindungschieber in den Tunnel frei lassen. Hier verschloss Cornelia Schäfer-Witt den Tunnel und gab anschließend den Weg nach außen frei. Einen weiteren Tag später suchten fast alle Affen den verschlossenen Tunnel auf. Nur wenige mussten erneut eingefangen werden. Am fünften Trainingstag war das Tunnelaufsuchen Routine. Am sechsten Tag lernten sie, im Tunnel separiert zu werden, am siebenten, dass Blutentnahme unproblematisch ist, sie mussten nur ein Bein durch das Gitter stecken. Naturgemäß dauerte es etwas Zeit, bis allen Tieren Blut abgenommen werde konnte. Einige wehrten sich. Da aber das mittlere Abteil als Zwangskäfig konstruiert war, konnten wir ein Bein greifen, ohne Gefahr für die menschlichen Betreuer. Wir erreichten also sehr schnell unser Ziel, Blutentnahmen ohne Betäubung durchführen zu können.



Abbildung 14.94: Skizze des Tunnels




Abbildung 14.95: Die Makaken warten in dem Tunnel auf das Öffnen des Zuganges zum Außengehege.




Abbildung 14.96: Trainierte Makaken kooperieren.




Abbildung 14.97: Sie ermöglichen die Blutentnahme ohne Einfangstress und Betäubung.


Dabei gewannen wir sogar den Eindruck, dass unsere Makaken das Handling mochten, besonders auffällig war dies bei den „peer“ aufgezogenen Individuen, sie schienen den Kontakt zu den Menschen zu genießen. Die Blutentnahme selber belastete unsere Makaken nicht, was auch verständlich ist, ist doch der ihnen zugefügte milde Schmerz nicht zu vergleichen mit dem täglichen Stress bei dem Umgang mit Artgenossen. Probleme entstanden nur bei Änderungen der Routine. Unsere Prozedur, die ich in Unterkapitel 14.12 ausführlicher beschreibe, war nämlich die folgende: Wir installierten den Gang nur im mittleren Gehege. Insofern mussten die Makaken mehrere Innen- und Außengehehe durchqueren, bevor sie in ihr Innengehege zurück gelangten. Gaben wir ihnen nach dem Entfernen des Tunnels die Gelegenheit, direkt in ihr Gehege zurückzukehren (ohne Umweg über das Außengehege), wirkten sie verzweifelt und gestresst. Wir lernten, dass es geboten ist, auf jegliche unnötige Änderung der Routine zu verzichten.
Die Blutentnahmen für die Analyse der Hormondaten an den nicht betäubten Affen übernahm Michael Herzog, bei der Aufarbeitung der Proben für die Analyse wurde er unterstützt durch Marburger Co-Doktoranden. Cornelia Schäfer-Witt und ich „stellten“ sozusagen nur das Bein der jeweiligen Individuen zur „Verfügung“, übernahmen also alle Trainingsaufgaben.
Die Analyse der Daten überraschte uns, erneut konnten wir zwar die ranghohen und die rangniedrigen Individuen eindeutig nach der Hormonsekretion der Hypophysen-Nenennieren-Achse unterscheiden, doch erhielten wir entgegengesetzte Resultate, die ACTH-Werte der Ranghohen waren signifikant höher als bei den Rangniedrigen, bei der Cortisol-Sekretion hingegen lagen die Cortisol-Werte der Rangniedrigen signifikant über denen der Ranghohen. Erneut ergab die Analyse der Adrenalin-und Noradrenalin-Sekretion keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Sozialgruppen. In beiden Experimenten (betäubte und nichtbetäubte Individuen) waren die Mittelwerte der Ranghohen bei Adrenalin und Noradrenalin höher als bei den Rangiedrigen, die hohe Streuung der Daten erlaubte aber keine Sicherung dieses Befundes.
Wir haben daher die Individualwerte genauer betrachtet und konnten erkennen, dass bei beiden Experimenten die jeweiligen Alpha-Weibchen signifikant höhere Werte hatten als die übrigen Weibchen ihrer jeweiligen Gruppe. Das gleiche galt für Majo und Max, bei denen uns nur die Werte als unbetäubte Individuen zur Verfügung standen. Die hohen Werte der Alpha-Tiere waren für die Streuung der Werte verantwortlich.
Nach unseren vorläufigen Befunden ist die Hypothese erlaubt, dass sich der „Geburtsrang“, also die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Hochrangigen und der Niederrangigen an der Sekretion von Cortisol und ACTHstichACTH festmachen lässt, der aktuelle Rang - unabhängig von den unterschiedlichen Persönlichkeiten - manifestiert sich in der Adrenalin- und Noradrenalin-Sekretion.
Die Unterschiede zwischen beiden Experimenten scheinen uns leicht erklärbar zu sein. Die niederrangigen Individuen haben per se eine höhere Cortisol-Sekretion als die hochrangigen. Unter Stressbedingungen müssen letztere ihren Cortisolspiegel erhöhen (über erhöhte ACTH-Sekretion), haben sie diese erreicht, fällt die ACTH-Sekretion via Rückkoppelung rapide ab. Zum Ende dieser Phase haben wir bei dem ersten Experiment das Blut bei den betäubten Individuum entnommen, was die niedrigere ACTH-Sekretion der Hochrangigen bei dem ersten Experiment hinreichend erklärt.
Darüber hinaus fanden wir generell bei dem Vergleich der betäubten und unbetäubten Individuen, dass die Betäubung vermutlich erheblichen Einfluss auf die Adrenalin-Sekretion hat, die Betäubung reduziert - nach unseren Daten ([288]) - offensichtlich die Adrenalin-Sekretion erheblich.
Zum Zeitpunkt der Experimente lebten in unserer Kolonie auch die Mütter unserer Alpha-Männchen, Mecki und Alba, diese testeten wir ebenfalls, beide jeweils über eine Stunde, Blutproben entnahmen wir 5, 10, 20, 30, 40, 50 und 60 Minuten nach Betreten des Ganges.101 Die Cortisol-Sekretion war bei Mecki zu Beginn niedriger als bei Alba, die ACTH-Sekretion nahm bei der zweiten Probe (10 min) rapide zu und klang dann (ab der vierten Probe (30 Minuten) sukzessive ab. Zum möglichen Einfluss des aktuellen Ranges belegte Mecki durchgängig eine höhere Adrenalin und Noradrenalin-Sekretion als Alba. Die Daten beider Weibchen schlossen also nahtlos an die Werte der unbetäubten Javanermakaken an.
Wir hatten durch unsere vorläufigen Resultate ([288]) die Basis für zukünftige Forschungsvorhaben geschaffen und in der Primatenstation auch die teure apparative Ausstattung für die Aufbereitung der Proben installiert. Zu den geplanten Folgeuntersuchungen (an handaufgezogenen Individuen) und Absicherungen der Ergebnisse ist es aber aufgrund der Schließung der Primatenstation nicht mehr gekommen.

14.12 Training und Lernen

14.12.1 Motivation des Versuchsvorhabens

In Unterkapitel 14.11 habe ich belegt, dass Javanermakaken leicht zu trainieren sind, einen Zwangskäfig aufzusuchen. Die einzige Belohnung, die unsere Makaken erhielten, war der Zugang zu den Außengehegen. Die von mir ursprünglich verfolgte Idee, die Makaken durch Futtergaben in den Tunnel zu locken, funktionierte nicht, alle Makaken lehnten Futtergaben im Gang ab.102 Wir konnten selbst Blutentnahmen problemlos bei in der Gruppe lebenden Tieren vornehmen und mussten diese nicht mehr betäuben.103 Die Makaken merkten sich unser Vorgehen. Einmal trainiert, beherrschten sie dieses auch Monate oder Jahre später. Zudem suchten alle in der Gruppe geborenen Jungtiere, die das Training am Bauch ihrer Mutter erfahren haben, den Gang auch als selbstständige Jungtiere, als subadulte und adulte Individuen freiwillig auf. Wir hatten also gezeigt, dass das Leben in größeren Sozialgruppen keineswegs individuelle Applikationen verhindert, dies schien uns ein wichtiger Meilenstein auch für die gesellige Haltung von typischen Versuchsaffen zu sein.
Doch scheidet die gesellige Haltung von Makaken für alle Versuchsvorhaben aus, bei denen die Versuchstiere kontrolliert bestimmte Dosen eines Medikamentes zu sich nehmen müssen, das hierarchische Sozialsystem verhindert, dass alle Individuen die richtige Dosierung bekommen. Auch generell ist die orale Gabe von Medikamenten schwierig, was jeder Halter von Tieren nur zu gut erfährt, noch schwieriger als bei dem eigenen Haustier (Hund oder Katze) ist dies bei Makaken, bewahren sie doch angebotene Tabletten in ihren Backentaschen (s. o.) auf und spucken sie möglicherweise später wieder aus (s. u.). Insofern stellt die orale Applikation von Medikamenten bei Makaken für den Experimentator sich als schwierige Aufgabe dar.
Eigentlicher Auslöser für unser Forschungsanliegen war ein Fernsehbericht zur Aufdeckung von angeblichen „Untaten“ bei Tierversuchen. Lachende Forscher hielten an einer Kette mit einem Halsband gesicherte Javanermakakenkinder fest, fixierten den Kopf des Versuchsaffen mit den Händen und führten in den offenen Mund eine Pistole ein. Sie schossen sozusagen die Pille in den Rachenraum. Auf ihr Vorgehen waren die Experimentatoren berechtigt stolz und demonstrierten es den Filmemachern. Sie hatten aber nicht bedacht, wie Bilder auch harmloser Versuchsvorhaben wirken können.
Gemeinsam mit meiner Doktorandin Annette Klaiber-Schuh wollte ich daher nach einer Alternative bei Javanermakaken suchen ([114]). In mehreren Kapiteln dieses Buches habe ich berichtet, dass unsere Affen am Morgen einen leckeren Brei erhalten, der die Vitamin- und Eiweißbedürfnisse unserer südamerikanischen Affen zuverlässig abdeckt. Bei den Javanermakaken war diese Gabe nicht notwendig, sie lebten gesund ohne zusätzlichen Vitamingaben. 1995 boten wir auch unseren Makaken (Majo- und Theo-Gruppe) Brei durch das Gitter an, alle Inividuen waren begeistert, sie stürzten sofort an das Gitter und aßen und leckten den Brei restelos auf. Innerhalb eines Versuchstages „lernten“ unsere Makaken in wenigen Minuten, dass der Brei lecker ist und warteten an den folgenden Tagen bereits auf uns am Vordergitter ihres Geheges.

14.12.2 Vorgehen und Datenerhebung

Prozedur

In der Abbildung gibt die Skizze des Haltungsraumes Informationen über die räumlichen Verhältnisse. Sechs Innengehege (A - F) und vier Außengehege (G - J) standen uns zur Verfügung. In den Gehegen A und B lebten Javanermakaken (Majo-Gruppe), in C und D Totenkopfaffen (Viktor-Gruppe), in E und F wiederum Javanermakaken (Theo-Gruppe). Alle Affen hatten Zugang zu Außengehegen (H, I, J). Der Tunnel wurde in Gehege C installiert. Beide Makakengruppen mussten bei diesem Versuch einen Kreis beschreiten, die Majo-Gruppe musste via C/D, E/F, J, I, H in ihr Innengehege (A/B) zurückgehen, die Theo-Gruppe via J, I, H, A/B, C/D zurück zu E/F. Zusätzlich mussten wir die Totenkopfaffen trainieren, das Außengehege G (via I, H) aufzusuchen, bevor wir mit unseren Versuchen beginnen konnten. Die Prozedur scheint kompliziert zu sein, doch verstanden alle Affen das Vorgehen sofort, die gesamte Prozedur dauerte nur wenige Minuten und wurde im Verlauf der Untersuchung immer perfekter.
Die aktuelle Versuchsgruppe (Majo- oder Theo-Gruppe) wartete im Gehege A/B. Die Individuen mussten einer nach dem anderen den Tunnel aufsuchen, eine definierte Portion Futterbrei essen und durften dann als Belohnung D, E/F aufsuchen. Auf Ruhebrettern in D sitzend, konnten sie das Verhalten ihrer Artgenossen im Tunnel beobachten.104 Der Tunnel konnte durch die Schieber a - d in drei Abteile geteilt werden, in der Mitte (2) ist die Zwangsvorrichtung, die bei diesem Versuch nicht benötigt wurde. Das jeweilige Versuchstier hatte durch Schieber S2 Zugang zu 1 und 2. Nach Betreten des Tunnels wurde Verbindungsschieber a geschlossen, der Brei in 3 deponiert, danach hatte das jeweilige Inividuum durch Öffnen von c Zugang zum Brei, zudem wurde b geschlossen. Dann begann das eigentliche Experiment.



Abbildung 14.98: Skizze des Tunnels



Abbildung 14.99: Skizze des Haltungsraumes


Zur Datenerhebung stoppten wir die Zeit
- vom Öffnen des Tunnels bis zum Aufsuchen des Tunnels durch eines der Individuen (d. h. Öffnen des Schiebers a bis Schließen des Schiebers a);
- vom Öffnen des Schiebers c bis zum Öffnen des Schiebers d (d. h. die Zeit, die das jeweilge Individuum benötigte nach dem Zugang zum Brei bis zur Aufnahme des Breies bzw. bis zum Ende des Experimentes (s. u.));
- die alle Individuen der jeweiligen Gruppe insgesamt benötigten;
- für die gesamte Prozedur.

14.12.3 Experimentelles Vorgehen


Tabelle 14.21: Teilabschnitte des Experimentes
----------------------------------------------------------
-Phase---------------------Brei------------Trainingstage---
 Trainingsphase                                 17
 Lernphase  1              unver andert         11
                                 ¨
 Lernphase  2              unver ¨andert         81
 Experimentelle Phase  01  Glukose               5
 Experimentelle Phase  02  Farbe                 5
 Experimentelle Phase  03  Salz                  5

 Experimentelle Phase  04  Panacur              10
 Experimentelle Phase  05  Metronidazol          5
 Experimentelle Phase  06  Kontrolle             2
 Experimentelle Phase  07  Kapsel                3
 Experimentelle Phase  08  Kontrolle             3

 Experimentelle Phase  09  Tetracyclin           5
 Experimentelle Phase  10  Kontrolle             3
 Experimentelle Phase  11  Kontrolle             4
 Experimentelle Phase  12  Panacur              10
----------------------------------------------------------

Das aktuelle Experiment endete für jedes Individuum nach der kompletten Breiaufnahme oder - in dem Fall, in dem das Individuum es ablehnte, den Brei zu essen, in der Lernphase 1 nach 10 min und in der Lernphase 2 (bzw. auch bei allen weiteren Experimenten) nach 5 Minuten.
Nach den zwei Lernphasen (vgl. Tabelle 14.21) boten wir in zwölf Experimentalphasen den Brei sechs verschiedenen Zusätzen an. Wir änderten den Geschmack, durch Zusatz von Glukose (Phase 1) oder Salz (Phase 3), und die Farbe (Phase 2). Zudem fügten wir drei verschiedene Medikamente hinzu. In der Regel dauerten die Experimente 5 Tage. Panacur (Panacur enthält Fenbendazol) boten wir entsprechend der vorgeschlagenen Behandlungsdauer für jeweils 10 Tage an.105 Zusätzliche Phasen mit unverändertem Breiangebot dienten als Kontrolle (Phase 6, Phase 8, Phase 10, Phase 11) oder wurden durchgeführt, um eine andere Art der Behandlung zu testen (Phase 7).

Ergebnisse

Trainingsphase Ohne Anbieten von irgendeiner Futterbelohnung trainierten wir die beteiligten Javanermakaken und Totenkopfaffen - wie oben beschrieben - siebzehn Tage lang. Alle Affen kooperierten, der Zeitaufwand für die gesamte Umsetzprozedur reduzierte sich kontinuierlich. Nachdem wir zur Überzeugung gelangt waren, die Prozedur ließe sich unmöglich weiter verkürzen, begannen wir mit den Lernexperimenten. Unabhängig von diesem Training boten wir den Javanermakaken nach dem Abschluss des Trainings unseren Experimentalbrei in den Innenanlagen an. Wir gewannen den Eindruck, dass alle Javanermakaken den Brei mochten und vor ihrem gewöhnlichen Futter präferierten. Hierdurch konnten wir sicher sein, dass der Brei - zumindest theoretisch - eine attraktive Belohnung sein könnte.

Lernphase 1 Während der Lernphase 1 folgten wir dem eigentlich von uns geplanten Vorgehen. Alle Individuen sollten einer nach dem anderen den Brei im Tunnel essen, hierzu hatten sie zehn Minuten Zeit. Danach wurden sie „entlassen“. Die „Bestrafung“ war also der Aufenthalt im Gang, die „Belohnung“ das Freilassen. Eigentlich unerwartet löste nur eines der Makakenweibchen die Aufgabe.
Allein für das Warten im Gang (10 Minuten pro Individuum) benötigten wir 140 Minuten, für das komplette Tainingsprogramm ca. drei Stunden. Dieser Zeitaufwand schien uns für die nichtmenschlichen und menschlichen Primaten, die am Experiment beteiligt waren, zu hoch zu sein, daher reduzierten wir ab der 2. Lernphase die Aufenthaltszeit im Gang auf 5 Minuten pro Individuum.
Man könnte nun annehmen, die Makaken verstanden die Aufgabe nicht. Diese Annahme ist aber - zumindest für einige Affen - falsch, vielmehr weigerten sie sich, zu kooperieren.106 Sicher war der Lernerfolg auch so gering, weil alle Tiere gut gefüttert waren. Hungrige Affen hätten möglicherweise anders reagiert. Doch war wesentliches Ziel des Experimentes, jegliches Leid zu vermeiden. Zudem ist die Annahme erlaubt, dass Hunger keinen positiven Effekt für gesellig lebende Primaten hat, er dürfte eher agonistisches Verhalten hervorrufen, besonders bei hierarchisch organisierten Gruppen, wie bei den Sozialgruppen der Javanermakaken.

Lernphase 2 Während der 2. Lernphase reduzierte sich sukzessive der Zeitaufwand für das gesamte Versuchsvorhaben von zwei Stunden auf weniger als eine Stunde. Die 81 Versuchstage verteilten sich auf einen Zeitraum von 6 Monaten, unterbrochen wurden unsere Sitzungen gelegentlich über einen Zeitraum von zwei Tagen bis zu zwei Wochen. Offensichtlich hatten diese Unterbrechungen keinen Einfluss auf den Lernerfolg, wie aus den Abbildungen der individuellen Lernkurven, die in der diesem Unterkapitel zugrunde liegenden Publikation ([114]) angegeben sind, leicht ersichtlich ist. In der Majo-Gruppe hatten alle Individuen nach 27 Versuchstagen gelernt, was von ihnen erwartet wurde. Für das vollständige Aufessen des Breies benötigten sie weniger als eine Minute. Im offensichtlichen Gegensatz zu Majo, der nach der Lernkurve offensichtlich uns und das Versuchsvorhaben testete, mal aß er den Brei innerhalb weniger Sekunden, mal überhaupt nicht, hatten seine Weibchen das Vorgehen nicht sofort verstanden, sie wollten offensichtlich aus dem Tunnel raus und entwickelten „abergläubiges“ Verhalten. Z. B., einmal freigelassen nach Beißen in das Gitter des Tunnels, versuchten sie nach Betreten des Ganges durch Beißen an verschiedenen Stellen den „Schlüssel“ zum Öffnen zu finden. Sie mussten also als erstes lernen, dass ihr Verhalten zwecklos und unnötig ist. Erst nach diesem Lernen begannen sie den Brei zu kosten und zu essen. Von dem Tag an, an dem sie gelernt hatten, dass das völlige Aufessen des Breies der „Schlüssel“ ist, kooperierten sie zuverlässig und schnell.



Abbildung 14.100: Majo weigerte sich anfänglich zu kooperieren.




Abbildung 14.101: Majo löste die Aufgabe später in Sekunden.




Abbildung 14.102: Mutter mit Kind bei dem Lösen der Aufgabe




Abbildung 14.103: Die Makaken beherrschen auch diese Aufgabe.


In der Theo-Gruppe waren individuelle Unterschiede auffällig, fünf Tiere (Theo, Christa, Cora, Sonja und Julia) zeigten den Mitgliedern der Majo-Gruppe vergleichbares Verhalten, doch dauerte das Erreichen der Kannphase bei Cora, Sonja und Julia länger. Die anderen fünf Weibchen wichen von diesem Lernprozess erheblich ab. Ein Weibchen - Maria - verstand nach unseren Protokollen die Aufgabe vom ersten Tag an. Doch ist es korrekter, zu sagen, sie musste die Prozedur nicht lernen. Zwar zeigte sich eindeutig, dass sie irgendwann auch das Vorgehen gelernt haben muss, doch können wir bei Maria den Zeitpunkt nicht angeben. Elke und Jutta hatten offensichtlich große Probleme, die Aufgabe zu lernen. Sie kooperierten mehr oder weniger zufällig und benötigten 60 bis 80 Tage (Lernphase 2), um die Kannphase zu erreichen. Die letzten beiden Weibchen, Sophie und Ilse, lernten die Aufgabe nie richtig. Dabei aß Sophie zwar die gesamte Portion auf. Nach Betreten des Tunnels griff sie in der Regel den Brei sofort mit einer Hand, wartete dann mehr oder weniger bewegungslos die fünf Minuten ab, nahm den Brei nach dem Freilassen mit sich und aß ihn geruhsam auf. Bewegungslos im Tunnel zu warten, war auch typisch für Ilse, doch berührte Ilse noch nicht einmal den Brei.107
Die Unterschiede zwischen beiden Gruppen waren offensichtlich, das Training der Individuen der Majo-Gruppe war nach 27 Tagen (Lernphase 2) abgeschlossen, der Trainingserfolg bei der Theo-Gruppe blieb unbefriedigend bis zum Ende der Lernphase 2. Doch nach dem Erreichen der Kannphase durch Julia am 76. Trainingstag verzichteten wir nach fünf weiteren Trainingstagen auf unser Ziel, restlos alle Makaken von der Kooperationsnotwendigkeit zu überzeugen, und begannen die 12 Experimentalphasen (Tabelle 14.21).

Experimentalphasen Zur Überprüfung des Einflusses unserer Experimente wählten wir die letzen 10 Trainingstage der Lernphase 2 als erste Kontrolle. Offensichtlich hemmte nur Metronidazol, dieses Medikament hat einen extrem bitteren Beigeschmack, die Akzeptanz des Breies.108 Dieses Ergebnis veranlasste uns, in der Experimentalphase 7 die Akzeptanz einer in dem Brei verborgenen Kapsel zu testen. Dieses Experiment schlug fehl. Am dritten und letzten Trainingstag der Kapselphase hatten fast alle Makaken gelernt, den Brei vollständig zu essen, die Kapsel aber entweder vor oder nach dem Freilassen auszuspucken. Einige Tiere aßen dann die ausgespuckte Kapsel zusätzlich auf. Kein Individuum nahm diese mit dem Brei auf, wie von uns erhofft.
Insgesamt benötigten wir für die Theo-Gruppe viel mehr Zeit als für die Majo-Gruppe, wobei dieser Unterschied vor allem auf das Verhalten der jeweiligen Alpha-Männchen zurückgeführt werden kann (s. u.). Vernachlässigen wir den Zeitaufwand für die gesamte Prozedur und bertrachten nur die Zeit im Gang, benötigte ein Individuum im Mittel etwa eine Minute, um die Aufgabe zu lösen. Differenzieren wir nach den Gruppen, benötigten die Individuen der Majo-Gruppe nur wenige Sekunden, die Individuen der Theo-Gruppe mehr als eine Minute, um den Brei aufzuessen.

Zusätzliche Ergebnisse

Lernen durch Beobachten Wie bereits erwähnt konnten die Makaken ihre Artgenossen im Tunnel beobachten. Abhängige Kinder betraten den Tunnel am Bauch ihrer Mutter. Weder das Beobachten der perfekten Lösung der Aufgabe noch die Erfahrung, dass die eigene Mutter, den Brei gegessen hat, um den Tunnel zu öffnen, hatte einen Einfluss auf die Lernleistung des beobachtenden oder passiv teilnehmenden Individuums. Jeder Makake musste die Prozedur selber lernen. Das Aufsuchen des Ganges hingegen wurde von den passiv sich beteiligenden Jungtieren „mitgelernt“, sie hatten bei zunehmender Selbständigkeit keine Probleme, den Gang allein aufzusuchen. Zum Lernen durch Imitation waren die Javanermakaken nicht in der Lage.

Freiwillige Ausbildung einer Reihenfolge Ein weiteres wichtiges Ergebnis war das Faktum, dass die Makaken eine mehr oder weniger feste Reihenfolge bei dem Aufsuchen des Tunnels entwickelten. Dieses Phänomen erschwerte (Theo-Gruppe) oder erleichterte (Majo-Gruppe) die Durchführung unserer Experimente. In der Majo-Gruppe startete Majo (1) das Aufsuchen des Ganges, gefolgt von Laura (2), Meike (3), Charlotte (4) und Hanne (5). Nachdem das Alpha-Männchen den Tunnel aufgesucht hatte, waren seine Weibchen hoch motiviert, ihm zu folgen. Probleme traten nur auf, wenn eines der Weibchen vor Majo den Tunnel aufsuchte. In solchen wenigen Fällen versuchte Majo aktiv, den verschlossenen Tunnel aufzusuchen, das eingeschlossene Weibchen wirkte nervös und braucht längere Zeit, um den Brei zu essen.
Weitaus komplizierter gestaltete sich das Aufsuchen des Tunnels in der Theo-Gruppe. Normalerweise starteten Christa oder Sophie ohne Probleme. Beide wollten den Tunnel als erste aufsuchen, besonders motiviert war Sophie, unabhängig von der Tatsache, dass sie die Aufgabe nicht löste oder nicht lösen konnte (s. o.). Sophie suchte aber den Tunnel stets langsam auf, so dass andere Weibchen (Christa oder Sonja) sie „überholen“ konnten. Nach Christa und Sophie folgten Sonja, Elke und Maria in wechselnder Reihenfolge. Danach stoppte das Prozedere bis Theo den Tunnel aufgesucht hatte. Als Regel suchte keines der weiteren Weibchen den Tunnel vor Theo auf. Theo jedoch beschränkte sich häufig auf das Sitzen im Schieber, das Hineinsehen in den Tunnel und suchte erst einmal ein Ruhebrett auf. Manchmal benötigte er allein für das Betreten des Tunnels bis zu zehn Minuten. Nach ihm folgten Julia und Jutta sehr schnell. Cora und Ilse waren immer die letzten Mitglieder der Theo-Gruppe, die den Gang betraten. Die Tatsache, ob die jeweiligen Individuen die Aufgabe gelernt hatten oder nicht, hatte offensichtlich keinerlei Einfluss auf diese Reihenfolge.

14.12.4 Diskussion

Wie bereits in Unterkapitel 14.11 aufgezeigt, kooperieren Javanermakaken sehr gut bei dem Trainieren, sie scheinen sogar das Training zu schätzen, zumindest nicht als Belastung zu empfinden. Es mag unerwartet sein, dass unsere Makaken bereitwilliger bei invasiven Forschungsvorhaben kooperierten als bei den in diesem Unterkapitel beschriebenen nichtinvasiven Versuchen. Vergegenwärtigen wir uns die Probleme des Individuums im Tunnel, wird dieses Ergebnis erklärbar. Unsere Makaken wollten den Tunnel wieder verlassen (und ihr vertrautes Gehege aufsuchen), sie waren also nicht motiviert zu essen, selbst dann nicht, wenn das angebotene Essen eigentlich präferiert war. Die Situation in unserem Experiment, die Makaken werden in einen kleinen Käfig gesperrt und nichts passiert, ist sicherlich stressiger als unser invasives Handling (Unterkapitel 14.11). Als erstes muss jedes Individuum lernen, dass es keine Belastung ist, eine bestimmte Zeit in diesem Käfig zu bleiben, und es muss lernen, dass es keine Chance gibt, sich diesem Aufenthalt aktiv zu entziehen. Nach diesen „Lernerfolgen“ beginnen sie mehr oder weniger zufällig, den angebotenen Brei zu kosten und auch zu essen. In dieser Phase - zu Beginn des Versuchsvorhabens - machten wir Experimentatoren einen Fehler, wir belohnten schon das Berühren des Breies durch Freilassen. Als Konsequenz aus diesem Fehler, begannen die belohnten Individuen irgendetwas mit dem Brei zu machen (außer Essen), z. B. verteilten sie diesen an den Wänden des Tunnels. Wir lernten aus diesen Beobachtungen, dass es besser ist, nur die vollständige Nahrungsaufnahme zu belohnen. In dem Moment, in dem sie die Aufgabe verstanden hatten, begannen die Tiere sofort nach Betreten des Tunnels zu essen.
Unsere Versuchstiere mussten drei Dinge in Folge lernen. (1) Der Aufenthalt im Tunnel ist ohne Belastung, (2) es ist erlaubt, im Tunnel zu essen, und (3) nach dem Aufessen des Breies erfolgt die Freilassung. Hätten wir unser Experiment mit hungrigen Versuchstieren durchgeführt, wäre das Erreichen der Kannphase sicherlich schneller erfolgt.109
Nicht unerwartet war für uns, dass die Makaken eine Reihenfolge beim Training einhielten, unerwartet war aber die strikte Einhaltung dieser Reihenfolge. Für jedes Individuum war der eigene Platz in dieser Reihe von Bedeutung. Diese Reihenfolge war unabhängig von dem aktuellen Rangplatz, vom Geschlecht und vom Alter110. Ohne jeden Zweifel belegten wir, dass die Javanermakaken in unserer Kolonie freiwillig anderen Tieren erlaubten, vor ihnen den Tunnel zu betreten, bzw. dass sie nach erst nach Betreten durch bestimmte andere Individuen diesen folgten.111

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#Javanermakaken,###halten#sie#sich##doch##f¨ur##Menschen##und##behandeln###ihre#
 ”Mitmenschen  “ wie Artgenossen.

1Javanermakaken werden von Altmeister Brehm ([12]) nicht erwähnt, er berichtet über den „gemeinen Makaken“, identifiziert diesen aber als Hutaffe, was wohl ein Fehler ist, nach Hill ([88]) war nämlich „der gemeine Makak“ der deutsche Name für unseren Javanermakaken. Nach Heck ([68]) ist er der Makake schlechthin. „Die Art, die der ganzen Gruppe den Namen gegeben hat, ist der langschwänzige Makak oder Javaneraffe ... “([68], Seite 533).

2In Indien verehren die Hindus den Affengott Hanuman, daher sind seine Nachfahren, die Hanuman-Languren Presbytes entellus, besonders geschützt. Da nun die normalen Inder - wie die normalen Deutschen - zwischen den verschiedenen Affenarten nicht differenzieren können (Affe = Affe) genießen auch die Rhesusaffen religiösen Status. Gegen das Abfangen entstehen so lokale Proteste, was die Indische Regierung bewogen hatte, den Export zu unterbinden.

3Hätte Harry F. Harlow seine berühmten Deprivationsexperimente an Indischen Hutaffen durchgeführt, hätte er den Einfluss der Deprivation auf das Verhalten nicht belegen können. Seine Experimente, die in Nordamerika und Europa zur segensreichen Änderung des Umgangs mit Waisenkindern geführt haben, wären für uns Menschen folgenlos geblieben.

4Meine Mitarbeiter und ich mochten auch unsere Makaken, nach der Geburt von Frieda (30.01.1975) und Paula (10.03.1975) demonstrierten sie täglich die sprichwörtliche „Affenliebe“ bei der Jungenaufzucht. Wir registrierten zudem ihr auffälliges Dominanzverhalten, doch investierten wir absichtlich keine Zeit in das Beobachten der Tiere. Zum einen war das Verhalten der Makaken nach meinem damaligen Wissensstand umfänglich beschrieben und bekannt, zum anderen entwickeln Beobachter enge emotionale Beziehungen zu ihren Tieren, diese wollten wir nicht entstehen lassen, waren doch die Makaken für anatomische und experimentelle Forschungsanliegen bestimmt.

5Den Lesern meines Buches wird auffallen, dass die Qualität der Arbeit an Javanermakaken sich von der an den bisher besprochenen Arten unterscheidet. Bei den anderen Arten bemühten wir uns, durch unsere Versuchsvorhaben möglichst wenig in das Sozialleben einzugreifen. Wir wollten grundlegende Fragen der Haltung klären (Haltungsexperimente) und versuchen, Zuchtkolonien aufzubauen. Bei den Javanermakaken hingegen führten wir gezielte Experimente zur Klärung noch offener Forschungsfragen durch.

6Klaiber, A.: Der Einfluß der Gruppenstruktur und der Käfiggröße auf das Verhalten des Individuums bei dem Javanermakaken Macaca fascicularis, 1994.

7Engelhardt, R.: Die sozialen Interaktionen im 6. Lebensmonat bei handaufgezogenen Javanermakaken Macaca fascicularis. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Mittelstufe und die Oberstufe. Kassel, 29. April 1985.

Erbarth-Fischer, M.: Die Entwicklung handaufgezogener Javanermakaken Macaca fascicularis während des ersten halben Lebensjahres unter besonderer Berücksichtigung der Entstehung des sozialen Beziehungsgefüges. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Mittelstufe und die Oberstufe. Kassel, 14. Oktober 1985.

Fiege, C.: Das Verhalten von in einer „peer“-Gruppe aufgezogenen Javanermakaken Macaca fascicularis während des dritten Lebenshalbjahres. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Mittelstufe und die Oberstufe. Kassel, 23. September 1986.

Sobisch, E.: Zum Präferenzverhalten von „peer“-aufgezogenen Javanermakaken Macaca fascicularis. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Mittelstufe und die Oberstufe. Kassel, April 1987.

8Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1985 publizierten Beitrag ([246]).

9Heute bin ich überzeugt, dass es Freundschaften bei Makaken überhaupt nicht gibt, die Freundschaften sind vielmehr strategische Beziehungen zu dem theoretisch und praktisch für das Individuum gefährlichsten Sozialpartner, dem Rangnachbar. Dieser muss kontrolliert werden, am einfachsten durch enge Sozialkontakte (Kontaktsitzen und Beziehungen gegenseitiger sozialer Körperpflege). Mehrfach musste ich über die Jahre beobachten, dass zwei über viele Monate scheinbar enge „Freundinnen“ plötzlich und für uns unerwartet sich massiv bekämpften. Kurz nach dem Kampf waren die engen Beziehungen zwischen den „Freundinnen“ wieder erneut monate- oder jahrelang beobachtbar, doch hatte zwischen den Individuen ein Rangwechsel stattgefunden.

10Ein unbeabsichtigtes Ergebnis war, dass alle Makaken-Kinder sich bevorzugt in dem engen Verbindungsgang dichtgedrängt aufhielten. Der Gang war der höchste Ort der Anlage (auch alle anderen Makaken in der normalen Haltung bevorzugten höher angebrachte Ruhebretter), zudem wohl auch der interessanteste, von hieraus konnten sie jeden eintretenden Besucher und mich und meine Mitarbeiter am Schreibtisch beobachten.

11Während der jahrelangen Aufzucht wechselten auch die studentischen Mitarbeiter. Unsere Makakenkinder differenzierten zwischen Studenten, die vor ihnen präsent waren und solchen, die nach ihnen das Versuchsvorhaben begleiteten, jene wurden als ranghöher behandelt, diese als rangniedriger. So konnte es meinen engagierten Mitarbeitern passieren, dass sie bei Eintritt „ranghöherer“ Mitarbeiter plötzlich von den kleinen Makakenkindern angegriffen und gebissen wurden. Ich hatte das Glück, dass mich mit Ausnahme von Laura, die offensichtlich meine Mitarbeiterin Cornelia Schäfer-Witt als ranghöher einschätzte, alle Makakenkinder als „ranghöher“ einstuften, ich wurde also von Bißattacken verschont.

12Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1980 publizierten Beitrag ([275]).

13Für die Haltung und Beobachtung der Tiere standen fünf Innenkäfige zur Verfügung. Zu Beginn der Versuche waren Nikita, Vanda und Vera in Käfig 1 (1,20 m x 3,00 m x 2,50 m), Vema, Vau, Blonda, Jungfrau und Zita in Käfig 2 (1,20 m x 1,80 m x 2,50 m) und Alba, Dua, Stirni, Mecki und Omega in den Käfigen 3 - 5 (1,20 m x 1,00 m x 2,50 m) untergebracht. Nach Fusion aller Tiere dienten die Käfige 1 und 2 ausschließlich zur Haltung der Gesamtgruppe, während die Käfige 3 - 5 auch zur vorübergehenden Separierung einzelner Tiere genutzt wurden. Alle Käfige waren durch Schieber (50 cm x 50 cm) miteinander zu verbinden. Seit Oktober 1975 standen den Tieren noch zusätzlich ein Außengehege zur Verfügung. Die Käfigeinrichtung besteht aus Holzbrettern und Holzleitern. In den Haltungsraum fiel Tageslicht, zusätzlich wurde er täglich von 7.00 - 19.00 Uhr über eine Schaltuhr mit Neonlampen beleuchtet. Der Haltungsraum war vollklimatisiert, seine Temperatur schwankte dabei systematisch von 23 Grad C - 27 Grad C (relative Luftfeuchtigkeit 60 - 70 %). Das Außengehege stand den Tieren unabhängig von der Außentemperatur von 8.00 - 19.00 Uhr zur Verfügung.

14Aus den Beobachtungen ergab sich die Dominanz, z. B. (1) A und B sitzen auf einem Brett, A holt sich das Futter, geht zurück auf das Brett und frisst, B bleibt sitzen, d. h. A ist dominanter als B; (2) A und B sitzen auf dem Brett, A holt sich das Futter, flieht oder bleibt auf dem Boden sitzen, B droht bzw. verfolgt A, d. h. B ist dominanter als A.

15Dies korrespondiert Kummers „Regel 4“: „A dyad can be reduced to lower stages under the influence of other conspecifics....“ ([117], Seite 136).

16Er bedrohte diejenigen Weibchen, die Anstalten machten, ein im Hintergrund des Käfigs angebrachtes Ruhebrett zu verlassen.

17Dabei bedrohte er auch gelegentlich das neue Weibchen bedrohend, bzw. griff nach ihm.

18Vera war einer der Versuchsaffen von Werner Meinel. Eigentlich sollte sie perfundiert werden, doch konnte ich Werner Meinel überzeugen, dass für sein Experimentalziel, das Einwachsen künstlicher Zahnwurzeln zu untersuchen, das Töten von Vera keine zwingende Voraussetzung war, eine Teilamputation des Unterkiefers lieferte hinreichende Resultate.

19Diese Alpha-Position behielt Vanda dann über mehr als ein Jahrzehnt unangefochten (vgl. Unterkapitel 14.9).

20Dann stürmen die übrigen Gruppenmitglieder herbei und packen sich schnellstmöglich beide Backentaschen - ein Merkmal des Genus Macaca - voll und fliehen auf eines der oberen Ruhebretter, um in Ruhe zu essen. In den Backentaschen ist die Nahrung in der Regel sicher aufbewahrt. Nur Vanda stahl regelmäßig Futter aus dem Mund der Sozialpartner. Die Backentaschen werden von Jungtieren auch genutzt, um vermeintlich Wertvolles - wie z. B. Glasscherben - zu bewahren. Dann hat der Halter oft tagelang Sorgen, bis die Jungtiere irgenwann ihren „Besitz“ aufgeben.

21Das auf den Beobachter sehr gefährlich wirkende spielerische Beißen ist wahrscheinlich auch ein Vertrautheitstest, würde das Jungtier dem Biß entfliehen, wären erhebliche Verletzungen unvermeidlich.

22Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1982 publizierten Beitrag ([273]).

23Die Diskussion, ob in Primatengesellschaften überhaupt eine Rangordnung vorhanden ist oder ob die einzelnen Tiere nur bestimmte Rollen wahrnehmen, soll hier nicht erneut geführt werden, hierauf bin ich bereits eingegangen (vgl. 14.1).

24Wir können zwar nicht ausschließen, dass unsere Bedingungen in Menschenobhut die Ergebnisse beeinflussen, doch gibt es die unbeeinflussten Affengruppen nicht, so sind z. B. Gruppengrößen auch im Freiland oft durch Abfangen, Zufütterung u. ä. „human-dependent“. Über den Einfluss der Käfiggröße liegen unterschiedliche Angaben vor, Untersuchungen geben Hinweis darauf, dass ein engerer Raum sogar zur Reduktion agonistischen Verhaltens führen kann, „crowding“ Effekte sind also kaum nachweisbar. In jeder beobachteten Gruppe im Freiland und Labor bleiben jedoch die zwei grundsätzlichen und auch für unsere Untersuchung bestimmenden Komponenten der Makakensozietät, nämlich die Dominanzhierarchie und die „kinship relations“ unverändert erhalten, so dass bei Aussagen hierzu der Haltungseffekt vernachlässigt werden kann.

25Zusätzlich wurden die Interaktionen der Gruppe (dreißig Minuten) und die Interaktionen von zwei Einzelindividuen (jeweils fünfzehn Minuten) über eine Video-Kamera aufgezeichnet. Bei dem während unserer Experimente notwendigen gleichzeitigen Protokollieren von zwei Gruppen wurde auf das Beobachten der Einzeltiere verzichtet, stattdessen protokollierten wir die Interaktionen beider Gruppen jeweils zwei Stunden lang. Abweichend von diesem generellen Versuchsplan verzichteten wir bei den Versuchsabschnitten E.S. 3.4 bis 3.8 auf das Verschieben der Beobachtungszeit, hier fanden die Beobachtungen stets zwischen 15.00 bis 18.00 Uhr statt.

26Entscheidend änderte sich nur die soziale Position des Weibchens Mecki; diese erkämpfte sich von Juli 1976 bis Februar 1977 sukzessive den vierten Rangplatz in der Weibchenhierarchie. Strategisch nutzte sie die agonistischen Interaktionen der Alpha-Tiere aus, drohte mit diesen, biss dann die fliehenden oder „pressenden“ Tiere und erlangte, hierdurch einen höheren Rang. Mecki selber blieb dabei nicht unverletzt, zahlreiche vernarbte Platzwunden waren Zeichen dafür, dass ihr Aufstieg nicht ohne Gegenreaktion der angegriffenen Tiere erfolgte. Bereits im Januar 1977 konnten wir zudem beobachten, dass Mecki - im Zusammenhang mit gegen Vera gerichtetem agonistischen Verhalten des Alpha-Männchens - Vera gleichfalls angriff, doch konnte diese sich hier behaupten und 1977 durchgängig ihre höhere Position gegenüber Mecki halten: Erst im Mai 1978 - eventuell im Zusammenhang mit dem Verlust von Veras ältester Tochter Paula (25. 04. 1978) - erreichte Mecki die dritthöchste Rangposition innerhalb der Weibchenhierarchie. Weitere Rangänderungen in der Gruppe beschränkten sich auf minimale Verschiebungen zwischen rangbenachbarten Individuen. Blonda tauschte den Rangplatz mit Zita (und erreichte somit wieder die Position, die sie bereits einmal (bis September 1978) in der Weibchenhierarchie eingenommen hatte. Darüber hinaus gelang es Jungfrau im Frühjahr 1978, den Rangplatz mit Stirni zu tauschen.

27So bedrohte Majo bei der ersten (E.S. 1.1) und zweiten (E.S. 1.7 ff.) Separation Nikitas Orbi, bei der zweiten Separation zudem auch Berni; Tritus: Ernst und Paul (E.S. 1.7); Ernst: Orbi(E.S. 1.7); Orbi: Max (E.S. 1.9) und Protus (E.S. 1.7); Max: Protus und Paul.

28So drohte Majo: Calva (E.S. 1.9), Vera (E.S. 1.7 und 1.9), Barbara (E.S. 1.7 ff..), Alba (E.S. 1.9), Jungfrau (E.S 1.8), Christa (E.S. 1.8); Tritus: Barbara (E.S. 1.7), Jungfrau (E.S. 1.1 und 1.7); Berni: Flava (E.S. 1.1 und 1.7), Itta (E.S. 1.9); Orbi: Alba (E.S. 1.7 ff.), Jungfrau (E.S. 1.1 und 1.7), Itta (E.S. 1.1), Omega (E.S. 1.8); Max: Itta (E.S. 1.1 und 1.9), Christa (E.S. 1.8), Omega (E.S. 1.9) ; Protus: Itta (E.S. 1.8).

29Es sei jedoch bemerkt, dass Zita es bei Introduktion von Vera schaffte, durch gemeinsames Drohen mit den „künstlich Ranghohen“ die dritthöchste Position in der Gruppe nach Stirnis Tochter Itta zu erhalten. Wohl durch den Aufbau besonders enger Kontakte zu dem ranghöchsten Weibchen Stirni bereits in den ersten Tagen nach Introduktion (E.S. 2.5 ff.) erreichte sie in den vier Wochen gemeinsamer Haltung eine bessere Ausgangsposition und war außer an agonistischen Interaktionen gegenüber den später Introduzierten, besonders gegenüber Vera, nun auch an solchen gegen Jungfrau, Vau und Omega beteiligt (E.S. 2.7); zudem sei darauf hingewiesen, dass sich Vera im Gegensatz zu Barbara und Blonda nach Introduktion auch gegenüber Jungfrau durchsetzte, also mit Ausnahme von Zita gegenüber allen vor ihr in die Ausgangsgruppe introduzierten Weibchen.

30Auffallend bei den Introduktionen war das hohe agonistische Potential der rangmittleren Weibchen und ihrer Kinder. Sie drohten nicht nur den Neuintroduzierten, sondern näherten sich den widerstandslos auf dem Boden pressenden oder am Gitter hängenden Individuen, bissen diese in den Rücken, in die Arme und Augenbrauen; Verhaltensweisen, die wir sonst in der Gruppe nicht beobachten können. Es war zudem auffällig, dass adulte Weibchen adulte Weibchen, juvenile Männchen juvenile Männchen, juvenile Weibchen juvenile Weibchen und Infantes Infantes bedrohten, verfolgten und bissen. Allein Jungfrau war im Verlauf des Versuches in der Lage, sich gegenüber Stirni, dem rangniedrigsten und am stärksten bedrohtesten Weibchen dieser Gruppe, ihrem alten Rangnachbarn in der Gesamtgruppe, durchzusetzen. Die später introduzierten Omega und Vau zeigten auffällig auch kein Rangsicherungsverhalten, wie wir es für die Rangmittleren beschrieben haben.

31Es dauerte einige Tage, bis Mecki und ihre Töchter sich wieder frei bewegen konnten.

32Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1982 publizierten Beitrag ([274].

33„it even ’made things worse’ “ ([34], Seite 578.)

34In Unterkapitel 14.9 werde ich belegen, dass auch die Qualität des Alpha-Männchens von hoher Bedeutung ist.

35Dabei war ihr Interesse stets auf die Mutter eines bestimmten Jungtieren gerichtet. Es bestand dabei eine klare Tendenz, zu weiblichen Kindern länger Kontakt zu halten (Zita, Mecki), was aber nicht hinreichend gesichert ist, da nämlich gerade die beiden letzten Jungtiere weiblich waren, es also auch sein kann, dass sie - wenn jüngere Kinder nicht vorhanden sind - Kindern unabhängig vom Geschlecht auch über das Alter von 60 Tagen hinaus hohe Aufmerksamkeit schenkt.

36Neben der grundsätzlich herausragenden Position des Alpha Weibchens fiel besonders dessen enge Beziehung zum Alpha-Männchen auf. Wie wir aufgezeigt haben, ist das Alpha-Weibchen jedoch eine „Institution“, wie das Alpha-Männchen, offensichtlich unabdingbar für das Funktionieren einer Makakensozietät.

37Das besondere Verhalten unseres Beta Weibchens Frieda könnte theoretisch auch damit verbunden sein, dass Frieda in einer Sondersituation aufwuchs. Als erstes in Kassel geborenen Jungtier wurde sie, bedingt durch die soziale Stellung der Mutter, von Geburt an als hochrangig behandelt und wuchs ohne Kontakt zu anderen Jungtieren, also ohne altersgemäße Spielkontakte auf. Mit der frühkindlichen sozialen Situation wäre eventuell das besondere Verhalten hinreichend erklärt. Betrachten wir aber nun unsere Versuchsergebnisse und hier die Verhaltensweisen der Töchter der jeweiligen ranghöchsten adulten Weibchen, dann scheint es richtiger zu sein, Friedas Verha!ten als das Verhalten der Tochter des ranghöchsten Weibchens richtig zu umschreiben. Es spricht vieles dafür, dass die Tochter des Alpha-Weibchens ebenso eine Institution ist wie das Alpha-Männchen und das Alpha-Weibchen und dass sie mit diesen gemeinsam das Zusammenleben in Makakengruppen reguliert. Dies gilt natürlich nur, wenn das Alpha-Weibchen auch weibliche Nachkommen hat. Es könnte vermutet werden, dass langfristig das Halten einer Alpha-Position nur bei Vorhandensein einer Tochter und damit eines verlässlichen langfristigen Koalitionspartners möglich ist.

38Während eines Oestrus reduzieren adulte Weibchen ihre Kontakte zu anderen Gruppenmitgliedern, inklusive ihren eigenen Kindern. Da das Besteigen durch das Alpha-Männchen auch außerhalb des sexuellen Kontextes als Besitzdemonstration u. ä. erfolgt, können wir hier nur „erfolgreiche“ Oestren berücksichtigen, also Oestren, die auch später zur Geburt eines Kindes führten. Während des Beobachtungszeitraumes fielen diese Oestren in drei zeitlich getrennte Perioden, nämlich 1. Omega (E.S. 1.5); 2. Jungfrau (E.S. 2.11), Vera (E.S. 3.0), Stirni (E.S. 3.1); 3. Blonda/Zita/Barbara/Alba (E.S. 5.1 und 5.2).

39Theoretisch könnten 3 verschiedene Grundgesetzmäßigkeiten für die Präferenz juveniler Männchen verantwortlich sein, nämlich: 1. juvenile Männchen halten vornehmlich Kontakte zu juvenilen Männchen, zu deren Müttern ihre eigenen Mütter enge soziale Beziehungen unterhalten; 2. juvenile Männchen unterhalten vornehmlich Kontakte zu juvenilen Männchen der gleichen Altersstufe; und 3. juvenile Männchen unterhalten vornehmlich Kontakte zu juvenilen Männchen, deren Mütter ihren eigenen Müttern rangbenachbart sind. Überprüfen wir diese 3 Hypothesen an unseren Daten, so zeigt sich, dass nur mit der 3. Hypothese die Beziehungen der juvenilen Männchen untereinander hinreichend erklärt werden können. So hat Majo vornehmlich Kontakt zu Tritus, Berni, Ernst, Orbi; Tritus zu Majo, Berni, Ernst, und nach dem ersten Rangabfall von Vera (E.S. 2.7 ff.) auch zu Orbi, bzw. nach dem zweiten Rangabfall von Vera (E.S. 3.5 ff.) zusätzlich zu Max und Paul. Berni und Ernst unterhalten vor allem Kontakte zu Majo, Tritus, Orbi und Max, wobei - berücksichtigen wir nicht die Geschwister-Beziehungen zwischen Berni und Ernst - die zu Orbi die intensivsten sind, Orbi schließ1ich zu Majo, Berni, Ernst und Max, wobei die Kontakte zu Berni am intensivsten sind. Die Mütter der jeweiligen Männchen sind über Tabelle 14.2 zugänglich.

40So hat Calva vornehmlich Kontakt zu Flava, der Tochter der rangnächsten Tochter-Mutter und seltener zu Itta (vornehmlich nach Separierung von Zita und Flava, wo Itta als einziges juveniles Weibchen noch in der Gruppe verblieb); auffällig wenig Kontakt unterhält sie zu Christa. Flavas Beziehungen zu anderen juvenilen Weibchen lassen entsprechend der sozialen Position der Mutter im mittleren Bereich der Hierarchie keine klaren Präferenzen für bestimmte andere Tiere erkennen. Itta bevorzugte Christa vor Flava und Calva, sehen wir einmal von den intensiven sozialen Beziehungen zu Calva bei Fehlen von Christa ab. Christa schließlich hat die engsten Beziehungen zu Itta, geringere zu Flava und die geringsten zu Calva, ihre Kontakte entsprechen also auch hier der Rangposition der Mutter.

41In jeder Gruppe nimmt ein Männchen die Rolle des Alpha-Männchens, ein Weibchen die Rolle des Alpha-Weibchens und, soweit dieses eine Tochter hat, ein Weibchen die Rolle der Tochter des Alpha Weibchens wahr. Diese drei kontrollieren alleine und gemeinsam alle Interaktionen der Gesamtgruppe. Bei den übrigen Individuen der Gruppe war auffällig, dass bei Sozialkontakten Tiere des gleichen Alters und Geschlechtes anderen vorgezogen wurden, so suchten adulte Weibchen die Nähe adulter Weibchen, juvenile Männchen diejenige juveniler Männchen und juvenile Weibchen den Kontakt zu juvenilen Weibchen.

42Darüber hinaus kommt Familienbeziehungen höchste Bedeutung zu, Kinder derselben Mutter halten untereinander und mit ihrer Mutter enge Sozialkontakte, dabei ist das Geschlecht der Geschwister ohne Bedeutung. Die Kontakte zwischen Müttern und Töchtern sind intensiver als solche zwischen Müttern und Söhnen; bei den weniger engen Beziehungen zu ihren Söhnen sind die Mütter relativ häufiger aktiver Partner als bei denjenigen zu ihren Töchtern.

43Diese Gesetzmäßigkeiten werden schließlich überlagert durch die für Macaca auffällige lineare Rangordnung. Der Rang in der Gruppe geborener Jungtiere ist abhängig vom Rang ihrer Mütter, so nehmen Weibchen - unabhängig vom Alter - in Relation zu anderen Weibchen den Rangplatz wie ihre Mütter ein; der Rang der juvenilen Männchen ist darüber hinaus auch abhängig vom Alter. In jeder Altersgruppe ist der Rang der einzelnen Individuen jedoch nach dem Rang der Mütter vorhersagbar. Hauptverantwortlich für die Stabilität der Rangstruktur ist die Tendenz aller Individuen, vor allem mit rangbenachbarten Tieren enge soziale Beziehungen aufzubauen, dies gilt für adulte Weibchen, juvenile Männchen und juvenile Weibchen. Juvenile Weibchen haben zudem auch besonders enge Beziehungen zu adulten Weibchen, zu denen ihre eigenen Mütter enge soziale Kontakte unterhalten und zu Töchter-Müttern, die rangniedriger sind als die eigene Mutter. Dieses offensichtliche „Wissen“, welche Weibchen rangniedriger sind als die eigene Mutter, ist auch bei juvenilen Männchen aufzeigbar, so bedrohen diese bei Abwesenheit des Alpha-Männchens vor allem nächstrangige Männchen und versuchen, Weibchen zu kontrollieren, die rangniedriger sind als die eigene Mutter.

44Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1982 publizierten Beitrag ([291]).

45Kontaktsitzen, Zusammensitzen, Spielen (verschiedene Formen des Spielens)

46Sichtsetzenzu, Schmatzen, Umarmen, Soziale Körperpflege, Putzaufforderung, Olfaktorischer Kontakt, Tragen eines Jungen.

47Drohfixieren, Drohen mit Grunzen, Scheinangriff, Hetzjagen, Zerren, Beißen, Bedrängen bzw. Schreien, Weichen, Fliehen, Ignorieren.

48Hängen am Bauch, Klettern am Bauch, Hängen auf Rücken, Greifen nach; An der Mutter (Zeit), An der Mutter und Zitze im Mund, Ohne Körperkontakt zur Mutter (Zeit), Annäherung von der Mutter ausgehend, Sich entfernen von der Mutter/von dem Kind, gleichzeitigem Entfernen, Unterstützung des Kindes, Festhalten des Kindes; Nicht soziales Spiel, Gegen sich selbst gerichtetes Verhalten (Sichkratzen, Sichputzen, etc.), Manipulieren.

49Für die Ermittlung der Ergebnisse addierten wir bei den Interaktionen die Daten eines Monats und bildeten einen Mittelwert (bezogen auf 15 Minuten). Für die Zeitangaben errechneten wir für jeden Lebensmonat den Prozentanteil des „An der Mutter“- bzw. „Ohne Körperkontakt zur Mutter“-seins, für den „Gesamteindruck“ den Prozentanteil der einzelnen „Eindrücke“ an der Anzahl der gesamten „Eindrücke“ eines Monates.

50Den Erwartungswerten liegt die theoretische Annahme zugrunde, dass ein bestimmtes Individuum zu jedem anderen Tier der Gruppe, bzw. der entsprechenden Altersgruppe (etc.) gleichviel Kontakte unterhält.

51Weitere individuelle Unterschiede, so z. B. die Zunahme der Zeit „An der Mutter“ im fünften Lebensmonat bei Felix und Angela bzw. im sechsten Lebensmonat bei Micha, Olga und Tina sind im Rahmen dieser Arbeit ohne Bedeutung und sollen hier nicht diskutiert werden. Es sei jedoch betont, dass eine Beziehung zum Ranggefüge der Weibchen nicht gegeben ist. Dies ist unschwer zu erkennen, wenn wir die Kinder nach den Rängen ihrer Mütter reihen (Männchen: Toto/Micha/Neo/Felix; Weibchen: Olga/Angela/Tina/Ursula). Es scheint eher so, dass spätergeborene Männchen später selbständig werden als frühergeborene. Eine entsprechende Tendenz ist bei den weiblichen Kindern nicht erkennbar, hier fällt auf, dass Töchter ranghöherer Weibchen im zweiten Lebensmonat noch häufiger ausschließlich von der Mutter getragen werden als diejenigen rangniedrigerer Mütter. Dies dürfte daran liegen, dass die entsprechenden Mütter, Barbara und Mecki, weit eher als Zita und Alba das Tragen durch die beiden ranghöchsten Weibchen (Vanda und Frieda) verhindern konnten.

52Sobald das Interesse von Vanda und Frieda nachließ, diese unaufmerksam wurden, sprangen die Mütter herbei, griffen ihr Junges und pressten es an sich. Rangniedrigere Mütter konnten dabei weniger Widerstand leisten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Vanda deren Kinder präferierte.

53Berücksichtigen wir jedoch, dass weibliche Kinder für männliche Jungtiere völlig unattraktiv waren, dann finden wir auch hier, dass (relativ) männliche ältere Juvenile eindeutig mehr mit männlichen Kindern interagieren, also eine klare Bevorzugung des eigenen Geschlechts. Es muss hier jedoch betont werden, dass die Beziehungen zu zwei-, drei- und vierjährigen Juvenilen bzw. Subadulten für die heranwachsenden Kinder ohne große Bedeutung sind. Die Einjährigen hingegen interagieren sehr häufig mit den jüngeren Kindern, dabei sind weibliche Kinder nur für weibliche Juvenile attraktiv. Dies dürfte auch hinreichend erklären, warum weibliche Kinder insgesamt weniger Sozialkontakte zu dieser Altersgruppe unterhalten als männliche, waren doch nur ein Drittel der Individuen der entsprechenden Altersgruppe weiblich. Auffällig suchten diese jedoch sowohl männliche als auch weibliche Kinder stärker zu pflegen als ihre männlichen Altersgenossen. Die Pflegeappetenz ist demnach bei allen weiblichen Individuen unabhängig vom Alter in weit höherem Masse ausgeprägt als bei den entsprechenden Männchen. Neben diesem durch das Geschlecht des einzelnen Tieres mehr oder weniger vorbestimmten Interaktionsmuster fällt darüber hinaus der Kontakt zu Gleichalten besonders auf. Diese Spielkontakte sind offensichtlich für die Heranwachsenden bestimmend. Auch hier konnten klare Präferenzen für gleichgeschlechtliche Altersgenossen aufgezeigt werden. Die Deutung dieses Befundes ist schwierig, da zwangsläufig die weiblichen Kinder den männlichen nur bedingt zur Verfügung standen. Die Daten von Toto weisen darüber hinaus daraufhin, dass fast gleichalte Kinder anderen vorgezogen werden, so unterhielt Toto, wenn auch geringfügig, relativ mehr Kontakte zu weiblichen als zu männlichen Altersgenossen. Vergleichen wir jedoch seine Daten mit denen von Olga und den übrigen Weibchen, dann wird auch hier eine stärkere Präferenz der männlichen Kinder für männliche Altersgenossen deutlich.

54Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1986 publizierten Beitrag ([285]).

55Zusätzlich gaben wir jeweils den Erwartungswert an (14.5.1). Dem Erwartungswert liegt die theoretische Annahme zugrunde, dass jedes Individuum der Gruppe bzw. der entsprechenden Alters- bzw. Geschlechtsgruppe an den Interaktionen des jeweiligen Jungtieres gleichermaßen beteiligt war.

56Dabei wurde der Prozentanteil jeder Altersgruppe, bzw. des Alpha-Männchens, des Alpha-, des Beta-Weibchens und der adulten Weibchen (ohne die jeweilige Mutter) an der Gesamtzahl der positiv-sozialen Interaktionen des jeweiligen Jungtieres zu allen anderen Gruppenmitgliedern (ohne Mutter) errechnet und mit dem Erwartungswert verglichen.

57Offensichtlich wurde das Wahlverhalten gegenüber adulten Weibchen von dem Verhalten der Mütter beeinflusst. Generell fanden wir, dass alle acht Juvenilen im zweiten Lebenshalbjahr viele Kontakte zu den Weibchen unterhalten, mit denen auch die jeweilige Mutter häufig interagiert, wenige dagegen zu solchen, die für die eigene Mutter unattraktiv sind. Die genauere Analyse des Datenmaterials erbrachte, dass bei den 72 in unserer Gruppe möglichen Paarungen Kind/adultes Weibchen (Nichtmutter) in 59 Fällen (82 %) eine Übereinstimmung zwischen Wahl des Kindes und Wahl der Mutter festzustellen war (23mal unterhielten Mutter und Kind enge, 55mal keine Kontakte zu dem jeweiligen adulten Weibchen). Achtmal beobachteten wir nur geringe Kontakte zwischen Kind und adultem Weibchen, obwohl letzteres von der Mutter des Kindes präferiert wurde. Fünfmal schließlich interagierten Jungtiere mit Weibchen, die wenig mit ihrer eigenen Mutter interagierten, dabei war auffällig, dass in allen fünf Fällen das gewählte Weibchen rangniedriger war als die eigene Mutter.

58Diese generellen Ergebnisse gelten unabhängig von den auffälligen individuellen Unterschieden, die wir zwischen den acht Jungtieren beobachten konnten. Wie bereits ausführlich diskutiert, kann hierfür die unterschiedliche Erfahrung der Mütter bei der Jungenaufzucht, für die wir - nach Beobachtungen an vielen unserer Nachzuchtweibchen - zahlreiche Belege haben, nicht verantwortlich sein, da alle acht Mütter Multipara waren. Auch das Geschlecht der Juvenilen kann wegen der hohen Abweichung bei Individuen beiderlei Geschlechtes nicht für die beobachteten individuellen Unterschiede verantwortlich sein, behandelten doch die Mütter männliche und weibliche Kinder nicht unterschiedlich, sie blieben auch im zweiten Lebenshalbjahr weiterhin tolerant, offensichtlich unabhängig vom Geschlecht. Da alle männlichen Individuen vor den weiblichen geboren wurden, ist damit auch der unterschiedliche Geburtstermin kein Parameter, der für die beobachteten individuellen Unterschiede verantwortlich sein kann.

59Die Bedeutung des Alters für die Individuen der Untersuchungsgruppe wird auch bei den Kontakten zu Juvenilen anderer Altersgruppen deutlich. Alle interagieren zwar häufig mit Individuen des eigenen Jahrganges, mit den 1981 geborenen Jungtieren interagieren dagegen nur die Jungtiere, die 1980 später geboren wurden. Für die älteren drei Männchen waren die jüngeren offensichtlich unattraktiv, sie wählten stattdessen den Kontakt zu den jüngsten Individuen des vorangegangenen Jahrganges.

60Ziehen wir nämlich auch in Betracht, wie häufig die acht im Focus stehenden Tiere überhaupt mit den Individuen der anderen Altersgruppen interagiert haben, erkennen wir, dass die Anzahl der Interaktionen zur Gesamtheit der Individuen der jeweiligen Altersgruppen nur in einigen Ausnahmen (Neo zu 1979er und 1976er, Micha zu 1976er, Felix zu 1979er, Tina zu 1976er und Angela zu 1978er) überhaupt über dem nach der Anzahl der Individuen zu erwartenden „Erwartungswert“ liegt.

61Gerade im Hinblick auf Erhebungen an den ohne Einfluss von Müttern und Geschwistern aufwachsenden „peers“ können wir hier nicht entscheiden, worauf diese Unterschiede beruhen. zweifellos wäre es aber hinreichend anzunehmen, dass die jungen Makaken - bedroht durch ranghöhere Artgenossen - den Kontakt zu ihren Müttern suchten, um dort Schutz zu finden. Dafür spricht auch, dass die Tochter des ranghohen Weibchens Mecki, Angela, das Selbständigste aller Jungtiere war. Für dieses Jungtier war zudem auffällig, dass es als einziges der acht untersuchten Tiere häufig mit Alpha-Weibchen und Alpha-Männchen interagierte. Fragen wir uns, warum nur Angela noch verstärkt mit dem Alpha-Männchen und Alpha-Weibchen interagiert, dann können zwei verschiedene Gründe dafür verantwortlich sein, so ist Angela das jüngste Kind der acht untersuchten Kinder. Da jeweils die jüngsten besonders attraktiv sind, könnte dies hinreichend sein, die gezeigten Präferenzen zu erklären. Dagegen spricht aber, dass noch weitere Jungtiere geboren wurden, also Angela keineswegs jüngstes Individuum der Gruppe blieb. Suchen wir nach weiteren Kriterien, die es erlauben Angela von den übrigen sieben Jungtieren zu diskriminieren, dann scheint das einzige Kriterium der Rang der Mutter zu sein. Mecki war als einzige der vier Töchter-Mütter ranghoch und dementsprechend auch rangbenachbart mit dem Alpha-Weibchen. Dass rangbenachbarte Weibchen besonders enge Sozialkontakte unterhalten, wissen wir bereits. Mit dem Rang der Mutter wären also die häufigen Interaktionen erklärbar. Insofern kommt erst im zweiten Lebenshalbjahr dem Rang hohe Bedeutung zu, waren doch im ersten Lebenshalbjahr auch Kinder rangniedriger Mütter für das Alpha- Weibchen attraktiv.

62Dem Rang kommt auch bei den Interaktionen der Jungtiere zu adulten Weibchen Bedeutung zu, so interagieren die Jungen nicht nur bevorzugt mit den Sozialpartnern der Mutter - also automatisch mit Tieren des eigenen Rangbereiches, da adulte Weibchen ihre Sozialpartner im gleichen Rangbereich wählen - , sie interagieren darüber hinaus nur dann mit weiteren Weibchen, die für ihre Mütter unattraktiv sind, wenn diese rangniedriger sind als die eigene Mutter. Hier können sie sich offensichtlich annähern, ohne Abwehr befürchten zu müssen.

63Eine Ausnahme bildet hier nur ein weibliches Jungtier, das sowohl mit dem Alpha-Männchen als auch mit dem Alpha-Weibchen mehr interagierte als zu erwarten. Hierfür verantwortlich dürfte der Rang der Mutter sein, die als ranghöchste Mutter der acht untersuchten Jungtiere auch selbst häufig mit den ranghöchsten Tieren der Gruppe interagierte.

64Ausnahmen von dieser Regel waren selten. In solchen Fällen, wo die Jungtiere mit Weibchen interagierten, mit denen ihre Mütter keine Kontakte hatten, war das gewählte Weibchen stets rangniedriger als die Mutter des entsprechenden Jungtieres.

65Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1987 publizierten Beitrag ([286]).

66Da einige Individuen während der Versuche getrennt wurden (vgl. Unterkapitel 14.3), lag nicht für alle möglichen Zweierbeziehungen die gleiche Anzahl von Beobachtungsstunden vor, daher ermittelten wir die Interaktionen pro Stunde für jede einzelne Zweierbeziehung getrennt nach positiv-aktiven, positiv-passiven, positiv-neutralen und agonistischen Interaktionen. Dabei werteten wir die Daten getrennt nach Lebensjahren aus und errechneten für jedes Lebensjahr die entsprechenden Mittelwerte pro Stunde. Bedingt durch die unterschiedlichen Zeitpunkte der Geburten und die 25 Monate umfassende Beobachtungsdauer liegen Daten für die einzelnen Lebensjahre nur teilweise vor. Hier haben wir nur solche „Lebensjahre“ berücksichtigt, von denen zumindest vier Lebensmonate protokolliert wurden. Entsprechend liegen je nach Geburtsdatum die Daten für ein (bei während der Versuche geborenen Jungtieren), zwei oder drei Lebensjahren vor. Durch die Auswertung nach Lebensjahren konnten wir von den 23 für diese Untersuchung zur Verfügung stehenden Jungtieren insgesamt 965 dyadische Beziehungen analysieren. Im Befundteil (Unterkapitel 14.4.5) hatten wir durchgängig zwischen (über die Mutter) verwandten und nichtverwandten Individuen differenziert. Von den 965 Dyaden waren 39 Geschwisterdyaden. Insofern gingen in die generelle Auswertung 926 Zweierbeziehungen ein.

67Es sei hier betont, dass bei der Darstellung der Ergebnisse die absolute Häufigkeit der Kontakte nicht berücksichtigt wird, die Angaben zur Präferenz für Individuen eines bestimmten Geschlechtes sind jeweils relativ zu sehen zu den gesamten Interaktionen zur jeweiligen Altersgruppe.

68In beiden Fällen handelte es sich um die Altersgruppe der 1976 geborenen Jungtiere, die problematisch zusammengesetzt war. Von den insgesamt vier 1976 geborenen Jungtieren wuchsen nämlich nur zwei Männchen (Berni, Orbi) natürlich in der Gruppe auf, das einzige Weibchen (Birgit) und das dritte Männchen (Benni) hingegen mussten handaufgezogen werden und sind demnach den übrigen Individuen (alle in der Gruppe aufgezogen) nicht vergleichbar.

69Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1987 publizierten Beitrag ([280]).

70Zum Problem des rollenspezifischen Verhaltens sei daran erinnert, dass Geschlechterrollen für alle Vertreter des Genus Macaca beschrieben werden. Männchen und Weibchen verhalten sich unterschiedlich und können nach ihrem Verhalten eindeutig voneinander diskriminiert werden.

Bei dem Vergleich der Geschlechter untereinander sind signifikante Unterschiede bei der Häufigkeit der sozialen Körperpflege aufzeigbar, Weibchen putzen weitaus häufiger als Männchen, dabei vor allem adulte Weibchen und die eigenen Kinder. Insofern sind auch Weibchen bei sozialen Interaktionen mit bestimmten Männchen stets der aktivere Partner. Dieser Geschlechtsunterschied wird auch schon bei paarweiser Testung auffällig, hier zeigen Weibchen mehr soziale Körperpflege, Männchen hingegen kämpfen häufiger. Zudem spielen Männchen mehr. Generell halten Männchen weniger sozialen Kontakt als Weibchen. Männchen und Weibchen bevorzugen Juvenile des eigenen Geschlechtes.

Rollenspezifisches Verhalten ist also zweifellos beobachtbar. Offen ist nur, inwieweit dieses Verhalten dem jungen Makaken schon bei Geburt mitgegeben ist. Zur Klärung soll dieses Versuchsvorhaben ein Beitrag sein.

71Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1988 publizierten Beitrag ([287]).

72Auf der vorangehenden Seite habe ich die Häufigkeit des Umarmens (Embracing), Manipulierens (Manipulating) und der sozialen Körperpflege (Grooming) für unsere „peer“-aufgezogenen Jungtiere während der ersten drei Lebenshalbjahre ([196]) vorgestellt.

73Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1990 publizierten Beitrag ([283].)

74Es sei hier erneut betont, dass diese nicht in einer normalen Gruppe mit Individuen aller Altersbereiche lebten, vielmehr bestand die Gruppe nur aus Tieren desselben Altersbereiches.

75Auf der vorangehenden Seite habe ich die Häufigkeit der sozialen Körperpflege (Grooming) und des Kontaktsitzens der „peer“-aufgezogenen Jungtiere während des dritten bis sechsten Lebensjahres ([196]) angegeben (schraffiert = Männchen, weiß = Weibchen).

76Die ersten in der Gruppe geborenen Jungtiere wurden - vor allem von Laura - „geraubt“ und „liebevoll“ zu Tode gepflegt.

77Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1985 publizierten Beitrag ([246].)

78Der Text dieses Unterkapitels ist teilweise wortgleich mit einem 1985 publizierten Beitrag ([284]).

79Zusätzlich mussten wir Orbi separieren. Wir haben den Vorgang nicht beobachtet, wir vermuteten, dass Orbi Nikita niederkämpfte, anschließend aber von Majo entmachtet wurde. Orbi und Nikita haben wir dann separiert im gleichen Raum gehalten.

80Nikita zeigte fortan geradezu panisches Angstverhalten vor großen Männchen, ihm war das jahrelang gezeigte Selbstvertrauen verloren gegangen.

81Unabhängig davon, dass Majo eindeutig der Sieger war, hielt ich es wegen der unzähligen Verletzungen für geboten, ihn für einige Wochen zu separieren. Nach dem Ausheilen der Wunden durfte er in seine Sozialgruppe zurück und übernahm sofort ohne jegliche Auseinandersetzungen die Alpha-Position.

82Nikita jedenfalls blieb bis zu seinem Alterstod am 12.06.1987 ein für uns wichtiger nichtmenschlicher Mitarbeiter.

83Da ich in der Primatenstation gemeinsam mit meinen menschlichen Mitarbeitern regelmässig - letzlich ohne bleibenden Erfolg - Schabenvernichtungsaktionen durchführte, kann ich berichten, dass wir durch Schabengift keinen einzigen Primaten verloren haben.

84Diesem Vorschlag bin ich aber nicht gefolgt.

851991 hatte ich während der Tagung der International Ethological Society, auf der ich über unsere Hormonergebnisse (vgl. Unterkapitel 14.11) referierte, eine russische Primatologin, Marina Butovskaya, getroffen und mit ihr unsere Makakenergebnisse diskutiert. In Kassel lebten unter identischen ökologischen“ Bedingungen Sozialgruppen des Javanermakaken, die sich in ihrem Verhalten auffällig unterschieden. Wie zwei verschiedene Arten demonstrierten sie unterschiedliche Sozialsysteme. Ich lud sie ein, sich davon in Kassel selbst zu überzeugen und warb auch für Marina Butovskaya ein DFG-Stipendium ein. So erhob sie im Winter 1992/1993 (also vor der Befunderhebung, von der ich hier berichtet habe) Daten an der Majo- und der Theo-Gruppe ([14]). Während dieser Zeit war die Rangordnung in der Majo-Gruppe identisch mit der, die ich oben beschrieben habe, in der Theo-Gruppe hatten nach ihrer Analyse Julia und Elke höhere Rangplätze, direkt nach Sonja und Maria, wobei Marina Butovskaya ihre Analysen auf das zu beobachtende passive agonistische Verhalten stützte, auf das ich hier nicht eingegangen bin. Grundsätzlich und erwartbar bestätigte Marina Butovskaya unsere eigenen Befunde: „Two groups of captive macaques (M. fascicularis) were studied at Kassel University, Germany. One included animals whose mothers were high-ranking, another, those whose mothers were low-ranking. The first group was a despotic community in which conflicts were severe and occurred mainly between single individuals; the reconciliation tendency was weak, the male leader was the controlling animal, and the affiliative preferences were marked. The second group was an egalitarian community split into two mutually hostile coalitions; the conflicts were less severe, the tendency for reconciliation was strong, the male leader could control only his own bloc and had no strong affiliative ties with other group members“ ([14], Seite 261).

86Ich hatte den Eindruck, sie versuchten engste Beziehungen zu dem Alpha-Männchen zu etablieren, um danach „zuzuschlagen“. Nur ging diese Rechnung nicht auf, unterstützte Majo doch stets Bedrängte und nicht Angreifer.

87Majo played the role of the controlling animal. He was independent and self-confident, and he always helped victims irrespective of his personal preferences. Theo, on contrast, was unable to perform the controlling function, ...“ ([14], Seite 268).

88„Females born of high-ranking mothers ... were self-confident and evidently predisposed to social independence and initiative. ... Females born by low-ranking mothers ... were more cautious and, although being more often engaged in minor conflicts, never resorted to extreme forms of aggression despite the weakness and passivity of their male leader.“([14], Seite 268)

89„... our results suggest that predisposition to different social strategies is at least partly due to genetical factors.“ ([14], Seite 269).

90Majo starb wahrscheinlich den Alterstod, er war aber nur 4470 g schwer, also sichtlich stark abgemagert, so dass ich - gerade im Hinblick auf das Krankheitsbild von Theo (s. u.) nicht ausschließen möchte, dass bei ihm möglicherweise eine Diabetes-Erkrankung für den Tod mitverantwortlich war.

91Der genaue Todestag ist mit der Primatenstation verloren gegangen.

92Mir wurde bei diesen Beobachtungen schlagartig klar, warum Männchen bei vielen gesellig lebenden Primatenarten soviel größer sein müssen als ihre Weibchen. Nur große Männchen können den Weibchen standhalten, die Selektion begünstigt also größere Männchen.

93„The data of Wu et al. (1980) have been taken as convincing evidence for a gen-based mechanism that at least partially mediates kinship behavior in primates ( ...). The results of our study are at complete odds with this earlier work. We believe that this discrepancy is due to Type I statistical error in the earlier findings.“ ([58], Seite 34).

94Results indicate a very high intraclass correlation between 1/2 sibs (...) consistent with a model of complete heritability. ... The results indicate that social dominance in small groups of pre-pubescent rhesus monkeys is strongly influenced by genetic factors, and these factors are not simply artifacts of weight, sex or relative age.“ ([193]).

95„The data strongly suggests that genetic variables powerfully influence social dominance in small groups of socially housed rhesus monkeys. ... This paper suggests a large amount of the factors which influence social dominance in rhesus monkeys may be inherited. The fact that demographic variables such as age, sex and weight are not sufficient to account for these genetic influences, and the previously noted relationships between dominance and stress responses suggests dominance may be substantially determined by psychological characteristics which are themselves highly heritable. ... Nonetheless, ..., the conclusion of this experiment is that heritability strongly influences dominance rank in small groups of rhesus monkeys, and such effects are not simply artifacts of sex, age or size.“ ([193]).

96ACTH ist die Abkürzung für Adrenocorticotropes Hormon, ein in dem vorderen Anteil der Hirnanhangsdrüse, dem Hypophysenvorderlappen, produziertem Hormon, das auf die Nebenierenrinde einwirkt (Hypophyse-Nebennierenrinde-Achse). Hier bewirkt ACTH die Freisetzung des Cortisols, das wiederum in Form einer negativen Rückkoppelung die weitere Freisetzung von ACTH hemmt.

97„The results showed that higher ranking animals differed both behaviorally and physiologically from their lower ranking peers. ... Social dominance was negatively correlated with ACTH, but not significantly correlated with plasma cortisol. Consistent with this, ACTH and plasma cortisol showed no significant intercorrelation ... When the animals used in this experiment were grouped into pair of paternal 1/2 sibs and ACTH values were compared by ANOVA, significant differences were found. Additionally, these differences corresponded to the association previously found between paternity and social dominance ([193]). Infants sirred by fathers with a history of dominant offspring were showed significantly lower ACTH levels than infant sirred by fathers with a history of subordinate offspring, suggesting that both the tendency towards social dominance and high or low physiological response to stressors has significant genetic components“ ([192]).

98Adrenalin und Noradrenalin werden von Drüsenzellen des Nebenierenmarks gebildet.

99Glücklicherweise hatte ich vor dieser Entscheidung nicht eine Publikation gelesen, nach der Javanermakaken - im Gegensatz zu Rhesusaffen - als untrainierbar gelten.

100Es muss erwähnt werden, dass alle Tiere gewöhnt waren, nach einmaligem Klatschen der Hände blitzschnell das Innengehege bzw. das Außengehege aufzusuchen, um die Schieber schließen zu können. Hier kooperierten alle Makaken bei allen meiner Mitarbeiter. Das Ein- und Aussperren der Kapuzineraffen hingegen war komplizierter, hier benötigten meine Mitarbeiter einen Wasserschlauch, da einige Kapuzineraffen gerne blitzschnell im letzten Moment noch zurück in das zu leerende Gehege drängten. Das Bedrängt- und Gescheuchtwerden machte ihnen offensichtlich Freude. Nur mir gelang es, mit einer leisen Aufforderung „Geht bitte rein“, die Kapuziner ohne Stress für den Menschen einzusperren. Ich muss aber gestehen, dass ich dann, wenn irgendein Kapuzineraffe nicht das Innengehege aufsuchte, die Schieber schloß und ebenfalls leise sagte „Dann eben nicht.“. Anschließend holte auch ich den Wasserschlauch und spritzte die nicht kooperierenden Kapuzineraffen richtig nass, brachte den Schlauch wieder zurück und wiederholte meine leise Bitte. Dies merkten sich die Kapuzineraffen. Es machten ihnen Freude - trocken - zwischen meinen Mitarbeitern, die sie einsperren mussten, herumzuspringen, richtig nass werden, wollten sie aber nicht.

101Bei Mecki und Alba setzten wir eine Braunüle ein, beide Weibchen lagen eine Stunde lang widerstandslos und ruhig im Gang und - so unser Eindruck - genossen das kontinuierliche Handling.

102Bei den typischen Lernversuchen mit Futterbelohnung einzeln gehaltener Tiere geht dem Lernversuch eine mehr oder weniger „definierte“ Hungerphase zur Motivationssteigerung voraus, diese „Versuchsvorbereitung“ mag man für ethisch vertretbar halten, doch scheidet ein solches Vorgehen bei gesellig gehaltenen Individuen aus.

103Der einzige Unterschied zwischen Blutentnahmen an betäubten und wachen Individuen war die zur Blutentnahme genutzte Vene, bei betäubten Tieren wird das Blut aus einer Oberschenkelvene, bei unbetäubten aus einer Unterschenkelvene entnommen, was zweifellos schwieriger ist. Doch haben unsere Makaken die Prozedur nicht als belastend empfunden.

104Eine zusätzliche Komplikation soll noch erwähnt werden: Die sich im Gehege B aufhaltenden Javanermakaken lernten während des ersten Trainingstages, dass man von B aus den Tunnel bewegen und so das Experiment beenden kann, ohne den Tunnel aufzusuchen. Daher mussten wir die restlichen Gruppenmitglieder in A absperren. Für die letztendliche Prozedur bedeutete es, alle Individuen mussten von A nach B wechseln, ein Individuum hatte den Tunnel zu betreten und die restlichen Gruppenmitglieder mussten nach A zurückkehren. Dieses Vorgehen musste wiederholt werden, bis das letzte Gruppenmitglied den Tunnel betreten hatte.

105In Kapitel 8 habe ich ausführlich über unsere Probleme bei der Bekämpfung einer Nematoden-Infektion berichtet, hier hatte Norbert Fiege geraten, den Parasiten durch Fenbendazol zu kontrollieren.

106Nach unser Einschätzung verstand z. B. Majo, das Alpha-Männchen der ranghohen Individuuen, die Aufgabe sofort, seine Persönlichkeit gestattete es aber nicht, einfach mitzumachen, wie ein ungeplantes Experiment zeigte: Um sicher zu sein, dass jedes Individuum die gleiche Menge Brei erhält, portionierten wir diesen mit einem Plastikdosierlöffel. Majo gelang es, den Dosierlöffel zu greifen, und schleppte den gefüllten Dosierlöffel mit sich bis zum Ende der Prozedur. Nach Abschluss unseres Trainings, alle Affen waren wieder in ihren Ausgangsgehegen, setzten Annette Klaiber-Schuh und ich mich vor dem Majo-Gehege auf die Beobachterbank. Majo suchte ein höher gelegenes Ruhebrett auf, sass direkt vor uns am Vordergitter und beobachtete uns kontinuierlich. Dann - unter ständiger optischer Kontrolle der Beobachter - führte er den gefüllten Dosierlöffel zum Mund und begann Stück für Stück das Plastik abzubeißen (und dann auszuspucken), denn Brei ließ er völlig unangerührt, was sicherlich kein leichtes Unterfangen war. Frau Klaiber-Schuh und ich waren überzeugt, Majo wollte uns seine Verachtung demonstrieren.

107Sophie und Ilse waren Schwestern.

108Die Ergebnisse sind in der diesem Unterkapitel zugrunde liegenden Publikation durch Abbildungen belegt ([114]).

109Ein gutes Beispiel für die unterschiedliche Motivation der Individuen belegte Laura. Laura musste vor Versuchsbeginn aus der Majo-Gruppe entfernt werden und konnte am Training erst ab dem 15. Tag der Lernphase 2 teilnehmen. Laura wurde zuvor einzeln gehalten, erhielt aber auch die Breiportion - wie die anderen am Versuch beteiligten Tiere. Laura nahm den Brei aus unserer Hand und aß ihn sofort auf. Am ersten Tag im Tunnel aß Laura den Brei sofort. Am nächsten Versuchstag aber verschmähte sie diesen, sie wollte - wie die anderen Makaken - nur aus dem Tunnel heraus. Unabhängig davon, dass sie über Wochen gelernt hatte, dass der Brei ein begehrenswertes Gut ist, benötigte sie zehn weitere Trainingstage um das „Essen ohne Verzögerung“ wieder zu praktizieren.

110Wir haben hier nicht die Ergebnisse der beteiligten Jungtiere angegeben, die eine solche Annahme (Alter) eindeutig falsifizierten.

111Zum Einsatz unseres Trainingprogrammes ist es wichtig zu wissen, dass die zeitweise Unterbrechung des Trainings keinen negativen Einfluss auf den Trainingserfolg hat. Einmal gelernt, erinnern sich die Makaken sofort an das Vorgehen. Selbst negative Erfahrungen - das Anbieten von Metronidazol im Brei - hatte keinen negativen Einfluss auf das spätere Kooperationsverhalten.

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